„Warum unterirdisch?“, ich ahnte es.
„Zum Schutz natürlich, vor dem Rest der Welt“, sagte Puc. Ich wusste, er meinte nicht nur diese Welt.
„Und die Familien sollen mit, damit die Produktivität hoch ist?“, ich wusste, da war noch etwas.
„Es sind Archen, falls etwas schief geht“, gestand er.
„Schön, dass Gaia uns erhaltenswert findet“, allerdings beunruhigte mich die Möglichkeit eines Szenarios, in dem Archen sinnvoll wären.
Puc drängelte.
“Wir müssen Deine Familie informieren und den Umzug organisieren, die Zeit läuft davon! Ich kontaktiere den Anwalt.“
„Vorher habe ich einige Bedingungen, Du Cyborg", warnte ich ihn.
Ernst, Alexander, persönliche Aufzeichnungen
Intelligentes Leben und das Fermi Paradoxon
Das Weltall ist ziemlich groß und weitgehend leer. Es gibt dann hier und da Ansammlungen von Sternen, so genannte Sterneninseln, auch Galaxien genannt. Die Milchstrasse ist die Insel, in der sich unserer Sonnensystem und alles andere, das man als Nachbarschaft bezeichnen könnte, befinden.
Diese Milchstrasse besteht aus einigen hundert Milliarden Sternen und unsere kleine gelbe Sonne ist eine davon, eine ziemlich unauffällige sogar. Es gibt von diesem Typ Sonne Milliarden Stück in unserer Galaxis. Nun hat sich ausgerechnet hier der Planet Erde gebildet und darauf eine intelligente Spezies, die Menschen.
Ein bestimmter Teil dieser Menschen denkt schon ziemlich lange, dass es noch andere intelligente Lebensformen dort draußen geben muss, aber bisher fehlt jede Spur von ihnen. Darüber hat unter anderem der berühmte Physiker Enrico Fermi laut nachgedacht und damit entstand ein beliebtes Denkspiel namens „Fermi Paradoxon“.
Seit nun in unserer Zeit offensichtlich wurde, dass es nahezu überall im All Planeten gibt, wird diese Frage eigentlich immer interessanter. Außer vielen Spekulationen und Vermutungen gab es bis heute keine gesicherten Erkenntnisse zu dem Thema. Die gibt es auch jetzt nicht, weil Gaia da eine sehr restriktive Informationspolitik pflegt. Aber zumindest haben wir jetzt eine andere Intelligenz gefunden, wenn auch keine außerirdische. Aber irgendwie zählt das schon.
Gaia berichtet von den vielen anderen seiner Art und den vielen jüngeren Spezies. Also scheint es doch eine große Vielfalt intelligenten Lebens da draußen zu geben. Die Frage, warum wir keine andere dieser Spezies bisher gesehen haben, ist einfach zu beantworten. Sie müssten in Gaia´s Sektor eindringen, dazu bekommen sie keine Erlaubnis.
Warum wir nichts hören, im Sinne von Funk oder Laser oder ähnlichen Techniken, ist da schon schwerer zu erklären. Wird dies von den Protogenoi unterbunden? Oder gibt es irgendwo einen milchstraßenweiten Amateurfunkerclub und wir sind einfach noch kein Mitglied? Dahinter steht natürlich die Frage, wie das Zusammenleben von Protogenoi und andere intelligenten Spezies im Allgemeinen so aussieht. Was genau ist der Modus Vivendi für solche wie uns? Was haben wir zu erwarten, von diesen Protogenoi?
Die Frage, ob und wann wir Zugang zu Metatechnologie erhalten, ist damit eng verbunden.
Wie spricht man mit einer planetaren Intelligenz? Neben einer außerordentlichen Vergütung und absoluter Sicherheit für die Familie hatte ich ein direktes Gespräch mit Gaia verlangt.
Gaia wählte einen mannsgroßen Avatar aus einem kobaltblauen Etwas. Ein haarloses Neutrum von zwei Metern Größe. Unbekleidet, mit einer schwach leuchtenden, gelben Aura. Die Komposition war gerade außergewöhnlich genug, um einen nicht vergessen zu lassen, dass man kein normales Gespräch führte. Gaias einleitende Zusammenfassung der Situation entsprach Pucs Ausführungen. Die Präsenz und Stimme dieser Erscheinung und der Eindruck intellektueller Tiefe und geistiger Reife vor einem Hintergrund äonenalter Erfahrungen waren allerdings ganz anders. Anders als alles jemals von Menschen Gehörte.
