Weil Menschen wirklich das Konzept eines Experimentes verstehen und in Betracht ziehen, dass sie an einem teilnehmen, können wir menschliches Handeln nicht auf dieselbe Art und Weise testen, wie wir das bei dem Verhalten von Photonen tun. Stattdessen müssen wir die wesentlichen Bestandteile menschlichen Handelns in Gedanken isolieren. Darauf aufbauend, dass wir selbst menschliche Wesen sind und dieselbe Logik des Handelns verwenden wie unser isolierter Held, versuchen wir, diese Bestandteile zu verstehen.
Die Entstehung des Wertes
Nun, Rich ist also alleine auf der Insel und weiß nicht, ob und wann er gerettet werden wird. Welche Einblicke kann die Ökonomie aus dieser Situation gewinnen?
Zuerst muss Rich ein Ziel für seine Zeit auf der Insel finden. OK, für den Moment steckt er dort fest. Akzeptiert man das als Rahmenbedingung, was soll er dann tun? Die Antwort auf diese Frage besteht darin, ein Ziel festzulegen. Vielleicht liegt sein Ziel darin, zu überleben, bis er gerettet wird. Während dieses Ziel rational genug erscheint, müssen wir uns vor Augen halten, dass andere ebenso möglich sind. Vom Standpunkt der Ökonomie aus ist kein besonderes Ziel mehr oder weniger gültig (um einen wichtigen Aspekt noch einmal zu betonen: das bedeutet nicht, dass die Ökonomie aussagt, dass ein Wertsystem gleich gut ist wie irgendein anderes. Ökonomie versucht einfach nicht, auf die Fragestellung einzugehen, was wir wertschätzen sollen).
Nehmen wir einmal an, dass Rich ein ergebener Anhänger der Religion des Jainismus sei. Es verstößt gegen seine religiösen Prinzipien, einem lebenden Wesen etwas zu Leide zu tun. Während er eine Kokosnuss oder zwei zusammenkratzen kann, wird ihm klar, dass er langsam verhungern wird, wenn er darauf verzichtet, die Ratten, die es auf der Insel im Überfluss gibt, zu grillen. Und doch lebt er nach seinen Prinzipien. Bedeutet das, dass Rich Ökonomie ignoriert oder sich irrational verhält? Während manche Schulen der Ökonomie „Ja“ sagen würden, lautet die Antwort für einen Österreichischen Ökonomen entschieden „Nein“. Rich verfolgt einfach das Ziel, das er am höchsten bewertet, nämlich das, an seinem religiösen Glauben festzuhalten.
Wie auch immer, nehmen wir einmal an, dass Rich jetzt das Überleben als sein eigentliches Ziel auserkoren hat. Für sein Überleben braucht er Wasser, Nahrung, ein Dach über dem Kopf und Erholung. Das sind die Mittel, mit denen er sein Ziel zu erreichen hofft. Unterkunft hat er sich allerdings noch keine gebaut. Nahrung ist zwar verfügbar, aber über die ganze Insel verstreut und nur mit einiger Mühe zu sammeln. Es gibt Quellen, aber nur mit einer geringen Schüttung an Frischwasser.
Weil Rich noch andere Mittel einsetzen muss, um an Wasser, Essen, eine Unterkunft und an Erholung zu kommen, sind diese selbst untergeordnete Ziele geworden. Essen ist ein Mittel bezogen auf das Ziel „Überleben“, aber ein Ziel, das durch das Mittel des Rattenfanges angestrebt wird. Dasselbe Gut kann vom Blickpunkt des Planes A ein Mittel sein und ein Zweck vom Blickpunkt des Planes B.
Also findet sich Rich in einer Situation wieder, die der aller anderen Menschen ähnlich ist: Er strebt einige Ziele an, hat aber nur begrenzte Mittel zur Verfügung, um diese Ziele zu erreichen. Er muss mit seinen Mitteln haushalten, um die vorrangigen Ziele erreichen zu können. Wenn er zum Beispiel seine ganze Zeit darauf verwendet, eine Unterkunft zu bauen, wird er weder Essen noch Wasser haben.
Rich muss mit seiner Zeit sparsam umgehen. Er muss auch andere Ressourcen sparen. Er kann es sich nicht leisten, alle Kokosnüsse von den Palmen zu schütteln, nur damit dann die verrotten, die er nicht essen kann. Obwohl er gerne Wasser zum Kochen hätte, hat er doch nur genug zum Trinken. Daher muss er seine Wasservorräte fürs Trinken verwenden, wenn er überleben will.
