Gaia fuhr fort:“ Wir müssen Sie über einige Grundlagen unterrichten, bitte lesen Sie die dieser Darstellung beigefügten Informationspakete.“ Wir erhielten eine Einweisung in die Technologie und Kosmologie der Protogenoi sowie die politischen, sozialen und ökonomischen Strukturen unserer Milchstraße.
Man kann sagen, technologisch galt „Anything Goes“. Die Protogenoi waren in der Lage, Materie vollständig in Energie umzuwandeln und umgekehrt. Sie hatten Nanobots, die von der subatomaren Ebene bis hin zu riesigen Raumschiffen und Sternenfestungen alles bauen konnten, was denkbar war. Vom Faustkeil bis zum Lasergeschütz konnten Nanobots jede technische Konstruktion herstellen, für die es Baupläne gab. Die Wissenschaft der Genoi war Milliarden Jahre alt, es gab keine unerforschten Bereiche mehr. Sie hatten den Metaraum entdeckt, eine dimensional übergeordnete Sphäre, aus der man Energie zapfen konnte. Allerdings musste man auch wieder Energie zurückführen. Ihre überlichtschnelle Raumfahrt und Kommunikation führte durch den Metaraum. Unsere Physiker waren hier an ihre Grenzen gestoßen. Die Konzepte der Metatechnik verstand kein menschlicher Wissenschaftler. Allerdings gab es eine Geschwindigkeitsgrenze von 10 Lichtjahren pro Sekunde. Weder Informationen noch Materie konnten schneller durch den Metaraum reisen. Ich verstand die zugrunde liegende Physik nicht, aber diese Grenze war wohl absolut.
Die Existenz der Genoi hing mit dem Metaraum zusammen. Im Inneren eines Planeten, der um eine Sonne kreist, gab es Bedingungen, die es der Materie gestatteten, ein gewaltiges Maß an Selbstorganisation zu erreichen. Gespeist durch einen natürlichen Metaraumzugang, bildeten sich bei günstiger Topologie Protogenois.
Die Kultur der Genois definierte sich auf der Basis von Lebewesen, die es gewohnt sind allein zu sein. Ein Genoi ist eine lange Zeit in seiner Entwicklung allein, er erlangt Bewusstsein und benötigt dann ca. eine Milliarde Jahre um den Metaraum und die anderen Protogenoi zu finden.
In dieser Zeit werden sie, platt gesagt, zum Eigenbrötler. Diese Halbautisten beginnen dann eine zögerliche Kommunikation mit anderen Individuen, eine Gemeinschaft gibt es eigentlich nicht. Daher ist ihre soziale Interaktion minimal. Sie brauchen einander nicht, der andere ist hauptsächlich Konkurrent. Protogenoi sind unabhängig, weil sie weder zur Fortpflanzung noch zum Lebensunterhalt oder zur Aufzucht von Nachwuchs auf die Kooperation mit anderen angewiesen sind. Aufgrund ihrer Struktur langweilen Sie sich auch nie. Sie erschaffen semiautonome Ableger, die Pucs, geben diesen Aufgaben und studieren die Ergebnisse.
Genoi sind Baumeister, hervorragende Ingenieure und Forscher. Sie vermessen ihren Herrschaftsbereich, katalogisieren die verfügbaren Ressourcen und bauen zu ihrem Vergnügen alle möglichen Artefakte. Dazu gehören Raumschiffe, aber auch Stationen im All.
Künstliche Welten kreisten um kunstvoll geschaffene Sonnen, mehrere Lichtjahre große Nebel mit Wasserstoffplasma wurden von künstlichen Feldern zu einer Ursuppe aus Energie und exotischer Materie angeregt. Manche erschaffen biologisches Leben, wie wir es kennen und auch bisher unvorstellbare Formen. Manche bauen Heerscharen von Nanobots und Robotern, riesige Fabriken im All. Manche griffen in die Entwicklung der Lebensformen auf ihren Welten ein um zu verändern, manche erschufen eigene Spezies.
