„Meine Gemeinschaft ist bereit zu kämpfen, wir stellen bereits Ressourcen bereit. Aber wir wissen nicht, gegen wen. Und auch das Wie ist noch offen.“, Gaias schwarze Augen waren intensiv.
„Das verstehe ich nicht“, sagte ich. „Ihr kämpft seit Milliarden Jahren und jetzt wisst ihr nicht mehr wie?“
„Genoi kämpfen nach Regeln, wir legen begrenzte Ziele fest, definieren Sektoren und Energiemengen. Wir halten die Destruktion in einem beherrschten Rahmen“, Gaia leuchtete. Stolz ist wohl eines der Gefühle, zu denen sie fähig sind. Wir haben immer die Kontrolle behalten, in all den Äonen unserer Existenz. „Die Mörder beschwören die Drohung eines unbeschränkten Vernichtungskrieges.“
Ich dachte nach. „Eine Entität wird fast alles unternehmen, um ihrer Vernichtung zu entgehen. Und die Mörder Deiner Freunde wissen, dass ihnen der Tod droht, oder? “, ich glaubte die Antwort zu kennen.
„Auslöschung ist wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, für die es Konsens gibt“, sagte Gaia in einem Tonfall kälter als der absolute Nullpunkt.
„Und wie sollen menschliche Berater Euch bei der Metzgerarbeit helfen?“, meine Wut war ein Nachklang des Zorns meines Besuchers. Die Aussicht, ein simples Hilfsvolk für den Krieg eines wütenden, gottähnlichen Superwesens zu werden und am Ende ein Blutbad unter anderen seiner Art anzurichten, war deprimierend. Es machte mich wütend.
„Euer Verstand ist anders als der unsere. Ihr neigt zu Sprüngen, kommt zu Lösungen, für die es eigentlich keine Grundlagen gibt. Ihr fällt Urteile, obwohl die Datenbasis unzureichend ist. Eure Kreativität und Sprunghaftigkeit sind Eigenschaften, die uns fehlen. Unsere Extrapolationen zeigen, dass ein sprunghaftes Element unseren Analysen einen Vorteil verschaffen könnte. Wir haben die Hoffnung, mit Euch zusammen eine effizientere Strategie umsetzen zu können“, Gaia sprach nicht weiter.
Gaia hatte Hoffnung gesagt. Ich stutzte. Da war ein Widerspruch.
„Das ist nicht genug, erkläre, warum jetzt. Du führst seid Milliarden Jahren Krieg. Warum schaltest Du erst jetzt menschliche Berater ein, was ist anders?“
„ Warum denkst Du, dass es erst jetzt geschieht?“, die Frage war ein Rückzuggefecht, ahnte ich.
„Du sagst, ihr habt die Hoffnung. Die Hoffnung auf was? Worauf genau hofft ihr? Oder besser, warum? Das ist die eigentliche Frage, oder?“, ich hatte es. „ Warum hofft ihr? Ihr müsst doch genau wissen, wo Stärken und Schwächen einer Spezies wie der unseren liegen. In den Milliarden Jahren hatten Du und Deine Freunde doch genug Zeit, jede Konstellation der Zusammenarbeit auszuprobieren.“
„Du irrst Dich. Die Genoi haben die jungen Völker studiert, beeinflusst, geformt, manchmal bestaunt, sehr oft einfach missachtet. Und einige von uns haben ihre Völker missbraucht und zerstört. Doch niemals, in all der Zeit, waren Genoi bereit, sich mit einer jungen Rasse im Kampf zu verbünden. Niemals, bis heute.“
„ Und Du bist der erste und einzige? Was ist mit Deinen Freunden? Halten die das jetzt auch so?“, fragte ich.
„Keiner meiner Freunde, kein Genoi den ich kenne. Nur Ihr und ich“, Gaia sah mir in die Augen.
„Sag mir, warum?“, forderte ich.
„Ich glaube in der jetzigen Situation sind die Besonderheiten Eurer Spezies eine Chance. Es gibt im bekannten Raum derzeit nichts Vergleichbares“, sagte Gaia trocken. „Wir stehen hier vor einem unbekannten Feind und werden einen Vernichtungskrieg führen müssen. Das ist Eure Spezialität. Seit es Euch gibt tötet ihr einander. Ihr führt seit zehntausend Jahren Krieg und Ihr werdet wohl nie damit aufhören. Jeder Fortschritt heißt neue Waffen. Mehr Tote. Ihr seid wahrhaftige Schlächter. Ihr kennt keine Grenzen in Eurem Wahn, jedes Mittel ist Euch recht, wenn es um den Sieg über Eure Feinde geht. Ihr seid intelligent, strategisch klug und kämpft mit bisweilen kreativer Eleganz. Ihr seid mutig, skrupellos und ihr lernt auf eine unheimliche Weise. Ihr seid die geborenen Krieger. Trotzdem kennt ihr Schönheit, Ehre und Spiritualität. Ihr sucht die bessere Welt, auch wenn ihr dafür die alte zerstören müsst. Eure Religion ist oft Euer Fluch gewesen, aber sie lehrte Euch vor allem auch, keine Angst zu haben. Nicht einmal vor Euren Göttern. Von allen Völkern in unserer Sphäre, all den Millionen Kulturen seid ihr es, von denen wir glauben, dass ihr bereit seid, Krieg gegen etwas zu führen, dass niemand von uns versteht.“
Ich schwieg eine Weile und dachte über das Gesagte und die Menschheit nach. Ich hatte schwer zu schlucken, an dem was er sagte. Aber ich konnte und wollte nicht diskutieren. Nicht zu diesem Zeitpunkt.
