Tom nickte müde.
„Nicht ganz alles, aber im Großen und Ganzen. Es kommt insbesondere auf eine ganz bestimmte Gruppe an, aber das können wir jetzt überspringen. Dazu bekommt ihr alle Einzelheiten später und dafür können wir zum nächsten Tagesordnungspunkt übergehen. Wolf, Du hast mit dieser Sache kaum etwas zu tun, es sei denn, es gibt für Dich etwas als Anwalt zu schaffen. Aber ich nehme an, Du kannst uns dann auch jemanden empfehlen.“
Es war sehr spät geworden, als sich die Herrenrunde aufzulösen begann. Den Anfang machte dabei Wilhelm Lenning, der wohl den weitesten Weg zurückzulegen hatte, denn er wollte ja nach St. Peter Ording, wo Hildegard und Freddy auf ihn warteten. Außerdem wollte er mit Rooy noch ein Fläschchen Wein trinken, bevor dieser wieder nach Australien zurückkehren würde.
„Du kommst doch sicher wieder nach Hamburg, um mit John zu sprechen?“ fragte Tom.
„Tom, frag´ doch Omar, was für eine Beobachtung wir vorhin gemacht haben.“ entgegnete Lenning.
Tom blickte Omar fragend an.
„Ja, da war so ein Fahrzeug. Hat eine Ehrenrunde über den Hotelparkplatz gedreht, zwei Männer sind ausgestiegen und dann ist es in Richtung Innenstadt verschwunden.“
Lenning nickte.
„Ja, weißt Du, es war so ein Fahrzeug, wie wir es früher auch gefahren haben.“
„Zu Gladiozeiten?“, ergänzte Tom fragend.
„Ja, oder bei der USMM 1.“ (US Military Mission)
„Ah!“ dehnte Ahmad, der Omar fragend ansah. „Es saßen drei Personen drin, mehr kann ich dazu nicht sagen.“
„Dann wirst Du verstehen, dass ich heute nicht nach Harburg komme!“ Wilhelm Lenning schien sich hier sicher zu sein. „Ein andermal.“
Der Abschied war dank der fortgerückten Stunde entsprechend kurz und Lenning dachte angestrengt darüber nach, wann er John treffen könnte.
Auf dem Rückweg nach Braunschweig wird sich sicher eine Chance bieten, aber er wollte bewusst Hildegard und Freddy da raushalten.
***
Rechtsanwalt Lenning war wieder auf dem Rückweg von Braunschweig in die Pfalz. Er war allein mit Dax, dem Labrador. Hildegards Auto war bereits von Fritz und Bea in die Pfalz geholt worden und zum Abschied hatte Wilhelm Lenning zu Hildegard freundschaftlich gesagt:
„Du hast jetzt eine Zeit lang kein Fahrzeug. Wenn Du größere Einkäufe machen musst, warte halt, bis ich wieder da bin!“
Hildegard zuckte die Schultern und Tränen traten in ihre Augen. Sie schien erst jetzt die Bedeutung der Entziehung der Fahrerlaubnis erkannt zu haben. Nachdem Lenning die Stadt verlassen hatte und, in Gedanken versunken auf der Autobahn fuhr, kam ihm wieder der Gedanke:
„Was hat Ellen mit Hamburg gemeint?“
Von jenem Zusammentreffen in dem skandinavischen Hotel hatte er ihr - da war er sich sicher - kein Wort erzählt. Aber war es möglich, dass er vielleicht vom Zusammentreffen mit John etwas gesagt hatte!?
Lenning rief sich die Ereignisse der letzten Monate ins Gedächtnis zurück. Damals war er noch abends von Hamburg nach St. Peter Ording gefahren und hatte einen schönen Abend mit Rooy, Hildegard, Freddy und Rooys Freundin verbracht. Man hatte guten Wein getrunken, nachdem man sehr gut zu Abend gegessen hatte; Rooy hatte es sich nicht nehmen lassen, seine deutschen Freunde einzuladen. Er hatte ganz seine übliche, lustige Art behalten, obwohl es Lenning schien, als ob Rooy etwas zaghafter geworden wäre. Rooy war am nächsten Morgen mit den anderen an den Nordseestrand gegangen und seine Freundin hatte gesagt, das sei nicht ihr "Friesland", als Lenning erklärte, wie gern er die Nordfriesische Küste hatte. Schon nach kurzer Zeit wollte sie umdrehen, aber Rooy ging noch ein Stück mit den anderen, obwohl ihm der Wind den Atem nahm. Rooy atmete schwer. Lenning kannte dies von früher, denn Rooy war, seit er ihn kannte, schwer herzleidend. Nach kurzer Zeit willigte er dann ein, umzukehren und der Abend war weniger lustig, als der vorangegangene. Rooy war weniger zu Späßen aufgelegt und plante die Abreise für den nächsten Morgen ganz früh. Man verabschiedete sich schon deshalb abends, weil Lenning immer sagte, diese frühen Stunden am Tag seien seine beste Schlafenszeit. Tatsächlich verbrachte Lenning keine sehr ruhige Nacht, sondern wurde immer wieder durch Albträume aufgeschreckt und schließlich wollte er um jeden Preis am nächsten Morgen Rooy verabschieden. Man sieht sich ja nicht so oft, wenn der eine Freund in Australien und der andere in Europa wohnt, dachte Lenning. Aber vielleicht waren es auch andere Gedanken.
