,,Wolf, wie geht es Dir?“ begrüßte er ihn auf Englisch.
,,Ahmad, mein Freund!“ erwiderte Lenning. „Seit wann bist Du in Deutschland?“
,,Schon seit sechs Jahren.“ antwortete Ahmad. ,,Du hast Dich nicht viel verändert.“, fuhr Ahmad fort. ,,Wie lang ist es denn eigentlich her?“
Lenning musste nicht lange überlegen. ,,Das war 1984, das sind also fast siebzehn Jahre!“
Achmed betrachtete Lenning von oben bis unten.
,,Wolf, du hast zugenommen!“ scherzte er.
,,Ahmad, Du bist auch nicht gerade schlanker geworden.“
Ahmad war ungefähr einen Meter und achtzig groß und hatte damit die Größe von Lenning. Allerdings war Ahmed deutlich fülliger. Omar war etwas kleiner, vielleicht einen Meter fünfundsiebzig groß und sehr schlank, weshalb er größer wirkte.
,,Bist Du mit Omar nach Deutschland gekommen?“ wollte Lenning wissen.
,,Nein, wir sind Anfang der neunziger Jahre in die USA gegangen, danach kam Ahmad 1998 nach Berlin, während ich bereits 1995 hierher nach Hamburg gekommen bin“, erklärte Omar.
Lenning schaute die beiden verwundert an und sagte:
,,Eigentlich ist es eine Schande, dass wir uns erst jetzt treffen. An mir lag es nicht, ich wusste ja schließlich nicht, dass ihr da seid.“
Omar lachte.
,,Und wir wussten nicht, wo Du wohnst, wir haben erst per Zufall erfahren, dass Du inzwischen auch Wirtschaftsprüfer bist und wo Deine Kanzlei liegt. Ich hatte einmal nachgeforscht und zwar in München, weil ich angenommen hatte, dass Du dort eine Kanzlei hast, Du bist doch Münchener?“
Omar sah Lenning gespannt an.
„In München geboren,“ verbesserte ihn Lenning. ,,Aber eine Kanzlei habe ich in München nie gehabt.“
,,Aber Du warst in München einmal beruflich tätig?“
Lenning wirkte erstaunt. „Wie kommst Du darauf?“
,,Dazu später!“ schaltete sich Ahmad ein.
„Schau´, wen wir Dir vorzustellen haben!“
Sie wandten sich nun den jungen Männern zu, die erwartungsvoll auf den Barhockern Platz genommen hatten und die ganze Begrüßungsszene lächelnd verfolgten. Drei der Männer hatten schwarze Haare und schienen nicht Europäer zu sein, während einer rotblond und mit Sommersprossen im Gesicht breit grinsend vom Barhocker glitt, auf Lenning zukam und sich mit schönstem irischen Akzent vorstellte:
,,Patrick O`Hara, aber meine Freunde sagen Plummy zu mir, weil ich so gerne Plumpudding esse.“
Er reichte Lenning die Hand, in die dieser einschlug. Lenning lachte und sagte
,,Meine Freunde nennen mich Wolf..., hocherfreut einen richtigen irischen Blockhead kennenzulernen. Ich mag die Iren!“
Ihre Augen trafen sich und man konnte erkennen, dass sich die beiden Männer trotz des Altersunterschieds – Plummy war zwischen zwanzig und dreißig – von Anfang an sympathisch waren.
Lenning wandte sich den übrigen zu. Der nächste rutschte von seinem Barhocker, eher schüchtern, von Gestalt höchstens einen Meter siebzig groß, schlank, dunkelhaarig und mit einer sehr großen Nase. Etwas linkisch kam er auf Lenning zu und gab ihm die Hand.
,,Hossein Ibrahim aus Saarbrücken“, sagte er in saarländischem Akzent. ,,Ich bin deutscher Staatsbürger, mein Vater ist Algerier, meine Mutter Deutsche.“
Lenning schmunzelte.
,,Das klingt ja fast wie eine Bewerbung. Was sind Ihre Spezialkenntnisse?“
Hossein lächelte schüchtern, blickte sich um und bevor er antworten konnte, unterbrach ihn Omar.
„Wir unterhalten uns nachher über Einzelheiten, darf ich Dir die beiden Letzten noch vorstellen?“ Beide waren inzwischen schon aufgestanden und gaben Lenning die Hand. Der erste war ein Saudi namens Sayed und der andere stammte aus den Emiraten und hieß Hussein. Lenning ließ sich die Namen nochmal durch den Kopf gehen; sein Namensgedächtnis war nicht das beste, auch wenn er die Jungs überall sofort wiedererkannt hätte.
,,Kommt, oben ist schon angerichtet“, rief Omar und schob Lenning zur Aufzugstür.
