Parneck streckte sich und sah sein Gegenüber fast ein wenig triumphierend an. „Ich freue mich, Ihnen hier eine von Dr. Rickmans neusten Entwicklungen erläutern zu können, er hat sich die öffentliche Bekanntgabe zwar für die Eröffnungsfeier vorbehalten, aber ich glaube, in ihrem Fall kann ich eine Ausnahme rechtfertigen. Ich kann mich ja wohl auf ihre Diskretion der Presse gegenüber verlassen?“, dabei sah er Calaprese scharf an. Als dieser nickte, fuhr Parneck fort: „Sehen Sie das leichte Flimmern der Luft über der Insel?“
Jetzt, wo er es erwähnte, fiel es auch Sam zum ersten Mal auf. Es war allerdings kaum wahrzunehmen und ohne Parnecks Hinweis hätte sie es wahrscheinlich gar nicht bemerkt.
„Das ist eine Art kuppelförmiger Schirm, der nur wenige Atome dünn ist und das Sonnenlicht durchscheinen lässt, feste Körper bis zu einem gewissen Gewicht und Volumen jedoch abstößt, wie zum Beispiel Regentropfen, Sand, Vogelkot, aber auch weitgehend Wind und sogar Stürme abhält oder doch wesentlich mindert. Er reicht circa zwei Meter ins Wasser hinein und wird nur von den Terminals, durch die sie beide gekommen sind, permanent durchstoßen.“
Tatsächlich fiel Sam erst in diesem Moment auf, dass es auf der Insel fast völlig windstill war.
„Garantiert konstante, für ein Kunstwerk ideale Bedingungen, besonders hinsichtlich Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Minimale äußere Einflüsse. Weitestgehender Schutz.“
Calaprese hakte nach: „Ein Schutzschirm? Das klingt mir ein bisschen nach Science Fiction. Ich könnte mir vorstellen, dass es da ganz andere Anwendungen gäbe, als ein Museum zu überdachen. Haben da nicht die Militärs das größte Interesse daran?“
Parneck lächelte. „Ganz so wie in den Filmen dieses Genres dürfen Sie es sich nicht vorstellen, Professore. Der Schirm ist nicht in der Lage, sehr schnelle Objekte wie zum Beispiel ein Geschoss abzuwehren und auch größeren Belastungen, sagen wie einmal von mehr als 120 Kilogramm, würde der Schirm nicht standhalten. Sie müssen ihn sich - laienhaft ausgedrückt - mehr wie ein Treibhaus oder ein sehr dünnes Plastikzelt vorstellen. Die Anwendungen, die Dr. Rickman im Auge hat, liegen im agrikulturellen Bereich. Man könnte etwa Felder in klimatisch für den Ackerbau ungeeigneten Gegenden überdachen oder ähnliches. Allerdings ist die dafür notwendige Technologie noch zu teuer und der Einsatz würde heute den Ertrag noch nicht lohnen.“
Calaprese schien für einen Moment beeindruckt, kehrte aber sofort wieder zu seinem eigentlichen Thema zurück: „Ist es nicht für das Objekt trotzdem sehr riskant, so eine Translozierung?“
„Natürlich gibt es dabei immer Risiken, das will ich nicht verhehlen. Besonders bei alten Bausubstanzen. Sie sind aber gerne eingeladen, sich in den nächsten Tagen den Aufbau des Hauses aus Großbritannien anzusehen, das gerade angeliefert wird. Frau Merkmann hatte einen großen Anteil an seiner Beschaffung.“
Calaprese sah Sam bewundernd an und sie errötete leicht.
Die Arbeitsteams hatten bereits begonnen, mit schwimmenden Kränen kleinere Teile aus dem Flugzeug ans Ufer zu hieven, wo sie durch eine freigeschaltete Lücke im Kuppelschirm bugsiert wurden. Man hörte den Arbeitslärm bis hierher, da das Haus nicht weit vom Dom errichtet werden sollte. Sam bemerkte auch, dass weitere Transportschiffe riesige Felsbrocken brachten, aus denen eine Art künstliche Steilküste aufgetürmt wurde.
Calapreses dunkle Augen bekamen einen eigentümlichen Glanz, als sein Blick wieder über den Außenbau des Domes wanderte.
„Er ... er ist in einem weitaus besseren Zustand, als ich ihn in Erinnerung hatte.“
„Natürlich. Sehen Sie, der Dom war in den letzten Jahrzehnten stark baufällig geworden, das muss ich Ihnen nicht eigens erläutern. Die UNESCO hat ein umfangreiches Gutachten darüber vorliegen. Die Kuppel drohte einzustürzen und konnte die gewaltige Laterne kaum mehr tragen, die Fresken im Inneren hatten schon beträchtlichen Schaden genommen, das südliche Seitenschiff gab nach und die Risse im Mauerwerk waren schon nicht mehr zu zählen. Auch einer der Vierungspfeiler war stark lädiert. Es blieb eine Frage der Zeit, bis die Kuppel eingestürzt wäre und leider haben weder die UNESCO noch die Stadt Florenz oder der italienische Staat, geschweige denn die Kirchengemeinde genügend finanzielle Mittel für eine umfassende Restaurierung aufbringen können.
