
Ben stand mit den Händen in den Hosentaschen vor dem Schaufenster des Angelshops. Und dies tat er schon ungefähr fünfzehn Minuten dort. Er schwenkte den Kopf im Viereck in alle Richtungen, um alles ganz genau zu betrachten und jedem Ding die ihm angemessene Aufmerksamkeit zu schenken.
Ein Schnalzen mit der Zunge unterstützte sein Wohlbefinden und er wünschte er hätte noch ein paar Extrahände und ein paar Extrahosentaschen, so verdammt gut fühlte er sich!
„Ben, Ben, Ben!“
Asmus, der Mann von Marge, trat seitlich heran, hatte bereits eine Wathose an, eine Forellentasche und auch eine Angel zur Stelle. Dazu einen ausgebeulten Angelhut auf dem Kopf.
„Was machst Du den hier? Bist Du heute nicht im Diner?“
Asmus war ein hochgewachsener Kerl mit spärlicher Behaarung und sah fast selbst wie ein Fisch aus. Seine Eltern waren ursprünglich Norweger gewesen, aber alle nannten ihn immer nur den alten Schweden. So abgedroschen sich das auch anhörte, aber für Asmus traf es irgendwie zu. Er musste so ziemlich einer der glücklichsten und unglücklichsten Menschen in der Stadt sein.
Von seiner Frau sah er meist immer nur die Rückseite, was dazu führte, dass er immer nur am Angeln war.
Die einen sahen sowohl das eine als auch das andere als enormen Vorteil und zugleich Nachteil an.
„Nein, Asmus!“, brüllte Ben. „Habe heute meinen freien Tag! Schaue nur nachher mal kurz vorbei!“
Asmus musste wohl beim Angeln zu viel im kalten Wasser gestanden und dabei, und vom Frühjahrsnebel des Sees, sehr oft Zugluft abbekommen haben. Deshalb war er auch schwerhörig. So zumindest die Vermutung der allermeisten Leute hier.
„Ah!“, antwortet Asmus erleuchtet. „Na ja, muss ja auch mal sein!“
Er zog wie immer eine enorme Wasserlache hinter sich her, die sich in einer langen Spur über den Asphalt der Straße und den regelmäßigen Platten des Weges ergoss und welche rückwirkend verfolgt in das Innere des Parks führte.
Wo zur Hölle konnte man denn hier angeln? , fragte sich Ben, der quer über die Straße und in die Grünflächen der gegenüberliegenden Seite starrte. Asmus schaffte es immer wieder irgendwie schwammgleich, massenhaft Feuchtigkeit aufzunehmen, mitzubringen und zu den unpassendsten Gelegenheiten feinsäuberlich zu verteilen, auch wenn nicht mal eine Pfütze oder ein Glas Wasser in der Nähe schien. Beide drehten sich nun der Auslage im Schaufenster zu und Ben wollte gerade sein gut vorbereitetes Repertoire an selbst erfundener Zeichensprache umsetzen. Ein Gefühl der Bedrückung. Nein! Ein Gefühl des Unwohlseins. Nein! Ein ... komisches Gefühl! Ben und Asmus stocherten fast gleichzeitig mit dem rechten Mittelfinger in ihren Ohren und bohrten etwas. Ein hochfrequentes Pfeifen. Ein kurzes Flackern. Irgendwie ein Vibrieren. Beide hatten das Gefühl, als würden sie gerade mit einem seichten Blitz bestrahlt. Sie drehten sich um und erkannten die betagte Straßenlaterne, welche eine Weile unregelmäßig flackerte und dann den Geist aufgab. Sie nickten langsam und einsichtig, als wenn sie gerade den Stein der Weisen gefunden hätten. Weiter würdigten sie das nervige Ding keines Blickes und wandten sich wieder dem Schaufenster zu. Sie schwiegen. Ben zeigte wortlos auf ein Teil in der Auslage und führte die andere Hand zu seinem Hintern. >Kratz, kratz< Asmus‘ Blick folgte Bens Fingerzeig in das Schaufenster und er nickte. Ebenfalls ..... wortlos.

Marie hatte es endlich geschafft.
