„ Spreche ich mit Rebecca Mornay?“
„Ja, am Apparat.“
„ Du bist die Pfarrerin?“
„Ja, das bin ich.“
„ Hast du mein Päckchen erhalten?“
„Sprechen Sie von dem kleinen Telefon?“
„ So ist es.“
„Ja, ich habe es erhalten. Was soll ich damit?“
„ Es soll dir helfen, dich zu erinnern.“
„Ich verstehe nicht. Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“
„ Oh ja, das kannst du, Frau Pfarrerin. Du könntest mir erklären, wieso du dich noch im Spiegel anschauen kannst. Schämst du dich nicht, das Wort Gottes zu verkünden? Du, die so abgrundtief schlecht und so schuldig ist wie kaum ein anderer? Kannst du überhaupt noch ruhig schlafen?“
Aber wahrscheinlich fällt dir das nicht schwer, so abgebrüht und skrupellos wie du bist.“
Die Vorwürfe des Unbekannten dröhnten wie die Posaunen von Jericho in Rebeccas Schädel. Sie war kreidebleich. Panische Furcht doch noch zur Verantwortung gezogen zu werden und alles zu verlieren, ließ sie schwanken. Sie konnte sich kaum noch auf den Beinen halten vor Schwäche. Mit weit aufgerissenen Augen lehnte sie sich zitternd gegen die Wand.
Auf die Vorwürfe zu antworten vermochte sie nicht, denn ihr Hals war wie zugeschnürt. Was hätte sie auch darauf erwidern sollen?
„ Was ist? Bist du noch am Apparat oder bist du in Ohnmacht gefallen? Obwohl ich mir das bei dir eigentlich nicht vorstellen kann.“
Rebecca riss sich zusammen. „Ich bin noch hier“, flüsterte sie. „Was wollen Sie von mir?“
„ Hast du nicht zugehört? Was glaubst du denn, was ich will? Ich will dich für das, was du befürwortet und zugelassen hast, zur Verantwortung ziehen, Frau Pfarrerin.
Und ich frage mich, wenn es einen Gott gibt, wieso er dich nicht längst für deine Anmaßung bestraft hat, sein Wort zu predigen.
Ausgerechnet du!
Wäre es nicht so traurig, würde ich schallend über diese Absurdität lachen.
Aber ich lache nicht.
Nein, ich werde deine Skrupellosigkeit offenbaren, dich vernichten, dich unmöglich machen, dein Leben ruinieren, so wie du das Leben anderer ohne jedes Gefühl missachtet hast.
Von heute an werde ich dein unsichtbarer Schatten sein, bis du endlich bereust. Ob das dann dein Ende bedeutet oder nicht, das wird sich zeigen. Aber bevor es soweit ist, wirst du all das verlieren, was dir wichtig ist.
Wir hören voneinander, Frau Pfarrerin. Du wirst dich für deine Vergehen schon sehr bald verantworten müssen. Wie, das überlege ich noch. Aber es wird für dich sicherlich alles andere als angenehm sein“, versprach der Anrufer und legte auf.
Rebecca schleppte sich zu einem Sessel. Sie hatte ihre Schuld verdrängt, hatte in den vergangenen Jahren keinen einzigen Gedanken daran verschwendet. Warum auch, es war Vergangenheit. Natürlich hatte sie nichts vergessen.
Wie hätte sie auch.
Aber ihr war immer klar gewesen, dass es für das, was damals mit ihrem Einverständnis geschehen war, keine Entschuldigung und keine Absolution gab.
Natürlich hätte sie die Pfarrstelle nicht annehmen dürfen, nicht nach dem, was kurz zuvor geschehen war. Aber diese Position zu erreichen, war von jeher ihr Ziel gewesen. Und dann starb der Pfarrer der Gemeinde ganz unverhofft. Und da sie alle erforderlichen Voraussetzungen erfüllte, hatte sie sich unverzüglich um die Pfarrstelle beworben.
Und wenn sie ehrlich zu sich war, dann musste sie sich eingestehen, dass sie auch jetzt ihre damalige Entscheidung keineswegs bereute.
Im Moment war es nur die Furcht vor Strafe die sie umtrieb. Ehrliche Reue verspürte sie nicht. Sie bereute nichts und würde auch heute wieder dieselbe Entscheidung wie damals treffen.
Fünf Jahre war das alles her, fünf lange Jahre, in denen sich ihr Gewissen niemals gemeldet hatte. Sie hatte ihr Leben genossen und die begangene Untat einfach daraus verdrängt. Und es war ihr absolut gelungen, gestand sie sich ein. Und das, obwohl ihre Schuld größer als die ihrer Komplizen war.
Sie fragte sich verwundert, wieso es sie jetzt plötzlich dermaßen belastete, wo sie doch jahrelang keinen Gedanken daran verschwendet hatte.
Wieso brachte sie ein simpler Anruf dermaßen aus der Fassung?
War es einzig Furcht?
Womit hatte der Anrufer ihr noch gedroht?
Ich werde dich vernichten, dich unmöglich machen, dein Leben ruinieren.
Wollte er sie kompromittieren?
Aber wie? Und womit?
Sie wusste es nicht, doch die Angst davor ließ sie erzittern. Ja, sie fürchtete sich, fürchtete mehr als den Tod, zum Gespött all derer zu werden, die sie akzeptierten, gern hatten und zu ihr aufblickten. Ihre anerkannte Stellung in der Gemeinde zu verlieren, die ihr sehr wohlwollend gegenüberstand, war ein Gedanke, den sie nicht ertragen konnte.
Und damit hatte sie auch die Erklärung für ihre plötzlichen Schuldgefühle. Sie entsprangen einzig und allein ihrer panischen Furcht an den Pranger gestellt zu werden, erkannte sie.
Eine Todesdrohung hätte sie lange nicht so mitgenommen wie die Drohung des Anrufers sie in der Öffentlichkeit bloßzustellen, denn das war der Sinn seiner Worte gewesen.
Also keine Reuegefühle, sondern purer Eigennutz, genau wie damals!
Aber hatte der Anrufer wirklich etwas gegen Sie in der Hand? Woher wusste er überhaupt von ihr?
Theo Neumann! Hatte der Polizist geredet? Hatte er ihren und die Namen der anderen verraten, in der Hoffnung, sein Leben zu retten?
Dann war der Anrufer Theo Neumanns Mörder!
Wollte er sie alle töten? Aber warum? Wer war dieser Mann?
Und wieso tauchte er erst jetzt auf, nach so vielen Jahren? Warum hatte er sich nicht schon früher an ihnen gerächt?
Es war ihr ein Rätsel. Und diese Ungewissheit flößte ihr Unbehagen ein. Irgendwie hätte es sie beruhigt, den Grund dafür zu erfahren.
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