Sovanns Abgang entgeht von Klopp, die Spülung der Toilette klärt ihren Aufenthaltsort. An der Zimmertür verabreicht sie ihm Wangenhauchen, er entlässt sie mit einer unzureichenden Dollarnote. Er denkt weiter an Sophie zurück, bezieht die gemeinsame Tochter Charlotte ein. Viel Gin und wenig Tonic wehren die zeitlos lauernde Selbstanklage ab.
Von Klopp befolgt seinen Grundsatz strikter Pünktlichkeit, nimmt den Weg zum Servicecenter erstmalig im Hellen und ohne Munny, die Tagschicht bindet ihn im Hotel, nach kurzem Abwägen zieht von Klopp ein Tuk-Tuk einem Fußmarsch vor. Graue Mauern umzingeln die Gasse beidseitig, auch vernachlässigte Natur im Hinterland bringt Menschenleere zum Vorschein. Von Klopp blinzelt zur uneinsichtigen Wegkrümmung vor ihm, schmunzelt über die Aussicht auf einen Raubüberfall. Die Ahnung tritt hundertmal weniger ein als das Ungeahnte, denkt er. Ach was, tausendmal.
Ladymama empfängt ihn ganz in weiß, eine Fingerkrümmung zitiert ihn zu ihr, er zögert einen Lidschlag. Sie schlingt ihre Hände um seinen Hals, biegt seine Bambussteife in Abdrückhöhe, ein Fingernagel ritzt seine Halsschlagader wie eine Messerspitze.
Sie drückt seinen Körper beiseite, säuselt: „Geschäft?“
„Bisher fehlt die Frau dafür.“
Ladymama erteilt Kommandos durch das Walkie-Talkie, binnen weniger Minuten füllt ein Dutzend blutjunger Frauen den Raum. Ihr Stelldichein geben in von Klopp flüchtig abgespeicherte und wildfremde Gesichter, keine Frau fesselt ihn länger als einen Augenblick.
„Vor zwei Tagen waren zwei Frauen in der engeren Auswahl“, spricht er langsam. „Wo ist die Frau, die nicht ins Hotel kam?“
„Welche Nummer?“
„Darauf achtete ich nicht“, gibt er sich arglos, fügt nach reichlich Bedenkzeit hinzu: „Sie sieht nicht aus wie eine Khmer oder eine Thai. Eher wie eine Japanerin oder eine Chinesin.“
Ladymama grübelt mit regloser Miene, eine Erleuchtung legt etwas Durchtriebenes frei. Sie wählt eine Handynummer, spricht abgehackt einige Sätze.
„Wir haben eine halbe Chinesin, aber sie sieht aus wie eine ganze Chinesin“, erklärt sie.
Sie greift in die Mundwinkel, dehnt die Lippen, redet weiter: „Das Gesicht ist das Gegenteil von lang. Aber nicht kurz. Sie ist nicht hier. Warten wir.“
Sie reicht ihm ungefragt ein kaltes Bier im Glas, von Klopp trinkt mäßig.
„Gehört Dir das Haus?“, kurbelt er eine Unterhaltung an.
„Gekauft vor wenigen Monaten. Ich leiste schwere Arbeit dafür. Zwanzig Jahre, Mein halbes Leben.“
Sie sieht wie Sechzig aus, denkt er amüsiert. Offenkundig bewahrheitet sie das Klischee der doppelten Alterung in dieser Berufssparte.
„Gehen die Geschäfte gut?“
„Gut, ja“, wiegt sie bedächtig den Kopf. „Zu viel Geld zahle ich für Provision. Fünf Dollar. Besser, die Gäste kommen allein.“
„Denk nicht an das Geld, was Du an Dritte abgibst, sondern daran, was Dir Dritte Gutes überbringen.“
Er erntet ungläubige Blicke, wiederholt das Gesagte mit anderen Worten, nimmt das scheinbare Nichtverstandenwerden als gegeben hin.
„Gibt es ein Problem mit Aids?“, setzt er seine Befragung fort.
„Kein Problem“, wiegelt sie ab. „Ich schicke jede Lady alle drei Monate ins Krankenhaus. Test positiv…“
Sie vollendet den Satz durch eine wegwerfende Handbewegung, ihr Gesicht verschießt eine geballte Ladung Wut und Ekel.
„Demnach ist Aids ein Problem“, schlussfolgert er.
Ein kleines Beben erzittert ihre Brust und ihre Hände.
Sie packt ihn derb am Arm, stellt brüllend klar: „Wenn Test positiv, dann Kaution weg. Tausend Dollar. Deshalb ist es kein Problem. Jede Lady ist gute Geschäftsfrau.“
Die Frau im Türrahmen nutzt ihr Haar zu einer stabförmigen Erhebung in der Kopfmitte. Klein und forsch setzt sie ihre Schritte, die fleischigen Wangen nähren den Eindruck eines breiten Gesichtes. Von der Makellosigkeit ihres Äußeren künden ihre vollen Lippen, ihre groß gezogenen Augen, eine blass gepuderte Haut. Das erste Lächeln zeigt gleichmäßige Reihen mäusekleiner Zähne, das Kleid leistet einen Offenbarungseid für einen superschmalen Körper. Er schließt auffällige Rundungen ein, die Brüste wirken schöngebessert.
