„Man kann die Mark nur einmal ausgeben!“ hatte schon Lennings Großvater festgestellt, um jeder unnötigen Verschuldung der Familienfirma entgegen zu wirken. Dass nachher viel mehr ausgegeben worden war, als dies Lennings Großvater lieb war, hatte wohl seine Ursache in den gespannten Familienverhältnissen damals: Lennings Großvater hatte eine jüngere Frau kennengelernt und mit Ihr eine Tochter gezeugt. Lange konnte dies verborgen bleiben, doch als es herauskam, war es Lennings Onkel, der seinem Vater die Daumenschrauben anlegte und so den wirtschaftlichen Zusammenbruch der dem Großvater abgepressten Teilbetriebe bewirkte. Lennings Großvater, der von sehr großer Gestalt war und ursprünglich ein unglaubliches Durchsetzungsvermögen besessen hatte, was ihm den Spitznamen Karl der Große eingebracht hatte, war in dieser Situation ganz einfach zu schwach, als man ihn, den Patriarchen, in rüder Art des Ehebruchs beschuldigte. Großvater Karl zog sich auch dann zurück in das Saarland, wo die junge Familie herstammte. Als er schließlich Mitte der siebziger Jahre unter zumindest nicht ganz geklärten Umständen den Tod fand und beerdigt wurde, war von der alten Familie nur Wolf Lenning anwesend...
Man muss nicht unbedingt den Pfennig so oft umdrehen, bis Kupferdraht daraus wird, aber irgendwie hat sich bei Lenning der Gedanke gesunden Wirtschaftens so festgesetzt, dass es ihm einfach wider den Strich ging, zuzuschauen, wie eine Verschuldungspolitik nach und nach die Zukunft künftiger Generationen kaputt zu machen drohte und deshalb wollte Lenning nicht länger abseits stehen und entschied, sich politisch zu betätigen.
Lenning war weit gereist und kannte die Erde von ihren schönen wie von ihren weniger schönen Seiten. Und so kam es, dass Rooy ein idealer Partner für Lenning auch auf politischem Gebiet wurde, denn Rooy kannte ebenfalls die Welt und besaß ebenfalls sehr gute Verbindungen. Beide dachten an eine internationale Volkspartei, die wirklich sich dem jeweiligen Volk verpflichtet sehen sollte und auf diese Weise gewährleisten musste, dass sich die Völker als gleichberechtigt partnerschaftlich gegenüberstehen. Der Markt, nicht der Krieg sollte die Verteilung regeln, sowohl im Inneren als auch nach außen, während die soziale Komponente von jedem Staat den jeweiligen Bedürfnissen entsprechend für das Volk auszugestalten sein sollte. In diesen Überlegungen hatte Lenning vor einem Jahr Rooy in Melbourne in Australien besucht, wo ein laufender Prozess sehr enge Bezüge zu diesem Hamburger Rechtsstreit aufwies. Entgegen den Empfehlungen Lennings war in diesem Prozess ein Vergleich geschlossen worden, der Rooy zwar einen kleinen Teil seines Schaden wieder gut machen konnte; das Gros aber wollte sich Rooy in Hamburg holen und hier stand der Prozess derzeit nicht zum Besten. Grund hierfür war vor allen Dingen die lange Zeit des Zuwartens, mit der sich Rooy nicht nur in erheblichem Umfang in Beweisnot gebracht hatte, sondern die Möglichkeit, dass der Gegner Verjährung einwenden konnte, gewann exakt der Vorhersage Lennings entsprechend an Bedeutung und schließlich spielte es eine bedeutsame Rolle, dass Rooy entgegen seiner sonst so bescheidenen und sparsamen Art in diesem Prozess unglaublich uneinsichtig agierte und von Anfang an dem Deutschen Recht fremde astronomische Summen forderte. Auch wenn Lenning zunächst das Gefühl hatte, Rooy sei etwas verstimmt, muss dies eine Fehleinschätzung gewesen sein, denn Rooy war gleich wieder ganz der Alte und wollte unbedingt Lenning zum Abendessen einladen. Lenning jedoch hatte noch eine ganz wichtige Sache vor, konnte jedoch nicht den gesamten Hintergrund offenbaren. So musste er auch Hildegard zum Seelendoktor bringen, der inzwischen Chefarzt in Rendsburg war.
Darüber hinaus hatte Lenning eine Verabredung in Hamburg, an der ihm sehr viel gelegen war. Diese Verabredung war eigentlich der abenteuerlichste Punkt bei dieser „Dienstreise“ und Lenning sprach über dieses Thema noch nicht einmal sehr viel mit Hildegard. Hildegard wusste zwar in groben Zügen, um was es ging, aber den Hintergrund im Einzelnen hätte sie ohnehin nicht verstanden: Lenning besuchte in Hamburg dort lebende Kameraden aus der Zeit des kalten Krieges. Während dieser Zeit war die damalige Sowjetunion bekanntlich in Afghanistan eingefallen und die dortige Bevölkerung wehrte sich nach besten Kräften entsprechend ihrer Tradition. Sicher wäre sie der Roten Armee hoffnungslos unterlegen gewesen, hätten damals die USA nicht etwas für die Unterstützung dieser Freiheitskämpfer getan. Ebenfalls entsprechend guter Tradition setzten die USA damals nicht schwerpunktmäßig eigenes Personal ein, sondern warben Leute aus anderen Ländern für solche „Abenteuerreisen“ an.