Endlich! Endlich! Sie war dran. Besser gesagt, sie hatte die Kasse erreicht. Ein paar Aushilfskräfte zerrten den Einkauf aus dem Wagen. Die aufgepeppte, junge Kassiererin zog das Ganze in kaugummikauender Gleichgültigkeit über den Scanner, um am Ende durch ihre Kollegen alles derb in Papiertüten einsacken zu lassen. Marie entschied, dass sie jetzt Ben anrufen sollte, damit er sie abholte. Gerade, als der Rufton dort sein sollte, wo man ihn eigentlich vermutete, knisterte und rauschte es heftig in ihrem Mobiltelefon. Sie verdrehte fragend die Augen und horchte gespannt hinein. Die Kassiererin zog erschrocken die Hand von ihrem Arbeitsgerät zurück. „Autsch!“ Alle herum erstarrten und schauten auf diese, welche gezwungen lächelte und begann einen ihrer Finger in den Haaren einzudrehen. „Wohl so etwas wie eine statische Entladung...“, ergänzte Marie. Dann wurde allen Frauen an der Kasse, und es waren nur Frauen, plötzlich speiübel. Marie selbst hatte das Gefühl, dass sie wieder Teenager war und soeben vier Schachteln Zigaretten in Verbindung mit zwei Flaschen Beam auf nüchtern Magen verarbeiten müsste. Ihr Blick traf sich mit dem von Marge, die mit aufgerissenen Augen würgte. Die Kassiererin presste ihre Hände in die Seite und den Bauch und aus ihrem grimassenartigen Gesicht purzelte der Kaugummi auf den Scanner am Warenband. Plötzlich ein Flackern und die LED-Zahlen der Kassenanzeige leuchteten abwechselnd stark auf, unterstützt von einem Pulsieren aus dem verglasten Laser des Scanners. Dann war alles irgendwie schnell vorbei. Alle fassten sich wieder und schnappten tief nach Luft. Nach ungefähr dreißig Sekunden entschied jede für sich selbst unter einer Art Frauenproblem gelitten zu haben und alle nahmen recht schnell wieder ihre üblichen Tätigkeiten auf. Die Kassiererin stecke eiligst den nun leicht schmutzpanierten Kaugummi wieder in den Mund und informierte... „...Äh...., unser System ist ausgefallen, sie müssen sich bitte an der anderen Kasse anstellen!“ Nein...., nein...., das konnte nicht sein! Marie hatte jetzt wirklich eine verdammt miese Laune. „Wie bitte?“, zischte Marie!? „Wie bitte?!“ Sie warf einen Blick hinter und einen vor sich. Alle anderen Kassen waren ebenfalls mit extralangen Schlangen versehen. „Stromausfall!“, rief es aus einer Ecke. Es war der Filialleiter, welcher eiligst angelaufen kam. Seine Nasenhaare vibrierten leicht über seinen schiefen Zähnen, als er mit einer übertriebenen Grimasse der Freundlichkeit geradewegs in das Chaos steuerte und erfreut Maries Gesicht erspähte. Diese wünschte sich im gleichen Augenblick nun doch wieder etwas weiter hinten zu stehen. So ungefähr zwei- bis dreihundert Fuß. Oder gleich in einer anderen Stadt.

Fast alle Kinder saßen gespannt auf ihren Plätzen und blickten nach vorn an die Tafel. Dort hatte Annie ein paar kunterbunte Schriftzeichen angepappt.
In der obersten Reihe die großen Lettern und darunter das jeweilige Pendant als Kleinbuchstabe.
Insgesamt wurden „A“, „B“ und „C“ dargestellt.
Annie hatte sich in Raummitte postiert und vermittelte eine Art feierliche Stimmung. Und die Kleinen spürten es.
Es lag etwas in der Luft. Und das gleich im doppeldeutigen Sinne.
Plötzlich fingen die Neonlampen des Schulzimmers an zu pulsieren.
Alle rissen die Köpfe hoch und die kleinen Gesichter der Kinder schauten verdutzt, und teils ängstlich, nach oben.
„José! ...“, wies Annie gleichzeitig als Problemlösung an, „.. mach das Licht aus, es ist hell genug!“
José und Ben Junior standen in der hintersten Ecke des Raumes und José hatte das Glück der beiden Unglücklichen, mal aus dieser herauszudürfen. Bevor dieser den letzten Schalter drücken konnte, erstarb das Flackern über allen Anwesenden.
Annie war zufrieden.
„José, du darfst dich setzen.“
Sie trat aus der Mitte des Raumes, zur Tafel.
Dort baute sie sich rücklings auf, verlängerte ihren Stift durch abruptes Ziehen an Selbigem und führte die Spitze des nun vorhandenen Zeigestockes sorgfältig zum großen „A“.
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