Sicher, dachte sich Lock, der Empfänger der Mail wurde von ihnen ständig überwacht. Schliesslich hatte er fast zwanzig Jahre für die NASA gearbeitet und aufgrund der heiklen Themen in seinen Büchern war es unumgänglich ihn im Auge zu behalten. Dadurch rechtfertigte sich eine Meldung, auch schon bei geringen Verdachtsmomenten.
Sie hatten schon einige seiner Mails abgefangen und ausgewertet. Meist handelte es sich um Nachrichten, die von irgendwelchen Phantasten verfasst worden waren und ihm sensationelle Enthüllungen versprachen. Doch diese Leute machten sich nicht die Mühe ihre Schreiben zu verschlüsseln. Solche Informationen meldete Lock nie.
Bei dieser Mail kam allerdings hinzu, dass der Absender bei ihnen bisher noch nicht registriert gewesen war.
Die ersten Nachforschungen hatten ergeben, dass er bis jetzt nie in diesen Verschwörerkreisen aktiv geworden war. Im Gegenteil: Er galt als seriöser, traditioneller Wissenschaftler, der die gängigen Lehrmeinungen vertrat. Alle seine Publikationen unterstützten die offiziellen Thesen. Weiter hatte Locks Team herausgefunden, dass von Deutz und Oberhofer zur gleichen Zeit studiert hatten und aus demselben Dorf in der Schweiz stammen. Sie wuchsen zusammen auf und besuchten bis zum Studium immer die gleiche Klasse. Auch heute trafen sich gelegentlich und spielten zusammen Golf.
Die Mail und das Gerücht hielt sie für wichtig genug der Sache genauer nachzugehen. Aber ob General Frank ihre Meinung teilte, darüber machte sie sich Gedanken, als sie die Treppen hochstieg.
Lock benutzte nie den Lift. Sie war im Sommer vierundvierzig geworden. Körperlich und geistig fit zu bleiben hatte bei ihr höchste Priorität. Deshalb spielte sie dreimal in der Woche Tennis und öfters Schach. Sie war stolz auf ihren durchtrainierten Körper, mit dem sie es noch mit so manch einer Jüngeren hätte aufnehmen können. Ihre blonden Haare trug sie meist als Pferdeschwanz zusammengebunden, was ihre jugendliche Ausstrahlung verstärkte. Ihre Augen drückten Entschlossenheit und Durchsetzungsvermögen aus. Ohne diese beiden Charakterzüge, gepaart mit Mut, hätte sie es nie in diese Stellung geschafft.
Ohne Anzuklopfen betrat sie das Vorzimmer von Franks. Maggie, Franks Sekretärin, schaute von den Papieren auf, die vor ihr auf dem Schreibtisch lagen und begrüsste ihn mit einem strahlenden Lächeln.
„Ah, guten Tag Major. Der General erwartet Sie bereits. Sie können gleich hineingehen.“
„Danke Maggie, Sie sehen heute wieder besonders reizend aus“, antwortete Lock, worauf Maggies Lächeln leicht verlegen wurde und sie sich wieder den Papieren zuwandte.
Lock klopfte kurz an die Tür und trat ein ohne eine Antwort abzuwarten. Franks thronte hinter seinem riesigen Schreibtisch und las in einer Akte. Er blickte auf und als er Lock sah, schloss er die Mappe und legte sie beiseite.
„Guten Morgen Helen. Was haben Sie denn für mich?“, frage er und deutete auf einen der beiden hölzernen Besuchersessel vor dem Schreibtisch.
Lock durchschritt das riesige Büro, setzte sich in den Sessel und überreichte Franks das Dossier, das sie mitgebracht hatte.
„Guten Morgen General. Ich habe mir erlaubt eine kurze Zusammenfassung vorne ins Dossier zu legen.“ Lock wusste aus Erfahrung, dass es Franks bevorzugte, wenn die Informationen schriftlich vorlagen. So musste er sich nicht alles einprägen und konnte später auf die Papiere zurückgreifen. Sofort begann er die Zusammenfassung zu lesen. Lock schaute aus den grossen Panoramafenstern. Der Regen schränkte die ansonsten tolle Aussicht auf die Stadt stark ein. Deshalb schaute sie sich im Büro um. Es strahlte genau das aus, was der Besitzer beabsichtigte: Macht, Geld und Einfluss. Teures Mobiliar buhlte mit Kunstwerken um die Aufmerksamkeit der Besucher. Selbst in dem grossen Büro wirkten die Möbel massig und schwer. Die Bar protzte mit teurem Whisky und Kristallgläsern, während die Bücherregale mit ledergebunden Werken aufschnitten. Ein Designbildschirm beherrscht den dunklen Schreibtisch und auch der grosse Fernseher, der flach an der Wand dahinter hing, liess unverschämt erkennen, dass er nicht zur Massenware gehörte. Die Kunstgegenstände verteilten sich locker, aber trotzdem aufdringlich im ganzen Raum.