Wie entscheidet Rich, auf welche Weise er seine knappen Ressourcen einsetzt? Um das zu tun, muss Rich wählen. Sogar nachdem er das Überleben als sein erstes Ziel ausgewählt hat, muss er immer noch entscheiden, wie er es erreichen will. Und solange Rich seinen Minimalbedarf mit einem geringeren als seinem höchsten Arbeitsaufwand erreichen kann, muss er auch entscheiden, wie er diese Überschussenergie verwendet. Vielleicht ist Rich sehr eitel und es kümmert ihn sehr, wie er aussehen wird, wenn er gerettet wird. In diesem Fall wird er einen großen Teil seiner Überschussenergie für sein Aussehen aufwenden. Wenn er sehr risikoscheu ist, wird er seine Zeit damit verbringen, einen Lebensmittelvorrat anzulegen. Wenn er ein Wissenschafter ist, könnte er Experimente mit der lokalen Flora und Fauna anstellen.
Ökonomie beschäftigt sich nicht damit, wie Rich zu seinen Werten kommt. Sie betrachtet es als ihren Ausgangspunkt, dass Menschen manche Dinge höher schätzen als andere und dass ihre Handlungen diese Wertschätzungen widerspiegeln. Für die Ökonomie gilt es definitiv als gegeben, dass das, was höher geschätzt wird, ausgewählt wird und dass das aufgegeben wird, was niedriger geschätzt wird. Genau das ist die Logik des menschlichen Handelns und schon allein der Gedanke an Wesen, die dieser Logik nicht folgen, wäre für uns arg verwirrend.
Nehmen wir an, ich hätte Urlaub in Athen machen können, habe aber stattdessen Istanbul gewählt. Es ist ein sehr ungenauer Ausdruck, wenn man sagt, „ich hätte eigentlich Athen vorgezogen“, obwohl man Istanbul gewählt hat. Die Tatsache, dass ich in Wirklichkeit nach Istanbul gegangen bin, ist das eigentliche Vorziehen. Vielleicht habe ich es getan, weil die Flugpreise in die Türkei niedriger waren oder weil meine Frau sich für Istanbul entschieden hatte und ich nicht streiten wollte. Was auch immer, ich wählte Istanbul und nahm die damit verbundenen Kosten in Kauf, um dorthin zu kommen, weil ich diese Option Athen und den damit verbundenen Kosten, dorthin zu gelangen, vorzog.
Wenn wir sagen, dass mein Votum für Istanbul zeigt, dass ich es vorzog, bedeutet das nicht, dass ich danach nicht doch noch zum Schluss kommen kann, dass mein ursprüngliches Urteil falsch war. Nach der Reise könnte ich entscheiden, dass Istanbul nichts für mich ist und ich Athen hätte wählen sollen. Wir müssen sorgfältig darauf achten, dass wir Bewertungen im Vorhinein und im Nachhinein unterscheiden. Handeln setzt lernen voraus und lernen setzt voraus, dass ich, wenn ich A wähle, manchmal entdecken werde, dass ich eigentlich B hätte wählen sollen.
Die Vorstellung, dass wir immer das wählen, was wir vorziehen, mag etwas extrem erscheinen. Sie möchten vielleicht unter Protest geltend machen: „Ich ziehe es nicht vor, zum Zahnarzt zu gehen, trotzdem tue ich es.“ Umgangssprachlich ist diese Aussage in Ordnung, aber Ökonomie muss präziser sein. Wenn Sie die Entscheidung treffen, dann wägen Sie den Nutzen des Nicht-zum-Zahnarzt-Gehens (d. h. kein Bohren) mit den Kosten (Karies) ab. Die Tatsache, dass sie dann doch gehen, setzt voraus, dass Sie den Zahnarzt der Alternative der verfaulten Zähne vorziehen, trotz des Schmerzes, den das mit sich bringt. Was Sie meinen, lautet präzis formuliert, dass Sie wünschen, dass Zähne niemals kariös würden und Zahnärzte unnötig wären.
Ökonomie beschäftigt sich nicht mit der Welt der Wünsche und müßiger Phantasien – außer wenn diese Tagträume sich in Handlungen manifestieren. In der Alltagssprache können wir sagen: „Ich hätte gerne einen Eistee, wenn ich nach Hause komme.“ Das zeigt einen Handlungsplan an. Aber für die Ökonomie ist es die Handlung selbst, die zählt, und der Plan hat nur so weit Bedeutung, als er die Handlung beeinflusst. Präferenzen werden vom Standpunkt der Ökonomie aus im Moment der Entscheidung wirklich. Sie können ständig versichern, dass Sie lieber abnehmen statt Kuchen zu essen. Aber die Ökonomie ignoriert solche Zusicherungen. Sie ist nur daran interessiert, was passiert, wenn das Tablett mit den Nachspeisen serviert wird.
Читать дальше