,,Wir nehmen lieber die Treppe“, sagte Lenning, der Aufzugfahren nicht liebte.
Scheinbar dies überhörend gab Omar keinen Platz, sondern schob Lenning durch die Tür und dicht hinter ihnen trat Ahmad ein und drückte die „1“, um in den ersten Stock zu gelangen. Die anderen werden wohl laufen, dachte Lenning und verstand. Die kurzen Augenblicke vom Erdgeschoss in den ersten Stock benutzte Omar um Lenning klar zu machen:
,,Verunsichere die Jungs nicht, sie stellen sich unheimlich viel unter Dir vor. Wir haben ihnen viel erzählt von damals und...“ er machte eine Pause „...sie lieben Dich, denn Du bist anders als viele Europäer, die sie kennen und erwarte nicht zu viel am Anfang. Mach „Smalltalk“ und überlass uns das andere!“
Lenning verstand. Hier waren Omar und Ahmad wieder in den ihnen eigenen Rollen: Sie hatten Leute angeworben, für was sollte Lenning bald klar werden.
Als der Aufzug oben ankam, standen die Jungs schon bereit und traten durch die Tür in den Speisesaal. Eine freundliche Kellnerin kam auf die Gruppe zu.
An Wolf Lenning gewandt fragte sie:
,,Mr. Lenning?“
Lenning war verblüfft, dass sie seinen Namen kannte und nickte.
,,Mr. Khabülam?“ Sie war sich offensichtlich nicht sicher, ob sie Omar oder Ahmad ansprechen sollte und ihre Augen blieben bei Omar hängen.
,,Ja!“ antwortete der Angesprochene.
,,Wir haben das Nebenzimmer für neun Personen für sie vorbereitet.“
Lenning zählte im Geiste nach, „vier Junge plus drei“ „Sieben!“ sagte er laut.
,,Nein!“ Omar unterbrach ihn. ,,Wir erwarten noch zwei Gäste.“
Lenning war erstaunt, sagte jedoch nichts und die Gruppe begab sich zu dem mit viel Gefühl und geschmackvoll eingerichteten Nebenzimmer, in dem regelrecht aufgetafelt worden zu sein schien. Jedenfalls stand neben dem Aperitifglas ein Rotweinglas, ein Weißweinglas und Besteck für mindestens drei Gänge. Omar geleitete Lenning zu einem Platz in der Mitte und zog den Stuhl vor, wortlos ließ sich Lenning nieder und auch die übrigen nahmen Platz. Für Lenning wurde die Angelegenheit jetzt regelrecht spannend. Auch fiel ihm auf, dass die beiden Plätze ihm gegenüber freigehalten waren. Wer würde dort erscheinen? Lenning glaubte, nicht lange warten zu müssen. Noch bevor die Kellnerin einen trockenen Sherry servieren wollte, traten zwei Männer in die Tür, bei deren Anblick Lenning nicht wusste, ob er sich freuen sollte oder ob Vorsicht geboten war. Offensichtlich kannte er die beiden.
Er ging auf die beiden Männer zu.
,,Hallo Terry, hallo Tom, seid Ihr es wirklich?!“
Der Größere von beiden trat auf ihn zu. Er war mindestens einen Meter neunzig groß und deutlich als Amerikaner zu erkennen. Lenning hatte ihn Tom genannt.
,,Du erinnerst Dich noch an Terry?“
Terry war etwa so groß wie Lenning und damit um circa zehn Zentimeter kleiner als Tom und trug wie Lenning einen Vollbart.
,,Sicher erinnere ich mich an Terry. Terry war damals für eine Ölgesellschaft tätig, stimmt´s?“
Terry nickte.
„Ja, wir hatten uns vor vielen Jahren in Hong Kong kennen gelernt. Später hatte ich einen Autohandel in Kalifornien.“
„Ah...“ meinte Lenning, „I remember.“
Wolf Lenning und Omar kosteten den inzwischen servierten Sherry und Ahmad brachte einen Toast aus:
„Auf das Gelingen, was immer es auch sei!“
„Möge es uns gelingen!“ rief Omar, der offensichtlich Wolf Lenning etwas sagen wollte.
Inzwischen wurde jedoch serviert, so dass ein Gespräch kaum möglich war. Es gab Caprese, Mozzarella mit Tomaten, gewürzt; auch wenn es nicht gerade ein skandinavisches Gericht war, das in diesem skandinavischen Lokal gereicht wurde, schien es für die Jahreszeit bestens geeignet.
Wolf Lenning beendete den Sherry und setzte das Glas auf ein Tablett, das die Kellnerin gerade in diesem Augenblick bereit hielt.
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