Das Verhältnis zu den intelligenten Spezies in den von ihnen kontrollierten Raumzonen war extrem uneinheitlich. Es gab keine Tabus im Umgang mit anderen Spezies. Da es ihnen ohnehin schwer fiel, etwas wie allgemein verbindliche Regeln zu akzeptieren, hatten Sie sich auf das Notwendigste beschränkt. Ihre Regeln, wenn man so will Gesetze, schützten die Protogenoi vor sich selbst. Für uns, eine immerhin intelligente und fühlende Spezies, gab es in der Kultur der Genoi keinen Schutz. Wir waren Ressourcen, die allein in der Verantwortung des Protogenoi waren, in dessen Raumsektor unsere Welt lag. Diesen Genoi banden keine Gesetze, er war allein verantwortlich, wie er in seinem Sektor verfuhr. Mit Gaia hatten wir jemanden, der wohl einen sehr „humanen“ Kodex pflegte und alle bisherigen Erfahrungen waren gut. Allerdings durften wir nie vergessen, dass wir es hier mit einer zwar hoch entwickelten aber völlig fremdartigen Entität zu tun hatten, für die die Menschheit nur eine Randerscheinung der neueren Geschichte darstellte.
Über die Beziehung der anderen Genoi zu den intelligenten Spezies in dieser Galaxis hatten wir keine Kenntnisse. Für die Menschheit war aber nach meiner intuitiven Überzeugung die möglichst enge Form der Zusammenarbeit mit Gaia der für die Menschheit beste Weg. Vor allem da dieser unbekannte Feind zusammen mit dem jeweiligen Protogenoi auch die bewohnten Planeten inclusive den darauf lebenden Intelligenzwesen zerstört hatte. Dieser Feind war eindeutig auch unserer Feind, soviel stand fest.
Gaia fuhr fort:
„Für die Vernichtung eines Protogenoi wurde vom Gegner eine Überladungszone innerhalb des Ursprungsplaneten geschaffen. In Eurer Sprache ein so genanntes „Tannhäuser Tor“. Die ungebremste Metaraumenergie führte zu einer Implosion des Raumes, jetzt befindet sich dort ein schwarzes Loch. Diese Technologie ist in unserer Kultur tabu. Dieser Bereich des Weltalls ist nun nicht mehr nutzbar. Diese Vergeudung von Ressourcen und die Zerstörung eines Teils unserer Lebensgrundlage ist in unserer Kultur ebenfalls nicht vorstellbar. Der Feind steht scheinbar völlig außerhalb unserer Gemeinschaft, er ist unkalkulierbar in seinen Handlungen und kennt keine Skrupel.
Bisher hat er streng entsprechend der vorgesehenen Protokolle kommuniziert, er hat sich authentifiziert, den Krieg erklärt und die Konfrontationen ausgehandelt. Dabei hat er nur wenig über sich und seinen Absichten verraten. Es wird nun Ihre Aufgabe sein, mit mir zusammen alle notwendigen Strategien zu erarbeiten und umzusetzen. Um es zusammenzufassen, wir planen ein einfaches „Search and Destroy“. Falls wir vorher mehr über diesen Gegner und seine Motive erfahren, okay. Aber es geht in erster Linie um seine Vernichtung.“
Diese Aufzeichnung gehörte zu den ersten Dingen, die man studierte, wenn man als Berater in die Stadt kam. Das war unserer Mantra, unserer absolutes Primärziel. Ich begriff bald, dass die Genoi dies sehr ernst meinten.
Memo des Direktors des FBI
Vorlage zur Morgenrunde für den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika:„Anmerkungen zur Statistik weltweit verschwundener Personen“
„… beobachten wir in den vergangenen Monaten eine Besorgnis erregende Anzahl von Personen, die als selbständige Berater einen neuen Auftraggeber finden und nach kürzester Zeit nicht mehr auffindbar sind. Erstmalig dokumentiert wurde dieser Sachverhalt vor einem Jahr, als zwei unserer militärischen Berater nach zehn Jahren plötzlich nicht mehr für Engagements zur Verfügung standen. Ermittlungen ergaben, dass weltweit einige Millionen Topspezialisten aus allen Bereichen des Militärs, der Wissenschaft und vielen Schlüsseltechnologien plötzlich nicht mehr verfügbar sind. Der Aufenthaltsort dieser Personen und teilweise auch ihrer Familien ist unbekannt, allerdings gibt es keine Anzeichen für Verbrechen. Anfragen der Verbündeten haben ergeben, dass wir diesen Trend auch in Europa und Japan beobachten. Aus nachrichtendienstlichen Quellen haben wir die Information, dass die Russen und Chinesen die gleiche Situation untersuchen. Diese Häufung der Abwanderung von bedeutenden Human Ressources stellt derzeit noch keine strukturelle Bedrohung der Sicherheitsinteressen der Vereinigten Staaten dar. Allerdings untersuchen wir derzeit die langfristigen Auswirkungen eines solchen Brain Drains, also dem Verlust von Spezialisten, auf unsere Volkswirtschaft. Im Anhang sind vorläufige Zahlen und Prognosen für die Produktivitätsverluste angefügt.
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