Im festen Regelwerk der Konflikte zwischen den Protogenoi gibt es eine Standardisierung für Pucs. Es dürfen nur Pucs mit einer definierten und vergleichbaren Leistungsfähigkeit zum Einsatz gebracht werden. Aber dennoch entscheidet die individuelle Leistung der Pucs über den Ausgang des Gefechtes. Scheinbar gibt es standardisierte Grundformen, die dann individuell ausgeprägt werden. So können zwei Pucs der gleichen Norm entsprechen, aber dennoch eine individuell stark unterschiedliche Leistungsfähigkeit haben. Worauf diese letztendlich beruht, verstehen wir nicht. Vermutungen gehen in die Richtung Alter, Erfahrungsschatz oder Autonomiegrad. Aber hier wird erst die Zukunft gesicherte Erkenntnisse bringen.
Über mir war ein nachtschwarzer Himmel, dominiert von einer beeindruckend großen, gelben Sonne. Die Sterne standen ähnlich dicht wie auf der Erde, aber ich konnte keine Konstellation erkennen. Vor mir lag Wüste, ein Gebirge am Horizont. Der Sand hatte einen roten Schimmer. Felsiger Untergrund ragte an einigen Stellen daraus hervor. Die Luft war klar, es wehte kein Wind, aber es war heiß. Ich schwebte über diesem Areal, mein Blick reichte kilometerweit. Ich konnte überall nur Wüste erkennen, aber die Berge bildeten in einer Richtung einen Haltepunkt für das Auge. Auf einer eingeblendeten Karte hatte ich mehr Überblick. Diese Position lag am Eckpunkt eines Hochplateaus, auf einem unbewohnten Planeten in der mehr oder weniger direkten Nachbarschaft der Erde. Das Plateau war ca. 50km im Durchmesser groß und wurde fast genau mittig durch ein mehrere tausend Meter hohes Gebirge in zwei fast gleichgroße Hälften geteilt. Durch das Gebirge führten mehrere Pässe, drei sehr breite und ca. ein Dutzend kleinere.
Zu Beginn landeten einige Kapseln. Eine relativ große Kommandokapsel, darin befand sich der Puc mit einigen dieser Golemsoldaten - seine ersten Leibwächter. Dann landeten drei graue, jeweils einige Kubikmeter große Kästen, diese wurden weit auseinander platziert.
Es landeten dann noch drei große, würfelförmige, metallisch schwarze Behälter im weiteren Bereich um die Kugel. Diese hatten ca. zehn Meter Seitenlänge. Dazu kamen drei schwarze Kugeln, jeweils etwa zwei Meter im Durchmesser. Die Kugeln waren im Inneren des Areals platziert, eng um die Kommandokapsel herum.
Die Kugeln waren, wie ich gelernt hatte, auf einem Quanteneffekt beruhende Energiespeicher. Eine Art Batterie, wenn man so will. Der Puc hatte von Quintessenzfeldern gesprochen. In jeder Kugel war genug Energie, um ein kleines Dorf ein Jahr mit Strom und Heizung zu versorgen, ca. 10E+11 Joule. Also etwa insgesamt 28000 Kilowattstunden. Man konnte sie als elektrische Energie aus den Kugeln ableiten, allerdings konnten Gaia´s Nanobots diese Energie drahtlos nutzen. Der eigentliche Energievorrat nahm nur einen verschwindend geringen Teil des Volumens ein. Die Kontroll- und Schnittstellentechnik incl. der Panzerung machte den größten Teil des Volumens aus. Energiemengen bis zu 10E+16 Joule wurden in den gleichen Kugeln verwendet. Die für diese Szenario zur Verfügung stehende Energie hätte also auch in eine Kugel gepasst. Man hatte die Zahl drei gewählt, um eine gewisse Streuung zu erreichen. Es diente dem Zweck, den Kampf interessanter zu gestalten, denn diese Kugeln konnten dem Gegner auch geklaut werden. Dazu mussten die Pucs einen Golem ca. 10 Minuten ungestört an einer Kugel arbeiten lassen können, dann war so eine Batterie umprogrammiert und lieferte an den Gegner drahtlos Energie.
In den drei grauen Kästen befand sich das für diesen Kampf vereinbarte Kontingent Nanobots. Diese wurden nach Molzahlen bestückt. Gemäß der Avogadro Konstanten, eine nach dem italienischen Physiker und Chemiker Amedeo Avogadro benannten physikalischen Konstante, besteht ein Mol eines beliebigen Stoffes aus 6,02 10E+23 Teilchen. Für Kohlenstoff entspricht ein Mol genau 12g Kohlenstoff-12, also des reinen Isotopes mit Atommasse 12. Natürlicher Kohlenstoff ist immer ein Isotopengemisch, und damit etwas schwerer. Das sind eine ganze Menge Teilchen, diese sind aber eben auch sehr klein. Ein Nanobot der Protogenoi ist nur einige Nanometer groß. In die drei grauen Kästen passte eine Menge dieser kleinen Maschinen hinein. Wenn man sich die Bots als Würfel vorstellt, was wohl nicht ganz richtig ist, womit man aber sehr gut rechnen kann, dann passen in einen Kubikmeter also knapp 10E+26 solcher Bots.
