Na und? Stalker tummeln sich quer durch alle Gesellschaftsschichten, nehmen nicht nur Reiche oder Berühmtheiten aufs Korn. Oftmals sind es sogar ehemalige Freunde, Gefährten oder Liebhaber. Jeder kann auf eine solche Idee kommen. Jeder! , flüsterte ein leises Stimmchen hinter ihrer Stirn.
„Aber ich wüsste niemanden, der so etwas tun würde“, flüsterte Carola. „Doch selbst wenn, würde ich mich auf gar keinen Fall verrückt machen lassen. Ich fürchte mich nicht vor ihm, darauf kann dieser Verrückte lange warten.“
Wer immer mich auch bedroht , ich lasse mir etwas einfallen, um mich seiner Nachstellungen zu erwehren.
„So leicht lasse ich mich nicht in die Defensive drängen. Dieser Kerl wird es noch bitter bereuen, sich mit mir angelegt zu haben. So leicht kann man mir keine Angst einjagen“, versprach sie selbstsicher und eiskalt.
Sie zuckte mit den Schultern und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu.
Furcht verspürte sie nicht.
Noch nicht!
Der Immobilienmakler Jacob van Dyck klappte die Ledermappe zu, in die er soeben den mit dem Autohändler Stephan Heimbach geschlossenen Vertrag gelegt hatte. Endlich war er dieses Mietshaus in Eimsbüttel losgeworden, für das er schon viel zu lange einen Käufer suchte.
Aber jetzt hatte es ja geklappt. Er war zufrieden.
Gar nicht dumm von dem Mann. Dieser Heimbach war schlauer, als die vorherigen Interessenten, die nur an das Haus und nicht an die Lage des Grundstücks gedacht hatten, weil sie sofort Mieteinnahmen abschöpfen wollten.
Anfangs hatte er sich selbst für das Objekt interessiert. Aber dann war ihm der Aufwand zu groß gewesen, besonders zeitlich. Den Preis hätte er sicherlich noch drücken können, wenn er es gekauft hätte, denn der Verkäufer benötigte dringend Geld.
Aber so war es ihm lieber.
Vermutlich würde Heimbach das alte Gebäude abreißen und dafür ein modernes, mit schicken Eigentumswohnungen bauen lassen. Bei der günstigen Lage, würde ihm das einen satten Gewinn einbringen.
Aber um das zu realisieren, musste er die Mieter erstmal rauskriegen. Und das würde bei der derzeitigen Wohnungsknappheit nicht einfach sein. Allerdings hatte Heimbach auf ihn nicht den Eindruck eines besonders rücksichtsvollen Menschen gemacht, von Mitleid ganz zu schweigen.
Der Autohändler war eiskalt, er würde sein Vorhaben gegen jeden Widerstand durchziehen, da war sich van Dyck absolut sicher.
Aber das ging ihn nichts an.
Ihn interessierte einzig der Vertrag, den er endlich unter Dach und Fach gebracht hatte. Nur das war für ihn wichtig. Was mit den Mietern passierte, das war ihm sowieso egal. Sollten sie doch sehen, wo sie unterkamen. Seine Sorge war das nun wirklich nicht.
Er kassierte eine saftige Provision und nur das alleine zählte.
Deshalb hatte er ja auch vom Kauf dieses Objekts Abstand genommen. Er hatte keine Lust gehabt, sich mit den Mietern rumzuärgern. Unter Umständen vielleicht sogar noch zu prozessieren, was einen Baubeginn auf unbestimmte Zeit hinauszuzögern vermochte.
Nein, da gab es weitaus günstigere Möglichkeiten Gewinne zu erzielen. Zwar wünschte er es Heimbach nicht, aber der Ärger war vorprogrammiert. Und reichlichen Ärger würde es geben, das war doch sonnenklar.
Wahrscheinlich würde Heimbach versuchen, die Leute mit Geld aus ihren Wohnungen zu verscheuchen. Sollte das jedoch nicht gelingen, würde er wohl zu Drohungen, vielleicht auch zu gewalttätigen Maßnahmen greifen. Heimbach ging es um Profit, was van Dyck sehr gut nachempfinden konnte.
Eine andere Möglichkeit konnte sein, das Haus abzufackeln, zuzutrauen wäre es Heimbach. Diese Autohändler waren doch alle Schlitzohren.
Wenn dieser es geschickt anstellte, und das würde er mit Sicherheit, dann konnte er bei einem solchen Vorgehen unter Umständen sogar noch die Versicherungssumme kassieren.
