„Werden die Burschen nicht bewacht?“
„Wozu?“ Der Pferdefürst lächelte. „Sie können hier nicht weg. Der Nordpass und der Südpass sind gut geschützt, und jeder Reisende wir kontrolliert, seit wir Kenntnis von der Bruderschaft haben. Zudem sucht man noch immer nach dem Gesetzlosen Garwin.“
Garwin war der Sohn des toten Pferdefürsten Garodem. Es wäre an ihm gewesen, dessen Nachfolge anzutreten und die Hochmark zu leiten. Doch er hatte sich als ehrlos und sogar als Verräter erwiesen und war aus dem Pferdevolk verstoßen worden. Es hieß, dass er noch immer Anhänger fand und eine geheime Mark führte, doch bislang hatte man ihn nicht fassen können.
An der Festung von Eternas vorbei gingen sie zu dem Areal hinüber, auf dem sich die Anlage der Schwertmänner befand. Ursprünglich hatte die Mark nur fünfzig Kämpfer unter Waffen gehalten, und diese hatten in der Burg gelebt. Doch seitdem war die Bevölkerung gewachsen und hatte auch Zuwanderung aus den anderen Marken erhalten. Inzwischen brachte die Hochmark fast achthundert Kämpfer in den Sattel, und so war für sie und die Pferde eine eigene Anlage westlich der Festung errichtet worden. Sie erhob sich auf jenem Platz, der den gemeinsamen Übungen der Pferdelords und Schwertmänner diente.
Nun war das einst freie Feld im Westen und Norden von Gebäuden umgeben. Im Norden standen die eingeschossigen Unterkünfte der Schwertmänner. Sie waren lang gestreckt und flach, aus massivem Stein erbaut und mit Stein gedeckt. Ihre Türen und Fenster waren klein, sodass die Gebäude eher wie kleine Festungen wirkten, was sie im Grunde auch waren. Die Öffnungen ließen sich durch metallene Platten auf schmale Schlitze verengen. Kein Brandpfeil vermochte diesen Bauten zuzusetzen. Im Inneren bestanden die Unterkünfte aus den Kammern für die Scharführer, einer Sattel- und Rüstkammer und einem großen Raum, in dem die einfachen Schwertmänner ihre Bettstatt und Kleiderkiste hatten.
Im Westen befanden sich die Ställe und Koppeln. Achthundert Schwertmänner brauchten neben ihren Reitpferden auch Ersatzpferde. Zudem mussten Vorräte und Abfälle transportiert werden, sodass fast zweitausend Tiere im Umfeld der Burg grasten. Es bestand noch kein Problem bei der Versorgung von Mensch und Tier, aber Nedeam wusste, dass die Hochmark zunehmend die Grenze ihrer Möglichkeiten erreichte.
Der Süden des Platzes wurde nicht von den neuen Gebäuden begrenzt. Von hier hatte man freien Blick auf die nahe Stadt Eternas.
Nedeam und Lotaras gingen am Flussufer entlang, bis sie zu der kleinen Brücke kamen, die den Eten überspannte. Ein paar Kinder spielten hier und ließen flache Steine über das Wasser springen, sehr zum Missvergnügen zweier Männer, die ihre Angeln in der Hoffnung auswarfen, ein paar Fische zu ergattern.
„Die Männer müssen neu in Eternas sein“, stellte Nedeam fest. „Fische gibt es oberhalb und weit unterhalb der Stadt. Das Wasser in der Nähe von Eternas schmeckt ihnen nicht.“
„Wenn man weiß, was die Stadt in den Fluss einleitet, kann man das gut verstehen“, erwiderte der Elf lächelnd.
Sie hielten sich links und gingen an den Ehrenwachen am Burgtor vorbei in Richtung der Garnison der Schwertmänner. Als sie das Areal erreichten, wurde die vielfältige Betriebsamkeit sichtbar, die für eine militärische Anlage so typisch war.
Zwei Beritte übten die enge Marschformation in Viererkolonne. Das Stampfen der zweihundert Pferde ließ den Boden beben und wirbelte Unmengen von Staub auf. Auf einer Koppel wurden neue Pferde zugeritten. Viele Schwertmänner und auch ein paar Stadtbewohner sahen dabei zu, feuerten Zureiter oder Pferd an und sparten nicht mit Kommentaren, wenn sich der Reiter nicht im Sattel halten konnte. Später, wenn die Pferde zugeritten waren, würde man auf eine Einzäunung verzichten können. Ausgebildete Reittiere liefen beim Pferdevolk nicht fort.