Franks legte grossen Wert darauf, dass alle wussten, in welchen Kreisen er verkehrte.
An den Wänden drängten sich Fotos von Franks mit allen möglichen Politikern. Selbstverständlich befanden sich auch Fotos mit allen Präsidenten der letzten Legislaturperioden darunter. Es gab eine Wand, auf der man ihn mit Prominenten aus der Film- und Musikszene bewundern durfte. Franks Frau hatte ihm die Türen in diese Kreise aufgestossen und gierig hatte er sie durchschritten. Als Tochter eines berühmten Produzenten fiel es ihr leicht Franks in die Welt der Reichen und Mächtigen einzuführen. In der Abteilung waren sich alle einig, dass er sie nur deshalb geheiratet hatte. Aber was seine Frau an ihm anziehend fand, darüber kursierten die wildesten Spekulationen. Einige gingen davon aus, dass Franks etwas gegen ihren Vater in der Hand hätte. Das waren allerdings nur Gerüchte. Jedenfalls hatte sie ihn bestimmt nicht wegen seines Äusseren geheiratet. Wie die Fotos illustrierten, hatte er den Kampf gegen die Kilos schon vor langer Zeit aufgegeben und von seinen Haaren musste er sich schon in jungen Jahren verabschieden. Selbst in Uniform machte er keinen stattlichen, sondern eher einen grotesken Eindruck.
„Ist ja nicht gerade viel, was Sie da haben“, sagte Franks mit einem abschätzigen Unterton, als er das Dossier beiseitelegte.
„Das ist richtig, Sir“, antwortete Lock ohne sich von der Bemerkung beeindrucken zu lassen. Sie kannte Franks schon lange genug. „Aber ich denke, wir sollten der Sache weiter nachgehen. Deshalb bin ich hier, um von Ihnen die Genehmigung für zwei weitere Observationen im Ausland einzuholen.“
„Sie möchten also den Sender und den Empfänger der Mail überwachen lassen?“
„Richtig, Sir.“
„Wissen Sie was es sein könnte?“
„Nein, Sir. Aber ich bin der Meinung, dass Oberhofer mit seinen Thesen eine Gefahr darstellt. Falls die Gerüchte aus dem Grabungsgebiet zutreffen und etwas mit der Mail zu tun haben, dann dürfen wir keine Zeit verlieren. Stellen Sie sich vor, wenn die Gerüchte wahr sind und Deutz den Fund tatsächlich an Oberhofer geschickt hat?“
„Es sind mir zu viele offene Punkte in Ihrer Argumentation. Sie haben nur ein Gerücht und eine Mail, die Sie nicht einmal entziffern können. Deshalb soll ich zwei Observationen im Ausland genehmigen? Ausserdem kommt hinzu, dass dieser Deutz bis heute noch nie aufgefallen ist. Und Oberhofer“, fügte er mit einer wegwerfenden Geste hinzu, „Oberhofer ist nicht gefährlich. Seine Bücher verbreiten Thesen, wie viele andere auch. Was soll’s?“
„Genau, dass Deutz noch nie bei uns aufgetaucht ist, macht mir Sorgen.“
„Und warum das?“, fragte Franks abschätzig.
„Weshalb sollte er Oberhofer eine zum Teil verschlüsselte Mail schicken, in der von einer Kiste die Rede ist, genau zu dem Zeitpunkt als ein Gerücht über einen ungewöhnlichen Fund in seinem Grabungsbiet die Runde macht?“
„Was weiss ich? Da kann es viele Gründe geben“, antwortete Franks schnell und gereizt. „Woher stammt überhaupt dieses Gerücht über den sensationellen Fund und was soll daran überhaupt so sensationell sein?“, fügte er schnell an.
„Nun, was es genau ist, wissen wir noch nicht, wie gesagt. Es soll sich um etwas handeln, dass nicht an der offiziellen Grabungsstätte gefunden wurde. Das Gerücht selber stammt aus dem Grabungsteam. Leider konnten wir noch nicht mit Deutz sprechen. Unser Mann bekam die Information von einem Studenten aus dem Team. Wir wollten erst Ihre Zustimmung einholen, bevor wir auf Deutz zugehen.“
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