Ich sehe hoch und lese den Namen, der in metallenen Lettern über den Türportalen prangt: TREECSS.
Was der Name des Instituts, diese sieben Buchstaben, bedeuten, konnte ich, auch nach intensiven Recherchen, nicht in Erfahrung bringen. Aber alles sieht bist jetzt sehr vielversprechend aus und ich bereue es nicht, die Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg hierfür einzutauschen.
Das Geräusch von aufspritzendem Kies und einem Motor, der brüllt wie ein wütender Dämon, lassen mich herumfahren. Ein pechschwarzer Porsche prescht ungezähmt auf das Institutsgelände. Mit schlitterndem Heck fräst er sich um die Ecke und kommt schließlich auf dem Parkplatz unter den mächtigen Bäumen zum Stehen.
Ich sehe zu dem Porsche. Reiche Schnösel können sich wohl überall einkaufen.
Ich spüre aber auch einen Funken Hoffnung in mir aufglühen, denn der Fahrer könnte mir bestimmt zeigen, wo ich mich anmelden muss.
Ich bin verblüfft. Denn es ist eine Frau, die aussteigt.
Das Erste, was ich von ihr zu sehen bekomme, sind ihre schwarzen, eleganten, hochhackigen Schuhe und ihre langen, schlanken Beine. Sie kommt auf mich zu, bewegt sich mit übermenschlicher Anmut und einer Selbstsicherheit, die ich mir nur erträumen kann.
Sie trägt ihre dicken, blonden Haare in einem kunstvoll geflochtenen Zopf. Eine weiße Bluse und ein nicht zu kurzer, brauner Rock betonen ihre auffallend attraktive Figur und runden den Gesamteindruck elegant ab.
Ihr teures Auto zwinkert ihr zum Abschied zweimal zu, als sie es abschließt und zu mir herüberkommt.
Als ich ihr beim Gehen zusehe, erinnert sie mich an Heidi Klums Germany´s next Topmodel . Ich überlege kurz, ob ich vielleicht auch ein Lauftraining für Models bei YouTube studieren und mir außerdem von meinem ersten Gehalt einen großen Wandspiegel zum Üben kaufen sollte.
Ich lasse den Gedanken verpuffen, weil wir keinen Platz für einen Wandspiegel haben und auch keinen, um Laufen zu üben.
Tatsache ist, dass diese Frau von einer atemberaubenden Aura umgeben ist und aussieht wie ein Supermodel. Die Männer müssen ihr zu Füßen liegen.
Sie entdeckt mich, lächelt mich an wie eine alte Freundin und während sie neben mir anhält, bekomme ich einen trockenen Mund, weil ich registriere, wie jung sie noch ist.
Sie ist bestimmt erst Anfang zwanzig.
»Hi, du siehst aus wie ich an meinem ersten Tag«, sagt sie mit einem flockenleichten bayrischen Akzent.
»Studierst du auch hier?« Toll. Ich hätte erst denken sollen und anschließend reden. Was soll sie hier denn sonst machen.
»Ich bin Luise, aber alle nennen mich einfach Lu und nein, ich studiere nicht. Ich arbeite und unterrichte im TREECSS«, sagt sie beiläufig und streckt mir ihre Hand entgegen. Ich bemerke ihre perfekten Fingernägel. Sie hat einen kräftigen Händedruck und eine warme, seidige Haut.
»Ich bin Aeia«, sage ich verlegen und kann den Blick nicht von ihren himmelblauen Augen nehmen.
»Aeia? Spreche ich das so richtig aus? Das klingt nicht deutsch, oder?«
»Nein, nicht wirklich. Meine Mutter kommt aus Guatemala. Sie ist eine echte Maya-Indianerin. Daher mein Name. Aber ich bin in Deutschland aufgewachsen.«
»Ich stamme aus Schliersee in Oberbayern«, gesteht sie.
»Das habe ich mir gedacht.«
Lu sieht mich interessiert an. »Was hast du dir gedacht?«
»Dass du aus Bayern kommst.«
»Das hört man, oder? Ich kann das einfach nicht ablegen«, sagt sie und lächelt.
