1 ...7 8 9 11 12 13 ...21 Die einzige Möglichkeit des Menschen, Erkenntnisse über das Sein zu gewinnen, ist das Denken, „denn dasselbe ist Denken und Sein” [18]. Das heißt aber auch (und auch dieser Gedanke wird über Platon die Philosophie nachhaltig beeinflussen), dass das Denken nicht über das Sein hinausgehen kann. Etwas, das nicht ist, kann auch nicht gedacht werden [19]!– Platons Probleme mit der Kunst im Allgemeinen und den Dichtern im Besonderen [20]!finden sich hier ebenso bereits vorgezeichnet wie die Jahrtausende lange Schwierigkeit der Wissenschaft, Sprache und Theorien als Instrumente anzuerkennen, die die Welt nicht abbilden oder nacherzählen, sondern gezielt verändern sollen.
Dass sich der Einfluss, den Parmenides mit seinem Lehrgedicht auf Platon gehabt hat, nicht nur auf diesen inhaltlichen Aspekt beschränkt, wird besonders deutlich, wenn man den weiteren Verlauf des Höhlengleichnisses betrachtet. Wie Sokrates dort erläutert, wird einer der Gefangenen von seinen Fesseln gelöst und genötigt, in der Höhle umher zu gehen. Man erklärt ihm die Zusammenhänge, zeigt ihm das Feuer (an das sich seine Augen erst langsam gewöhnen müssen) und sagt ihm, dass er damit nun „dem wahren Sein schon näher sei und sich zu schon wirklicheren [!] Gegenständen gewandt habe” [21], während die Schattenbilder nur Täuschungen gewesen seien. Dieser völlig verwirrte Mensch wird dann auch noch aus der Höhle hinausgeführt und lernt mit der Sonne und den durch sie beschienenen Gegenständen nun endgültig das wahre Sein sowie die wirklichen Gegenstände kennen – dass Platon den Ausgang aus der Höhle und die Hinführung zum Licht der Sonne ausdrücklich als ein „Hinaufziehen” [22]bezeichnet, ist dabei eine klare Anspielung auf die Himmelfahrt im Lehrgedicht von Parmenides [23]!.
Mit diesem kurzen Szenario ist der Kern der Platonischen Philosophie dargestellt, auch wenn das Höhlengleichnis selbst an dieser Stelle noch nicht vorbei ist. Denn Platon kann es sich nicht verkneifen, die Frage zu stellen, was passieren würden, wenn dieser der Wahrheit nun kundige Mensch „wieder hinunter käme” [24]und seinen ehemaligen Mitgefangenen in der Höhle von seinen Erkenntnissen berichten würde. Dass sich die in der Dunkelheit Zurückgebliebenen gegen die Wahrheit wehren und den Wissenden wegen dessen Versuch, sie auch der Erkenntnis zuzuführen, gar umbringen („würden sie ihn nicht ermorden, wenn sie ihn in die Hände bekommen […] könnten?” [25]) ist nicht schwer als deutliche und kritische Anspielung auf das Schicksal seines Lehrers Sokrates zu verstehen.
Der eigentliche philosophische Gehalt des Höhlengleichnisses beginnt aber bei der bereits oben erläuterten erkenntnistheoretischen Zurückweisung des sinnlichen Weltzugangs: Die Sinne, so Platon in Übereinstimmung mit Parmenides, täuschen den Menschen und sind tatsächlich nur Schatten der wahren Dinge [26]!. Sie suggerieren Veränderungen, die es in Wahrheit gar nicht geben kann, denn die Wahrheit ist ewig und immer gleich.
Das Organ des menschlichen Weltbezugs, das geeignet ist, die Wahrheit zu erfassen und das ebenfalls bereits bei Parmenides in den Mittelpunkt des Interesses gerückt wird, ist demgegenüber das Denken .
Eine Präzisierung dieser erkenntnistheoretischen Zusammenhänge legt Platon in einem zweiten Gleichnis am Ende des sechsten Buches der Politeia vor, dem Liniengleichnis . Dabei steht die Linie stellvertretend für das menschliche Weltverhältnis und die dabei möglichen Zugangsformen. Auf der obersten Ebene, so erläutert Sokrates, ist die Linie in zwei Teile untergliedert, die der sinnlichen und denkenden Form des Weltbezugs entsprechen: Sichtbares und Denkbares.
Der Rolle der bereits im Höhlengleichnis zur Sprache gekommenen Sonne widmet Platon zunächst ein eigenes Gleichnis, das Sonnengleichnis . Der aus der Höhle hinauf ans Tageslicht gebrachte Mensch sieht dort Dinge, die von der Sonne bestrahlt werden, anders gesagt: Er sieht die wahren Dinge dank der Sonne. Sie selbst gehört nicht zu diesen Dingen, ermöglicht aber erst deren Wahrnehmung. Um einen erst viel später von Kant eingeführten Ausdruck zu benutzen: Die Sonne ist die Bedingung der Möglichkeit , also die notwendige Bedingung des Sehens der wahren Dinge.