Natürlich hatte Lenning am nächsten Morgen verschlafen und so kam es, dass Lenning Rooy nicht mehr Lebewohl sagen konnte. Unangenehm berührt wischte Lenning düstere Gedanken beiseite.
Beim Frühstück wurde wenig geredet und man wollte so schnell wie möglich zurück nach Braunschweig. Lenning grübelte über verschiedene Sachen nach, insbesondere das Treffen vom vorgestrigen Abend ging ihm durch den Kopf. Spätestens als sie durch den Elbtunnel gefahren waren und sich den Harburger Bergen näherten, dachte er daran, am heutigen Tage noch John zu treffen. Die Fahrt nach Braunschweig war nicht zu lange und es wurden nur unwesentliche Gespräche geführt. Als die Reisenden in Braunschweig angekommen waren, eröffnete Lenning kurzer Hand den beiden verblüfften Mitreisenden, er müsse heute noch wegfahren. Ohne viel zu fragen, stiegen die beiden aus und nahmen ihre wenigen Gepäckstücke mit. Lenning versäumte es nicht, noch einmal schnell zur Toilette zu gehen und wenige Minuten später befand er sich mit Dax wieder auf der Autobahn Richtung Norden. Unterwegs wählte er die ihm überlassene Telefonnummer an. Tom meldete sich am Telefon.
„Hi Wolf!“ begrüßte Tom den Anrufer. „Wir waren sicher, dass Du uns anrufen würdest. Wann und wo wollen wir uns treffen?“
Lenning hatte sofort eine Idee. „Auf halbem Weg, in Dorfmark im Heidekrug.“
Tom brauchte nicht lange zu überlegen. „Wir sind in einer Stunde da, ok?“
„In Ordnung,“ quittierte Lenning.
Danach erledigte er noch einige Telefongespräche und als er die Autobahn in der Lüneburger Heide verließ, war er sicher, das Richtige getan zu haben. Er stellte das Fahrzeug an der nahegelegenen Kirche ab und schlenderte mit Dax zum Lokal. Dort studierte er erst die Speisekarte und trat dann ein. Hoffentlich gab es schon Abendessen dachte er, denn gegen 16.30 Uhr ist es üblicherweise zu spät zum Kaffeetrinken und zu früh zum Abendessen. Es war noch niemand da. Er suchte sich einen abseitsgelegenen Tisch in einer Ecke und bestellte ein Pils. Es dauerte nicht sehr lange und draußen hörte er in Englisch sprechende Stimmen. Vier leger gekleidete Herren traten ein. Ohne lang zu überlegen steuerten sie auf den Tisch in der Ecke, an dem Lenning saß, zu. Hände wurden geschüttelt, begleitet vom freundschaftlichen Lachen, Lenning begrüßte alle mit Handschlag, allen voran John.
„John, schon lange nicht gesehen!“
„Ja, an mir hat es nicht gelegen,“ erwiderte John.
„Naja, Du warst vorgestern nicht dabei!“
„Hallo Omar, guten Abend Ahmad!“ setzte Lenning die Begrüßung fort.
Und schließlich wurde als letzter Tom mit Handschlag begrüßt.
„Heute gibt es aber keinen extra alten Cognac und keine Zigarren aus Kuba,“ bemerkte Tom spitz.
„Nein, das kannst Du hier nicht erwarten,“ stimmte Lenning zu.
Die Runde unterhielt sich lebhaft, aber nicht unangenehm laut. Immerhin hatten sich John Bullock und Wolf Lenning über 15 Jahre nicht gesehen.
„Also,“ meinte John zu Wolf, „ich wäre gern vorgestern dabei gewesen, aber sicher hast ja Du auch den schwarzen Straßenkreuzer gesehen und deshalb war es besser, ich war nicht da.“
Wolf Lenning nickte.
„Und deshalb war es auch besser, dass ich nachher nicht mit raus in die Harburger Berge kam.“
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