Sehr clever, dachte van Dyck, obwohl mir das ganze Theater zu aufwendig wäre. Das Elend und die Verzweiflung der Mieter, die alles verlieren würden, interessierten einen so gewissenlosen Egoisten wie den Immobilienmakler natürlich nicht.
Van Dyck stand auf und begab sich zum Safe, um die Mappe hineinzulegen. Danach musste er noch die Post durcharbeiten, die ihm seine Sekretärin auf den Schreibtisch gelegt hatte. Sie hatte sich den Nachmittag frei genommen, um Überstunden abzubummeln, die sich in letzter Zeit angesammelt hatten.
Er ging zurück zu seinem ausladenden Schreibtisch und setzte sich. Seufzend zog er den dicken Poststapel zu sich heran. Obenauf lag ein kleines, in dunkelblaues Papier eingewickeltes Päckchen, das ihm bisher noch nicht aufgefallen war.
„Nanu, ein Geschenk?“, murmelte van Dyck überrascht. Er legte es vor sich hin und musterte es skeptisch. Da es nicht frankiert war, konnte es nicht durch die Post zugestellt worden sein.
„Aber wer hat es dann gebracht?“, murmelte der Immobilienmakler unbehaglich. Da heutzutage ständig irgendwelche Anschläge auf Firmen und unbescholtene Bürger verübt wurden, konnte man nicht vorsichtig genug sein, um seine Gesundheit und sein Leben zu schützen.
Misstrauisch betrachtete er das Päckchen von allen Seiten.
Sollte er es öffnen?
Aber was, wenn es Gift oder Sprengstoff enthielt?
Zu dumm, dass seine Sekretärin bereits gegangen war, sonst hätte sie das Päckchen öffnen können, während er sich vorsorglich mit einer Ausrede zurückgezogen hätte, um sicher vor einem eventuellen Anschlag zu sein.
Aber sie war leider nicht mehr da, also musste er eine Entscheidung treffen.
Aufmachen oder bis morgen warten?
Er griff zur Schere. Denn Neugier war Jacob van Dycks Schwäche.
Er entfernte das Papier. Darunter kam ein braunes, zugeklebtes Kästchen zum Vorschein. Van Dyck musterte es skeptisch.
Aber er war kein Feigling.
Entschlossen griff er zur Schere und schnitt das Klebeband durch. Vorsichtig öffnete er das kleine Pappkästchen und nahm den darin befindlichen Gegenstand heraus.
„Was ist denn das?“, murmelte er. Verwundert betrachtete er das schwarze Replikat eines antiquierten Telefons. Mit gerunzelter Stirn las er die beigefügte schmale Karte:
ERINNERE DICH!
„Hübsch, aber was soll ich damit?
Und an was soll ich mich erinnern?“
Er starrte das winzige Telefon an, das ihm irgendwie bekannt vorkam. Irgendwo hatte er ein solches Telefon schon einmal gesehen, allerdings in normaler Größe.
Aber wo?
Da kündigte sich eine lang vergessene Erinnerung an, eine unwillkommene düstere Erinnerung, die er sofort wieder verwarf.
Nein, das war nicht möglich.
Das war doch schon ewig lange her!
Das Klingeln seines Telefons lenkte ihn ab. Er nahm den Anruf entgegen.
„ Spreche ich mit Jacob van Dyck?“, fragte eine dumpfe Stimme.
„Ja, so ist es. Was kann ich für Sie tun?“, fragte van Dyck beflissen, denn es konnte ja ein einträglicher, Profit versprechender Kunde sein.
„ Hast du mein Päckchen erhalten?“
„Sprechen Sie von dem kleinen Telefon?“
„ So ist es.“
„Ja, ich habe es erhalten. Und was soll ich damit?“
„ Es soll dir helfen, dich zu erinnern.
Ich werde ab jetzt stets in deiner Nähe sein. So lange, bis du deine Schuld bereust und es an der Zeit ist, dein Leben zu beenden. Aber zuerst ruiniere ich dich“ , versprach der Anrufer und legte auf.
Der Immobilienmakler, der den Hörer noch immer an sein Ohr presste, vermochte es kaum zu glauben, als er endlich den Sinn dieses seltsamen Anrufs begriff.
Langsam legte er den Hörer auf.
Er wurde bedroht!
War denn das zu fassen? Wer maßte sich eine derartige Unverfrorenheit an?
Und was sollte dieses läppische Geschenk?
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