Das scheint nun angesichts des im Höhlengleichnis zu den Sinnen Gesagten sowie der im Liniengleichnis erläuterten Aufteilung in Formen menschlicher Weltverhältnisse in das Sichtbare und Denkbare zu einem Widerspruch zu führen. Denn wenn die Sinne den Menschen immer über die wahren Dinge täuschen, wie kann dann ausgerechnet die Sonne für Erkenntnisse sorgen?
Licht ins Dunkel bringt in diesem Fall die Einsicht, dass wir auch heute noch in vielen Sprachen über das Wissen und die Erkenntnis metaphorisch reden (etwa, wenn uns ein ebensolches Licht aufgeht), wir benutzen also Ausdrücke, die dem Feld der Sinnlichkeit entnommen sind, beziehen uns dabei aber auf Geistiges. Und genau so geht Platon vor, wenn er die Sonne als, wie er schreibt, „Kopie” [27]von etwas Anderem versteht – und dieses Andere ist ebenso dem Bereich des Denkens zuzuordnen wie unser Zugang zu den wahren Dingen, die von der Sonne ‚beleuchtet’ werden. Der aus der Höhle zur Sonne aufgestiegene Mensch vollzieht also erkenntnistheoretisch betrachtet auch den Wechsel von den täuschenden Sinnen zum Denken – und die Frage, die dann noch zu beantworten wäre, ist die, was denn dieses Andere ist, für das die Sonne im Höhlengleichnis steht, und was genau es ermöglicht.
Wir sind damit bei einem Teil der Platonischen Philosophie angekommen, dem zwar ohne Frage einige Bedeutung zukommt, der aber im Lauf der Zeit so ausführlich zum Objekt der Interpretation gemacht wurde, dass man zu Recht zwischen den bei Platon tatsächlich zu findenden Positionen und dem als abgeschlossene Lehre präsentierten Platonismus unterscheidet. Gemeint ist die so genannte Ideenlehre , der seit Aristoteles und seiner Kritik an ihr sowohl an Umfang als auch philosophischer Bedeutung ein weitaus größeres Gewicht beigemessen wird als das bei Platon selbst der Fall ist. Im Übrigen geht Platon in mehreren seiner Werke (vor allem im Parmenides ) kritisch auf sein eigenes Denken in Bezug auf die Ideen ein; der erste Kritiker Platons in dieser Hinsicht ist also nicht etwa Aristoteles, sondern Platon selbst [28]!.
Gerade durch die ständige Weiterentwicklung seiner Argumentation macht Platon das Vorhaben, sich bezüglich der Ideen an seinem Werk selbst statt an populären, vereinfachten Versionen der Ideenlehre zu orientieren, aber auch selbst nicht gerade einfach. Das beginnt bereits mit der Frage, wo die Behandlung dieses Themas bei ihm eigentlich einsetzt. Der gängigen Einteilung von Platons Werk in drei Phasen folgend wird seine Auseinandersetzung mit den Ideen oft auf die Mittel‐ und Spätphilosophie beschränkt, was auch besagen soll, dass die (eher Sokratisch verstandene) erste Phase von diesem Thema weitgehend unberührt ist. Nun findet sich der erste Beleg des Ausdrucks idea aber bereits in dem Dialog Euthyphron – und der gehört zu den sogenannten ‚Sokratischen’ Dialogen der ersten Phase. Darüber hinaus gibt es Interpreten, die das, was Platon der Sache nach mit den Ideen sagen möchte, bereits noch früher (nämlich im Protagoras [29]) zu finden glauben. Und je länger die Auseinandersetzung Platons mit den Ideen dauert, desto mehr verschiebt sich die Bedeutung dessen, was mit idea gemeint ist, sodass in späteren Werken wie dem Sophistes oder dem Timaios das, was davor möglicherweise an berechtigter Kritik an Platon hätte vorgetragen werden können, schon nicht mehr aktuell ist.
Wie erwähnt, betreibt Platon diese Kritik in einigen Schriften ohnehin auch selbst. Man wird also letztlich nicht umhinkommen, bei der Darstellung von Platons Philosophieren über die Ideen seinem Denken zu folgen und sich an Inhalten und nicht an der sprachlichen Oberfläche zu orientieren. Wenn man das tut, ergibt sich allerdings ein deutlich anderes Bild als das von der Ideenlehre gewohnte, und das philosophische Profil Platons nimmt eine teilweise unerwartete Form an.
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