SHYLOCK: Das ist die richtige Einstellung!
WATTSEN: Dass ich in meinen alten Beruf zurück kann?
SHYLOCK: Oder das, was du davor gesagt hast.
WATTSEN: Weißt du, was mich wundert?
SHYLOCK: Was?
WATTSEN: Dass noch niemand versucht hat, dich umzubringen.
SHYLOCK: Der Tag ist noch jung!
WERNER: (kommt herein) Danke.
SHYLOCK: Jederzeit.
WERNER: In meinem Alter wird alles ein bisschen schwieriger. (setzt sich) Sie wollten etwas über Mike Götsch wissen.
SHYLOCK: Das wäre sehr hilfreich.
WERNER: Er war ein guter Schütze. Nicht so gut wie Frau Draeger, aber ein guter Schütze. Ihm ging es immer nur ums Gewinnen. Alles war für ihn ein Wettkampf. Alles wurde zum Wettstreit. Und er musste immer der Sieger bleiben. Egal, worum es ging.
SHYLOCK: Ist er mit Ihnen auch so umgegangen?
WERNER: Nein, mich hat er nie als eine Konkurrenz angesehen. Im Gegenteil. Als Schütze war ich ihm zu schlecht. Er hat sich sogar dafür eingesetzt, dass Mitglieder, die eine bestimmte Leistung nicht erbringen, aus dem Verein ausgeschlossen werden.
SHYLOCK: Haben Sie die nötige Leistung erbracht?
WERNER: Nein. Er hat nie verstanden, worum es bei einem Schützenverein wirklich geht. Er war, wie sagt man…
WATTSEN: Ehrgeizig?
WERNER: …ein Arschloch! Ja, das ist die richtige Bezeichnung. Er war ein dummes, ehrgeiziges Arschloch!
WATTSEN: Können Sie uns sagen, was am Tag des Mordes passiert ist?
WERNER: War das der Tag, als Herr Bauschulte die neue Pistole mitgebracht hat?
SHYLOCK: Ähm…?
WERNER: Ja?
SHYLOCK: Wer ist noch mal Herr Bauschulte?
WATTSEN: Theo Bauschulte. Unser Auftraggeber. Der Mann, der im Gefängnis sitzt.
SHYLOCK: Oh, der. Der Vereinsvorsitzende.
WATTSEN: Genau der.
SHYLOCK: Gut, dann weiß ich bescheid. Bitte fahren Sie fort.
WERNER: Herr Bauschulte hatte diese neue Waffe gekauft. Und wir haben sie dann ausprobiert. Alle waren begeistert davon. Ich hab auch mal damit geschossen, aber es hat mir nichts gebracht.
SHYLOCK: Und dann?
WERNER: Ich glaube, Herr Bauschulte hat sie wieder in den Tresor eingeschlossen. Danach sind wir gegangen.
SHYLOCK: Ich fürchte, ich muss das fragen, aber haben Sie Mike Götsch erschossen?
WERNER: Herr Holmes, es gibt Verhaltensweisen, die einfach nicht statthaft sind. Und wissen Sie auch, warum?
SHYLOCK: Weil sie nicht dem Geiste eines Schützenvereins entsprechen?
WERNER: Ganz genau.
SHYLOCK: Vielen Dank für Ihre Zeit.
WERNER: Es freut mich, wenn ich helfen konnte.
SHYLOCK: Ich denke, das konnten Sie. Es wäre möglich, dass wir im Rahmen unserer Untersuchungen noch einmal auf Sie zurückkommen.
WERNER: Wieso das?
SHYLOCK: Für die große Auflösung am Schluss! Da kommen alle noch einmal zusammen.
WERNER: Sie können auf mich zählen.
SHYLOCK: Besten Dank.
WERNER: (erhebt sich)
SHYLOCK: Möchten Sie noch mal zur Toilette.
WERNER: (lächelt) Nein. (überlegt es sich) Vielleicht besser doch. (geht ab)
WATTSEN: Die große Auflösung am Schluss?
SHYLOCK: Gehört dazu!
WATTSEN: Und was, wenn die im Knast stattfinden müsste, weil unser Täter bereits verhaftet worden ist?
SHYLOCK: Das wäre… unerfreulich.
WATTSEN: Wieso, weil du dann um deinen Spaß kommst?
SHYLOCK: Nein, weil er uns dann wahrscheinlich nicht bezahlen wird.
WATTSEN: Habe ich dir schon mal gesagt, wie sehr ich es hasse, wenn du Recht hast?
SHYLOCK: Mehrmals. Täglich!
WATTSEN: Gut, dann bin ich beruhigt.
WERNER: (kommt herein) War nur falscher Alarm.
SHYLOCK: Besser auf Nummer Sicher gehen.
WERNER: Da haben Sie Recht.
SHYLOCK: Herr Hirthe, vielen Dank für Ihre Hilfe. (schüttelt ihm die Hand)
WERNER: Ich bin schon sehr gespannt auf die Auflösung.
WATTSEN: Da sind Sie nicht der einzige. Ich bringe Sie noch nach draußen.
WERNER: Vielen Dank. Sie sind eine sehr nette, junge Dame. Was machen Sie beruflich?
WATTSEN: Eigentlich bin ich Pathologin.
WERNER: Na, dann bekommen Sie mich ja vielleicht noch mal zu sehen.