»Ja, das hört man und ich finde es sehr sympathisch«, sage ich und meine es auch so ehrlich, wie es über meine Lippen kommt. Sie lächelt mich wieder an. Die Art, wie wir uns begegnen, ist für mich komplett neu. Ich scheine mich auf Anhieb mit ihr zu verstehen. Oder sie sich mit mir. Ungewöhnlich, aber es fühlt sich echt an.
»Ist heute tatsächlich dein erster Tag?«
»Ja.«
»Aeia, pass auf. Ich will nicht unhöflich sein, aber ich bin etwas in Eile. Wenn du Lust hast, dann treffen wir uns heute Mittag in der Mensa und ich stell dir ein paar meiner Freunde vor? Aber jetzt muss ich los, meine Mitarbeiter und Studenten warten schon auf mich und du solltest dich auch beeilen. Es wird nicht gern gesehen, wenn man zu spät kommt. Vor allem nicht am ersten Tag.« Das sehe ich genauso und ich nicke.
»Hast du deinen Arbeitsvertrag denn schon unterzeichnet?«
»Ja«, mit meinem Blut, will ich ergänzen, lasse es aber sein.
»Und auch eine Anfertigung ans Institut geschickt?«
Ich bestätige auch das.
»Mit welchem Finger hast du ihn besiegelt?«, will sie wissen und ich zeige ihr meinen rechten Daumen.
»Gut, drücke ihn hier drauf«, sagt sie und zeigt mir eine kleine unscheinbare Glasplatte auf dem linken der beiden riesigen Türflügel. Sie ist eingebettet in ein Ornament, das sich, bei näherem Betrachten, als abstrakter Schmetterling entpuppt.
Ich höre, wie sich schwere Riegel zur Seite schieben. Als der Letzte in seiner Endposition einrastet, vibrieren die Türflügel wie bei einem kleinen Erdbeben, um dann majestätisch auseinander zu schwingen.
Fast schon zwanghaft erinnere ich mich an die Tore von Moria aus Der Herr der Ringe Saga. Dort sagte Gandalf das Wort Mellon (Freund auf elbisch), damit sich die Tore öffneten. Hier wird ein Freund an seinem Fingerabdruck erkannt. Andere Welt. Andere Zeit. Wobei Fingerabdrücke, bei den Möglichkeiten der hochauflösenden Fotografie, doch gar nicht so sicher sind, weiß ich aus dem Fernsehen, aber schon schlüpfe ich hinter Luise ins Innere. Die mächtigen Türen schließen sich wie von Geisterhand, nachdem wir sie passiert haben.
Sie wendet sich mir zu. »Weißt du, wo du hin musst?«, fragt sie.
»Nein, nicht so genau«, gestehe ich. »Die Bewerbung und der Vertrag liefen ausschließlich schriftlich ab. Ich habe nicht einmal jemanden gesehen. Das Einzige, was ich weiß, ist die Adresse, das heutige Datum und die Uhrzeit.«
»Das ist alles, was wir brauchen. Und glaub mir, DIE, wie du sie nennst, haben dich schon gesehen. Vermutlich schon lange bevor du überhaupt wusstest, dass es DIE und das Institut überhaupt gibt. Nichts wird hier dem Zufall überlassen und schon gar nicht die Auswahl, wer dazu gehört und wer nicht. Komm, ich zeige dir, wie du zu deinem Professor findest.«
Wir stehen in einem Raum, der einen Halbkreis beschreibt. Hinter uns befinden sich die Eingangstüren und noch eine Glasplatte mit Schmetterling. Mein Fingerabdruck wird auch nötig sein, wenn ich das Institut wieder verlassen will. Vor uns befinden sich drei Fahrstuhltüren. Jede gleicht der anderen bis ins kleinste Detail. Luise führt mich zu einem Touchscreen, der vor den Fahrstühlen auf einem drehbaren Sockel montiert ist. Die Büste des Gründervaters des Instituts hätte hier auch gut hingepasst.
Mit ihrem Daumen (langsam gewöhne ich mich an dieses genetische Kennwort, welches alle Schlüssel, Chipkarten und Passwörter ersetzt) erweckt sie den Monitor zum Leben. Er ist riesig und dann erklingt eine Stimme: »Guten Morgen Dr. Kleist, es ist 8:23 Uhr. Sie sind heute spät dran.«
Doktor? Ich schrumpfe neben Lu, neben Dr. Luise Kleist, um mindestens zehn Zentimeter.
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