An einer anderen Stelle war die Kampfausbildung der Pferde zu sehen. Die Reiter lenkten sie nur mit Schenkeldruck und führten Schild und Lanze, während das Gespann zwischen Hindernissen und aufgestellten Strohpuppen hindurchgaloppierte. Während die Kavalleriepferde der Garde von Alnoa ihre Reiter lediglich trugen, waren die ausgebildeten Pferde der Schwertmänner Kampfgefährten ihrer Reiter. Sie wussten, wie sie Gebiss und Hufe effektiv einsetzen konnten. Das setzte allerdings eine nahezu symbiotische Beziehung zwischen Pferd und Reiter voraus und war der Grund, warum Schwertmänner ihr Pferd nur ungern wechselten. Jeder der Kämpfer musste seine Reittiere persönlich zureiten und war dann auch für ihre Ausbildung und Versorgung verantwortlich. So arbeitsintensiv dieses Verfahren auch sein mochte, es machte die Pferdelords zu jenen gefürchteten Reitern, als die sie bekannt waren.
Vor einer der Unterkünfte übten sich einige Schwertmänner im Kampf zu Fuß. Wie Nedeam und Lotaras es erwartet hatten, war dort auch die übergroße Gestalt von Fangschlag zu finden.
Das riesige Rundohr trug Wams und Beinkleid des Pferdevolkes und sah darin eher befremdlich aus. Dieser Eindruck wurde durch seine Stiefel noch verstärkt. Die Rundohren der Legionen trugen metallverstärkte Kampfstiefel, bei denen die Zehen frei blieben. Fangschlag hatte sich ein paar übergroße Lederstiefel des Pferdevolkes anpassen lassen und eigenhändig die Spitzen abgeschnitten, sodass die Krallen seiner Zehen daraus hervor ragten.
Der Unterführer der übenden Schwertmänner sah Nedeam und Lotaras herantreten, unterbrach die Übung und entbot seinen Ehrensalut.
„Lasst euch durch unsere Anwesenheit nicht stören“, dankte der Pferdefürst und sah die Kämpfer aufmunternd an. „Wie ich sehe, übt ihr euch im Umgang mit den Kriegshämmern.“
„Ich schätze eher die Klinge“, gab einer der Schwertmänner zu, „aber der gute Herr Fangschlag hat uns beigebracht, dass die Hämmer weit besser geeignet sind, um die schwere Rüstung eines Rundohrs zu zertrümmern.“
Nedeam nickte und sah den Ork lächelnd an. „Fangschlag ist ein erfahrener Krieger, und es lohnt sich, auf seinen Rat zu hören.“ Der Pferdefürst fragte sich, was der ungewöhnliche Kampfgefährte wohl dabei empfinden mochte, seinen ehemaligen Feinden Ratschläge zu erteilen, wie sie seine einstigen Kameraden am besten umbringen konnten. „Aber im Augenblick ist dieser Krieger nicht ganz vollständig, und das ist der Grund, warum ich und Lotaras hierher gekommen sind.“
Die Worte riefen überraschte Gesichter und ein Stirnrunzeln bei Fangschlag hervor.
Nedeam wollte den Ork nicht im Ungewissen lassen und holte das Tuchbündel unter seinem Umhang hervor. „Fangschlag, du bist nicht nur ein ehrenhafter Krieger, sondern du hast dich auch oft als treuer Kampfgefährte bewährt. Zum Stolz eines Kriegers gehört es, dass er eine ihm gebührende Waffe trägt. Die deine ging im Kampf um Nerianet verloren. So habe ich nun mit Lotaras Hilfe vor ...“ Der Elf machte prompt eine höfliche Verbeugung. „... diesen unhaltbaren Zustand zu ändern.“
Nedeam schlug das Tuch zurück, und Fangschlags Augen blitzten auf.
„Ein Schlagschwert!“
„Nach deinem Maß gefertigt und nach dem Vorbild deiner alten Klinge.“ Nedeam lächelte. „Gefertigt aus dem Stahl der Hochmark und mit dem geheimen Wissen der Elfen. Es ist sicherlich weit besser als deine alte Waffe.“
Seit Fangschlag sein altes Schlagschwert im Kampf gegen die Bruderschaft des Kreuzes eingebüßt hatte, behalf er sich mit einem Schwert der Pferdelords, doch er konnte dieser Waffe nicht viel abgewinnen. Ein Schlagschwert der Rundohren war länger und breiter, einschneidig und wies an der stumpfen „Spitze“ einen Haken auf, der dazu gedacht war, einen Reiter vom Pferd zu reißen. Es war eine brutale, unhandliche und sehr schwere Waffe, und Rundohren liebten sie über alle Maßen. Fangschlag bildete hier keine Ausnahme, wie das begehrliche Blitzen in seinen Augen verriet.
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