Er erläuterte mir dann noch, dass der Feind wahrscheinlich in naher Zukunft ihn und die Erde angreifen würde. Damit war meine Entscheidung klar. Ich unterschrieb und wir zogen um.
Ernst, Alexander, persönliche Aufzeichnungen
Krieg
Seit es Menschen auf diesem Planeten gibt, führen diese Krieg gegeneinander. Zwar können wir den organisierten Kampf von ganzen Gemeinschaften auch im Tierreich beobachten, allerdings sind die Dimensionen dieser Auseinandersetzungen nicht mit dem vergleichbar, was die Spezies Mensch auf diesem Gebiet leistet.
Menschen führen Krieg in einem Umfang, einem Einfallsreichtum und einem Maß an Zerstörungswut, das beispiellos ist. In der aufgezeichneten Geschichte haben mehr als 14000 Kriege stattgefunden. Es wurden ca. 3-4 Milliarden Menschen getötet. In ungefähr jedem Jahr der bekannten menschlichen Geschichte wurden so statistisch gesehen 1 Million denkende und fühlende Wesen ausgelöscht. Es waren wohlgemerkt Wesen der gleichen Spezies, manchmal Nachbarn, manchmal Freunde und nicht selten auch Familie.
Die Gründe hatten fast nie mit unmittelbar vitalen Interessen wie beispielsweise Nahrung oder Wasser zu tun. Die Anlässe waren eher nebensächlich. Oft ging es um abstrakte Ideen oder die Auslegung der Worte toter Männer. Im Nachhinein wurde gern erklärt, wie überflüssig diese Veranstaltungen waren. Trotzdem wurden die Vorbereitungen für den nächsten großen Event immer mit äußerstem Einsatz getroffen. Der Berufsstand des Soldaten hatte zu fast allen Zeiten großes Ansehen. Und es flossen immense Ressourcen in die immer größer werdenden Kriegsmaschinen.
Millionen von Menschen zu allen Zeiten verbrachten ihr Leben mit dem Ausarbeiten immer besserer Methoden der organisierten Kriegsführung. Das massenhafte Töten von gegnerischen Soldaten war in den verschiedenen Kulturen der Menschheitsgeschichte eine fast immer anerkannte und zur Perfektion entwickelte Disziplin. Militärisches Denken wurde häufig auf andere Lebensbereiche übertragen. Besonders gilt dies auch für militärische Begriffe. Die Menschheit hatte eine ausgewiesene Expertise im organisierten, bewaffneten und gewalttätigen Austragen von Konflikten. Insbesondere ihre Innovationsfreude und ihr Variantenreichtum werden durch die Geschichte eindrucksvoll belegt. Menschen kämpften an Land, in der Luft, auf und unter dem Meer. Sie kämpften mit Steinen, Stöcken, Gewehren, Panzern und Flugzeugen, neuerdings mit Drohnen. Vom Schwert zur Nuklearwaffe benötigte man nur ein paar hundert Jahre.
Gemessen an den Zeitabläufen, in denen Protogenoi agieren, bewegt sich unsere Lust an der Veränderung in einer anderen Dimension. Protogenoi kämpfen seit Milliarden von Jahren auf die gleiche Weise. Allein die individuellen Fähigkeiten der Pucs, deren körperliche Strukturen mit nahezu identischer Leistungsfähigkeit ausgestattet waren, entschieden den Kampf. Auf der Basis uralter, immer gleicher Strategien entschieden winzige Unterschiede in der Führung und dem individuellen Geschick über Sieg oder Niederlage.
In der menschlichen Kultur dominierten dagegen immer wieder geniale menschliche Strategen die Schlachtfelder, die in ihrer Zeit sprunghafte Neuerungen durchsetzten und damit unwahrscheinliche Erfolge hatten. Situationen, die aussichtslos waren, wurden durch eine überraschende Taktil oder den Einsatz neuartiger Mittel in Siege verwandelt. Die Kunst, den Gegner zu überrumpeln, ihn mit immer neuen Spielarten der Taktik und wechselnden Strategie zu verwirren und schließlich vernichtend zu schlagen, war für menschliche Feldherren die größte Befriedigung. Menschen kämpften trickreich, waren verschlagen und konnten dennoch heldenhaft mutig sein.
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