BEIDE (ab)
SHYLOCK: (zum Computer) Habe heute eine Menge über Schützenvereine gelernt. Und ich habe erfahren, dass meine Partnerin Zweifel hat. Zum Glück weiß sie nicht, in welchen Schwierigkeiten unsere Firma steckt. Und dass sie nicht die einzige Frau in meinem Leben ist. Es würde ihr das Herz brechen, alles zu verlieren. Das Geld, das sie in die Firma und die Zeit, die sie in mich investiert hat… Doch alle Beweise dafür sind fest verschlossen. Nicht in meinem Herzen, sondern in meinem Tresor, hier, unter dem Schreibtisch. Da würde man bestimmt eine Menge interessanter Dinge finden… aber das hilft mir nicht, diesen Fall aufzuklären. Also schauen wir mal, wer der nächste Verdächtige ist.
Vierte Szene
(Die Wohnung. Wattsen kommt herein.)
SHYLOCK: Was denn, kein neuer Zeuge?
WATTSEN: Die kommen alle morgen.
SHYLOCK: Dann haben wir jetzt Zeit für was anderes?
WATTSEN: Zeit? Verdammt, es ist Zeit!
SHYLOCK: Geht es noch kryptischer?
WATTSEN: (sieht auf ihre Uhr) Es ist Zeit. Für den Anruf. Genau jetzt.
SHYLOCK: Offensichtlich ja!
WATTSEN: Wir müssen telefonieren.
SHYLOCK: Ich kann dich sehen und hören, also…
WATTSEN: Es geht um unseren Auftraggeber.
SHYLOCK: Ah. Der kommt… nein, der ist im Knast, der wird wohl kaum hierher kommen. Besuchen wir ihn?
WATTSEN: Nein. Er ruft uns an.
SHYLOCK: Er… was?
WATTSEN: Er ruft uns an. Jetzt gleich. Um diese Zeit.
SHYLOCK: Ich nehme an, das hat einen Grund?!
WATTSEN: Ich bin davon ausgegangen, dass du mit ihm sprechen möchtest?
SHYLOCK: Das stimmt.
WATTSEN: Da gibt es nur ein kleines Problem. Sagt dir der Name O. Thello etwas?
SHYLOCK: Bühnenfigur oder Polizeiinspektor?
WATTSEN: Letzteres.
SHYLOCK: Mit dem hab ich mal einen Fall bearbeitet.
WATTSEN: Und er ist derjenige, der diesen Fall bearbeitet. Deshalb möchte er nicht, dass du dich da einmischst. Also hast du Hausverbot im Knast. Und ich musste was anderes arrangieren.
SHYLOCK: Dass er uns hier anruft?!
WATTSEN: Dass er uns hier anruft! (hält ihr Handy hoch)
SHYLOCK: Super, Freisprechanlage.
WATTSEN: Das ist… ein weiteres Problem: Nachdem ich die Sache vereinbart hatte, habe ich festgestellt… dieses Handy hat keine Freisprechanlage.
SHYLOCK: Hm! Ich würde dir meins anbieten…
WATTSEN: …aber das ist noch veralteter als das hier.
SHYLOCK: Japp!
WATTSEN: (das Handy klingelt) Das ist er. Hallo? Oh. (hält den Hörer zu) Meine Nichte.
SHYLOCK: Die nervige oder die andere?
WATTSEN: Welche andere?
SHYLOCK: Das hatte ich befürchtet!
WATTSEN: (ins Handy) Chloe, wie geht es dir? Ja, er ist hier.
SHYLOCK: Ist er nicht!
WATTSEN: (ins Handy) Ich kann mir gut vorstellen, dass er mit dir sprechen möchte.
SHYLOCK: Das nenn ich Phantasie.
WATTSEN: (ins Handy) Wie kommst du denn auf die Idee? Natürlich mag er dich!
SHYLOCK: Erzähl ihr doch nicht son Mist.
WATTSEN: (ins Handy) Nein, warum sollte er dir erzählen, dass er umgezogen ist? Ach, das ist doch übertrieben. (hält den Hörer zu) Sie meint, du wärst umgezogen, damit sie dich nicht mehr finden kann.
SHYLOCK: Verdammt, das ist keine schlechte Idee. Warum bin ich nicht darauf gekommen?
WATTSEN: Aber selbstverständlich. (hält den Hörer zu) Möchtest du mit ihr sprechen?
SHYLOCK: Auf gar keinen Fall!
WATTSEN: (ins Handy) Er ist gerade… auf der Toilette. Das kann ne Weile dauern. Du hast… was??? Das ist… nein, warte, das musst du mir genau erzählen. (geht hinaus, vergisst aber ihren Schlüssel)
SHYLOCK: Dein Schlüssel! Oder benutz den… unter der Matte. Der Schlüssel unter der Matte. Hey! (zum Computer) Der Schlüssel liegt unter der Matte. Was für ein Klischee. Andererseits: Wo sonst soll man den Schlüssel hintun für den Fall, dass man sich mal aussperrt? Ich habe da ein ganz tolles Versteck – aber ich werde den Teufel tun, es zu verraten! Nein, ich sag’s euch nicht mal durch die Blume. Wo wir schon mal bei Blumen sind, was schenkt man seiner Geliebten eigentlich zum Jubiläum? Oh, und wo wir schon mal dabei sind: Heißt es teure Geliebte oder treue Geliebte? Wahrscheinlich teure Geliebte, weil sie einen eine Menge Geld kostet. Und wenn sie eine Geliebte ist, wird Treue bei ihr nicht besonders hoch im Kurs stehen, also würde treue Geliebte keinen Sinn ergeben. (es klopft an der Tür) Komme schon! (zum Computer) Zeit, meiner Partnerin die Augen zu öffnen – oder zumindest die Tür. (steht auf und geht die Tür öffnen, wobei er sich unterwegs den liegen gelassenen Schlüssel schnappt)
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