In den drei Kästen waren, entsprechend des Szenarios, jeweils für 1000 Mol Nanobots. Also konnte der Inhalt eines grauen Kastens genau 12kg Kohlenstoff gleichzeitig bearbeiten. Oder eine andere Menge eines anderen Stoffes. Die Möglichkeiten waren vielfältig. Ein Mol Eisen sind z.B ca. 56kg, ein Mol Wasserstoff nur so ca. 1kg. Wenn man annahm, dass ein Nanobot einen Bearbeitungsschritt in 1s machte, konnten mit Bots für 1000 Mol beispielsweise 12kg Kohlenstoff/s verarbeitet werden. Mit den Bots für 3000 Mol konnte man dann beispielsweise 129,6t Kohlenstoff pro Stunde umbauen. In konkreten Situationen variierte diese Größe natürlich, da die Schritte nicht immer 1s dauerten.
In den drei großen Würfeln war das Material, das man gemäß der Vereinbarung mitgebracht hatte. Man durfte zwar alles Material nutzen, das auf dem Schlachtfeld vorkam und die Nanobots konnten im Prinzip auch daraus jeden gewünschten Rohstoff herstellen. Aber um den Ablauf zu beschleunigen, durfte man bis zur vereinbarten Obergrenze auch spezielle Materialien einsetzen. Was man da so mitbrachte, wenn man in diese Art Krieg zog, sollte man sich gut überlegen. Jedenfalls dachte ich das. Die Protogenoi brachten in dieser Konfliktstufe immer ein komplexes Kohlenwasserstoffmolekül mit. Daraus bauten sie ihre Golems, aus einer Art Plastik. Ich hatte ja schon bemerkt, dass sie nicht sehr phantasievoll waren. Es waren also 3000 m3 eines Plastikmaterials, ungefähr mit der Dichte 2, also doppelt so schwer wie Wasser, aber leichter als Granit oder Metall. Das Material war Muskel und Nervenstrang in einem, es wurde dann um Füllstoffe zur Formung ergänzt. Diese gewannen die Bots aus dem Erdreich und der Umgebung. Die Golems konnten durch Nanostrukturen ihren Energiebedarf aus dem umliegenden Gelände decken. Sie verwerteten Strahlung, Wärme und Mineralien jeder Art. Sie waren energetisch autonom und ohne Nahrung oder Treibstoff immer einsatzbereit. Eine sehr ausgereifte Struktur, daher die Beliebtheit.
Diese Formen waren standardisiert, die Protogenoi benutzten diese Grundelemente für alle ihre Kämpfe. In diesem Szenario galt also 6*10E+3 Tonnen/3*10E+11 Joule/ 3*10E+3 Avogadro/0. Allmählich begriff ich die Implikationen dieser Bezeichnungen.
Es gab zwar jeweils auch viel größere Einheiten, aber die Grundmuster waren immer gleich. Seit Milliarden Jahren wurden Kämpfe auf diese Art im Vorfeld eingegrenzt. Eine für uns Menschen fremde Vorstellung. Die Protogenoi liebten diese Gleichförmigkeit. Es entsprach ihrer Art der Wirklichkeitsverarbeitung, in bestimmten Grundmustern zu denken. Allerdings konnten sie dabei dann Komplexitätsebenen erreichen, die weit über dem Horizont der Menschheit lagen.
Trotzdem, für diese fest definierten Szenarien sollten wir aus dieser Eigenschaft einige Vorteile ziehen können.
Tatsächlich lief der Kampf dann immer ähnlich ab. Zwar variierten die Landschaften, da man die Auswahl einem Zufallsgenerator überließ. Aber dann ging es immer auf sehr ähnliche Weise weiter. Die Kommandokugel öffnete sich und der Puc und seine Leibwache trat heraus. Es waren immer sechs Golems, auch das war im Standardprotokoll so festgelegt. Die Golems bildeten dann eine schützende Formation um den Puc und erstarrten. Die Aufgabe dieser ersten Wächter war simpel. Sie sollten nur dafür sorgen, dass keine Überraschungen passierten. Sei es durch natürliche Gegebenheiten, wie Wetter oder Tiere, sei es durch gegnerische Aktivitäten, jede Gefahr für den Puc musste definitiv ausgeschlossen werden.
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