Zweimal war Lenning dabei gewesen und hatte es nicht bereut. Das Maß an Lebenserfahrung, das er dort gewonnen hatte, wäre durch nichts zu ersetzen gewesen. Aber schon damals hatte Lenning das Gefühl, dass nicht alles mit rechten Dingen zuging und er sah sich in diesem Gefühl bestätigt, wenn er nach dem Jahrtausendwechsel seine damaligen Kameraden nunmehr auch in Deutschland traf. Es gab immer interessantes Hintergrundwissen und die Gespräche an sich und das Wiedersehen mit alten Bekannten machten Lenning sehr viel Freude und ließ die Vergangenheit für ihn lebendig werden, damit er die Zukunft besser verstehen könne.
Und so fuhr Lenning abends von Rendsburg zurück nach Hamburg, während Rooy versprochen hatte, Hildegard in Rendsburg beim dortigen Kreiskrankenhaus abzuholen. Auf der Fahrt nach Hamburg telefonierte Lenning sehr viel. Wahrscheinlich telefonierte er den ganzen Weg, so dass die Gedanken für ihn zunächst verschwommen waren, als er vor sich die Ausfahrt Hamburg-Stellingen auftauchen sah. Automatisch zog er den Wagen nach rechts und bremste scharf ab. Fast wäre er doch durch den Elbtunnel gefahren, dachte er. „Man darf beim Fahren wirklich nicht zu viel abgelenkt sein!“
Im nächsten Augenblick schaltete die Ampel auf rot, aber Lenning hatte es noch bei gelb geschafft. Er fuhr auf das Hotel einer bekannten skandinavischen Kette zu. Das war der vereinbarte Treffpunkt und Lenning war nicht zu früh.
Er war gerade in den Hotelparkplatz eingebogen, als er eine Gruppe von elegant gekleideten Herren am Hoteleingang bemerkte. Ein Mann schien dem anderen ein Zeichen gegeben zu haben und alle bis auf ihn verschwanden im Foyer. Dieser Mann verließ den Hoteleingang und begab sich zum Parkplatz. Scheinbar zufällig führte ihn sein Weg zu dem Platz, an dem Lenning sein Fahrzeug abstellte. Lenning hatte wohl den Mann bemerkt, seinem Verhalten jedoch keine Bedeutung beigemessen. Als er ausstieg, kam der Mann auf ihn zu und erst als sich beide fast gegenüber standen, rief er aus:
„Wolf, bist Du es?“
„Ah, Omar, ich hätte Dich fast nicht wiedererkannt!“
Die beiden Männer begrüßten sich herzlich. Ein unbefangener Beobachter hätte annehmen können, es handele sich um ein geschäftliches Treffen, denn beide waren mit Anzügen in dezenten Farben und Krawatten “geschäftsmäßig“ gekleidet. Dies war auch Lenning aufgefallen, denn er bemerkte Omar gegenüber:
,,Als ich Dich das letzte Mal gesehen habe, hattest du etwas anderes angehabt.“
Omar musterte Lenning von oben bis unten und entgegnete ihm im ungläubigem Ton:
,,Schon allein wegen der Kleidung hätte ich Dich auch nicht erkannt, Du warst nämlich damals immer anders angezogen.“
Omar dehnte die Wörter und blickte beiläufig zum Hoteleingang. Dort war in diesem Augenblick ein schwarzes Fahrzeug vorgefahren, dessen Fond zwei Männer, ebenfalls mit Anzug, entstiegen. Das Fahrzeug bewegte sich zum Parkplatz, passierte diesen jedoch ohne anzuhalten und verließ ihn wieder in Richtung Innenstadt.
Auch Lenning hatte das Fahrzeug und die Männer bemerkt und schaute Omar an. Ein kurzes Zucken in Omars Augen machte Lenning klar, dass er verstanden worden war. Lenning und Omar gingen zum Hoteleingang und verharrten dort noch einen Augenblick, ohne eigentlich zu wissen warum. Dann traten sie in das Foyer. Die Gruppe, mit der Omar vorher am Eingang gestanden hatte, hielt sich an der Bar auf, die linker Hand mit nordisch schlichter Sachlichkeit und verschiedenen Fähnchen neu eingerichtet worden war. Lenning und Omar schlenderten zu der Bar, während die Gruppe die beiden interessiert beobachtete. Während Lenning und Omar etwa fünfzig Jahre alt waren, waren vier Männer der Gruppe an der Bar deutlich jünger; nur einer schien auch in ihrem Alter zu sein. Er löste sich aus der Gruppe und kam schnellen Schrittes auf Omar und Lenning zu.
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