„Ich lasse euch einen Augenblick allein“, streut Ladymama ein, entschwindet.
„Wie heißt Du?“, fragt er in das kecke Lächeln.
„Nhim.“
„Nimm“, wiederholt er heiter.
Sie kramt aus der Schublade des Schreibtisches ein Blatt Papier und einen Bleistift, schreibt die Großbuchstaben NHIM auf, wiederholt das Wort. Der H-Buchstabe fehlt in der Aussprache, denkt er unverfänglich. Nimm mich. Nimm alles Hab und Gut. Nimm Mama.
„Wie alt bist Du?“
Sie überlächelt die Frage.
„Wenn Du sechzehn oder siebzehn bist, bleiben wir nicht zusammen“, fügt er hinzu.
„Nein“, widerfährt ihr hastig. „Zwanzig, mehr.“
„Wie gut sprichst Du Englisch?“
„Nicht bloß Bumbum“, kichert sie das Gesagte. „Sage viel. Ganzes Buch. Noch mehr verstehen.“
„Wollen wir zusammen eine Reise machen? Eine Woche oder etwas weniger?“
„Ja.“
„Gut, ich kaufe für morgen zwei Tickets nach Phnom Pen.“
Sie nickt eifrig, bis zu Ladymamas Wiedereintreffen strahlt sie in Begeisterung und Reinheit.
„Alles klar?“, fragt Ladymama, blinzelt wie in grelles Licht.
„Reden wir noch über das Finanzielle“, sagt er sachlich.
Sie ballt die Fäuste, stößt sie aneinander.
„Wahre Dein Geld allen Menschen in diesem Raum das Gesicht“, verklärt sie feierlich ihr Geschäftsmodell.
„Für jeden Tag einhundert Dollar“, schlägt er nach kurzem Überlegen vor. „Vierhundert Dollar jetzt, der Rest am Ende. Außerdem eine kleine Erfolgsprämie, wenn wir eine gute Zeit miteinander verbringen.“
Die Hausbesitzerin bläst ihre Wangen wie einen Luftballon auf, übt sich im theatralischen Luftablassen, kräht: „Ihr seid ein echter Gentleman. Mit euch führt junge Lady ein gutes Leben.“
„Nicht gute Reise, nicht wenig Geld“, sprudelt Nhim furchtsam hervor und faltet die Hände in Kinnhöhe.
Er blättert die erste Rate der Kaufsumme überschaubar hin. Ladymama schiebt die Scheine zusammen, nimmt mit angeleckten Fingern jede Banknote zur Hand, grunzt: „Vertrauen ist gut, Zählen ist besser“.
Von Klopp durchströmt ein warmes Grundgefühl.
„Sei bitte pünktlich acht Uhr vor dem Hotel“, wendet er sich an Nhim.
Ihr Kopf senkt sich zur auffälligen Schäglage, die Daumenspitzen ihrer gefalteten Hände tupfen an ihre Nasenspitze.
Von Klopp wirft einen Blick zum Vorplatz des Hotels, Rauchwolken einer Unratverbrennung auf dem Nachbargrundstück mindern die Sicht. Sein Frühstückstisch am offenen Fenster gestattet die Aussicht auf die gepflegten Außenanlagen der Rückseite des Hauses, eine Vielzahl von Bediensteten trifft hier letzte Vorbereitungen einer herrschaftlichen buddhistischen Hochzeitszeremonie.
Am Büfett bescheidet er sich mit Käse und Marmelade, die schlechte Güte der Brötchen stößt ihm übel auf. Für die Einhaltung der Übereinkunft bürgt allein das gegebene Wort, denkt er während des Frühstücks. Nach guter hanseatischer Sitte. Die Welt stützt sich auf Menschenvertrauen und nicht auf die breit gestreuten Niederungen des Menschengeschlechtes. Mama indes stellt diesem Vertrauensvorschuss seit Urzeiten wasserdichte Kontrakte entgegen. Bei Käthe setzt sie sogar einen Vertrag mit Wortlast über Gebühr auf. Nach so vielen Jahren im Haus.
Von Klopp überprüft die Uhrzeit, holt Nachschub am Kaffeeautomat und denkt entsetzt, oh Gott, ich muss mich endlich bei Mama melden! Aber diese schreckliche Zeitverschiebung. In Hamburg herrscht jetzt Schlafenszeit. Gewissensbisse lindert er durch eine SMS, das Beruhigende im Ausführlichen streut er sicherheitshalber auf zwei Kurzmitteilungen.
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