„Das ist leider nur allzu wahr“, musste Calaprese zugeben, „selbst alle konzertierten Bemühungen haben hier zu keinem wirklichen Ergebnis geführt. Verschiedene Spendenaktionen, unter anderem von der Stadt ins Leben gerufen, hätten gerade einmal ein knappes Viertel der Kosten für die notwendigen Maßnahmen zusammengebracht, alle Versuche der letzten Jahrzehnte waren vergebliches Stückwerk.“
Parneck nickte zustimmend und fuhr zufrieden fort: „Dr. Rickman hat, wie Sie wissen, nach langen und zähen Verhandlungen, dann aber mit ausdrücklicher Billigung all der genannten Institutionen und überdies sogar mit dem Segen des Heiligen Stuhles den Dom als Dauerleihgabe erworben. Er hat ihn nicht nur hierherbringen und wieder aufbauen, sondern dabei auch grundlegend restaurieren lassen. Sie können mir glauben, dass es dabei an entsprechender Vorsicht und Sorgfalt nicht gemangelt hat. Die fähigsten Architekten, Ingenieure und Baustatiker der Welt haben sich hier an Knowhow überboten. Es sind am Bau keinerlei Beschädigungen durch die Translozierung entstanden, da mit einer speziellen, von Rickmans Wissenschaftlern weiterentwickelten Lasertechnik gearbeitet wurde, die es ermöglichte, eine Zerlegung der Bausubstanz unter Berücksichtigung der originalen Fugenlagen vorzunehmen, so dass man das gesamte Gebäude ohne einen einzigen Schnitt in die originale Bausubstanz abtragen konnte“. Parneck sah, dass Calaprese durchaus beeindruckt war und fuhr fort: „Die ursprüngliche, grandiose architektonische Intention von Brunelleschi kommt durch Korrekturen am Bauwerk, da, wo sie uns notwendig erschienen, heute viel klarer zum Ausdruck als in den letzten Jahrhunderten, wo zahlreiche mehr oder weniger unsachgemäße Reparaturen vorgenommen wurden. Sehen Sie nur die Außengalerie der Kuppel.“
Calaprese sah hinauf und bemerkte, dass die Ziergalerie am Tambour der Kuppel, die im 15. Jahrhundert zwar begonnen, aber nie ganz um die Kuppel herumgezogen worden war, sich nun vollständig ergänzt darbot und mit ihrem weißen Marmor oberhalb der großen Rundfenster gleichsam eine wunderschöne Krone um das rote Haupt der Kuppel formte. In einer solch vollendeten Schönheit hatte Calaprese die Kuppel noch nie gesehen. Störende Verunstaltungen aus vielen Jahrhunderten waren schonend entfernt und sachgerecht restauriert worden.
Auch der Freiraum um den Dom herum war für Calaprese ungewohnt, zwar fehlten die gewohnten, begleitenden Gebäude des Campaniles von Giotto und des romanischen Baptisteriums, aber auch die vielen, zum Teil ziemlich hässlichen Häuser der Florentiner Innenstadt, darunter auch zahlreiche Neubauten der letzten Jahrzehnte, die den Dom von allen Seiten einengten und bedrängten, von den vielen Souvenirständen und dem ständig tobenden Verkehrschaos gar nicht zu reden. In den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts und im beginnenden 21. Jahrhundert, als noch viele mit Benzin oder Diesel angetriebene Autos auf den Straßen fuhren, hatten die Abgase der Verbrennungsmotoren dem Bauwerk stark zugesetzt.
Hier auf der Museumsinsel stand der Dom allein, in einer solitären Schönheit, erhabenen Ruhe und einer majestätischen Größe, mit der er wohl im 15. Jahrhundert auf den gläubigen Besucher einen ungeheuren Eindruck gemacht haben musste.
Calaprese holte tief Luft.
Parneck fuhr bereits fort: „Überdies hat Dr. Rickman sich sehr großzügig gezeigt, was finanzielle Zuwendungen für die Sanierung anderer gefährdeter Bauten in ihrer Heimatstadt anlangte, Professore, ich erinnere nur an die Rettung von San Miniato al Monte, Santa Maria Novella und der Pazzi-Kapelle. Und auf dem Baugrund des Domes ließ er eine Nachbildung errichten, die heute nur von Fachleuten vom Original unterschieden werden kann. Der Papst persönlich hat die Kopie geweiht und ihr damit quasi den religiösen Ritterschlag der Kirche verliehen.
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