Gaia stellte mir die Gemeinschaft dar, mit der er sich verbunden fühlte. Eine Kultur, die auf einer interstellaren Kommunikation beruhte, deren Struktur extrem vielschichtig war.
Sie tauschen sich auf mehr Ebenen aus, als sich Menschen derzeit vorstellen können. Vieles, das diese Wesen denken und fühlen, werden niemals Menschen verstehen. Aber ein paar Dinge sind fassbar und bedeutsam.
Sie können nicht reisen. Sie können jede Art Raumschiff bauen und Roboter und Bots und alles Mögliche sonst, aber sie selbst sind an ihre Planeten und Sonnensysteme gebunden.
Sie können Splitter ihrer selbst erzeugen, so wie Puc. Kleine Inkarnationen, die aber ein eigenes Bewusstsein hatten. Diese können das Metafeld der eigenen Zone verlassen, aber nur begrenzte Zeit.
Sie haben den Weltraum in Interessensphären aufgeteilt, jeder Protogenoi hat sozusagen ein eigenes Revier.
Da jeder Protogenoi mit jedem kommunizieren kann, ist die räumliche Anordnung ihrer Einflussbereiche nicht so bedeutsam. Für die Schaffung einer gemeinsamen Basis aus Philosophie, Ethik und gemeinsamen Interessen behinderte diese nicht. Ein paar Sekunden Verzögerung in der Kommunikation stören solche Wesen nicht, sie organisieren parteiartige Gruppen, haben Freunde und Feinde und machen Politik. Die Sekunde, die das Überwinden einer Distanz von zehn Lichtjahren im Metaraum kostet, spielte für ihre interstellare Zivilisation normalerweise keine Rolle.
Für die Kriege die sie führten war das anders. Raumschlachten sind schnell, jede Entscheidung vor Ort muss ohne Verzug getroffen werden. Daher erschufen sie unabhängige Bewusstseinssplitter, Teile ihrer selbst, so wie Puc. Diese schickten sie als Befehlshaber in den Kampf, neuerdings auch als Botschafter zu den Verbündeten.
Sie kämpften um Ressourcen, Ressourcen wie Materie und Energie, aber auch um die Ressource Weltraum. Raum, der nahe an der eigenen Zone lag, war mit seinen Ressourcen wertvoller, als Raum in entfernten Galaxien. Ressourcen wurden gebraucht, um zu gestalten. Sie benutzen dabei Materie und Energie und alles was sie sonst so fanden, um nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Sie bauten Schiffe und Stationen und Sachen, die wir nicht verstehen.
Für uns der vielleicht wichtigste Aspekt war aber die Haltung, die sie zu den intelligenten Wesen und Zivilisationen hatten, die auf ihren Planeten anzutreffen waren.
Einige benutzten unbewohnte Sonnen und Planeten für ihre Zwecke. Andere benutzen auch die Lebensformen dieser Welten, einige auch die intelligenten Lebensformen. Und für einige waren diese vollständig gleichgültig, bedeutungsloses Ungeziefer.
Es gab auch über solche Fragen Streit und Krieg. Einige wollten ganze Zivilisationen auslöschen, andere das verhindern.
Sie kämpften mit allen Mitteln. Gewaltige Schlachten. Nach Millionen zählende Flotten prallten auf mondgroße Kampfstationen. Konstrukte aus Nanobots kämpften auf jedem denkbaren Schlachtfeld. Brennende Schiffe, zermalmte und zu Schlacke verkohlte Planeten, verlöschende Sonnen und willkürlich erzeugte schwarze Löcher, die in den Zonen der Feinde Lichtjahre große Bereiche für immer verwüsteten. Eine unvorstellbare Choreographie der Zerstörung über die gesamte Weite unserer Galaxis.
Die autonomen Bewußtseinssplitter der Genois waren für die Strategie ganze Raumsektoren verantwortlich. Sie lenkten und erreichten Siege und Niederlagen und sie starben auch. Allerdings wurden sie auch wiedergeboren. Einige hatten Erinnerungen an tausende gewaltsame Tode.
Es gab komplexe Regeln die den Kämpfen Grenzen setzten und die Zerstörung des Universums verhindern sollten. Und eine Regel gab es, an die sich alle hielten.
Ein Protogenoi tötet keinen anderen.
Jedenfalls war das bis vor etwa zehn Jahren so.
„Ihr würdet sie Freunde nennen. Drei von Ihnen höre ich nicht mehr. Ihre Sektoren sind verwüstet. Staub. Sie sind nicht mehr.“, Gaias Trauer war fast nicht zu ertragen. Und da war der Zorn. Er war körperlich spürbar, das Adrenalin ließ das Blut in meinem Ohr rauschen.
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