„Was soll das? Was wollen Sie?“, fragte er eher verwundert als ängstlich. Sehr mitgenommen wirkte der massige Polizist nicht. Den Stromschlag schien er ziemlich schnell zu verkraften. Aber das war seinem Besucher nur recht.
„Ich werde Sie töten, Neumann“, erwiderte der Fremde gelassen.
Theo Neumann starrte ihn ungläubig an. „Mich wollen Sie töten? Einen Polizisten? Sind Sie verrückt geworden? Warum?
Hier ist absolut nichts zu holen, für das sich ein Mord lohnen würde.“
„Darum geht es mir nicht.“
„Worum geht es Ihnen dann? Was soll der Scheiß? Ich habe Ihnen nichts getan. Also gibt es auch nicht den geringsten Grund mir etwas anzutun. Ich kenne Sie ja noch nicht einmal“, stieß Neumann geradezu empört hervor.
„Sie irren sich Neumann. Ich habe sogar einen sehr guten Grund Ihnen das Lebenslicht auszublasen“, erwiderte der Fremde gelassen.
„Sie haben getötet. Sie sind ein schändlicher Mörder. Erinnern Sie sich?“
„Was reden Sie denn da für einen Unsinn? Was soll diese ungeheure Unterstellung? Ich bin Polizist. Ich habe niemanden getötet. Im Gegenteil! Ich beschütze die Menschen“, behauptete Neumann.
Der Fremde lächelte spöttisch.
„Erinnern Sie sich an die Zeit vor fünf Jahren? Na, fällt es Ihnen wieder ein? Sie waren sich so sicher, waren so fest davon überzeugt, für Ihre schändlichen Taten niemals zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Allerdings haben Sie sich getäuscht, denn mit mir haben Sie nicht gerechnet.
Und nun werden Sie meiner Rache nicht entgehen.“
Theo Neumann wurde kreidebleich als er begriff, wovon der Unbekannte sprach.
„Sie werden blass? Also haben Sie endlich erkannt, worum es hier geht. Sie haben sich zu früh gefreut, Neumann. Sie fühlten sich zu sicher. Doch Ihr Glück der Bestrafung entgangen zu sein, endet für Sie hier und jetzt“, versprach der Fremde kalt.
Der Polizist starrte den Mann an, dessen kalte Gelassenheit ihm plötzlich panische Furcht einflößte, eine Furcht wie er sie noch niemals zuvor verspürt hatte.
Denn mutig war Theo Neumann nur dann, wenn er einem hilflosen Gegner mit der Waffe in der Hand überlegen war. Doch jetzt überfiel ihn rasende Todesangst wie ein plötzliches Fieber.
Er war diesem Unbekannten auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, erkannte er am ganzen Körper zitternd.
„Sie irren sich“, wimmerte er. Seine Kaltschnäuzigkeit war wie weggeblasen. Jetzt war er nur noch ein zitterndes Bündel panischer Furcht.
„Sagen Sie die Wahrheit, Neumann. Vielleicht überlege ich es mir dann und lasse Sie am Leben. Aber noch eine einzige Lüge und …“
„Bitte, tun Sie mir nichts“, winselte Neumann.
„Dann sprechen Sie.“
„Ich, ich wollte das alles nicht. Sie müssen mir glauben. Ich …“
Ein Tritt in die Rippen unterbrach abrupt sein verlogenes Gewinsel.
„Das war Ihre letzte Lüge“, sagte der Fremde kalt. Ruhig richtete er Neumanns Pistole, die er an sich genommen hatte, auf dessen Kopf.
„Zur Hölle mit Ihnen!“
„Nein! Nein! Ich erinnere mich. Ich sage alles.
Ja, ich war es. Aber ich hatte keine Wahl. Ich steckte damals in furchtbaren Schwierigkeiten. Trotzdem hätte ich niemals mitgemacht, wenn mich die anderen nicht dazu überredet hätten. Doch sie ließen mir keine Wahl. Ich kann wirklich nichts dafür.
Das müssen Sie doch einsehen!
Verstehen Sie doch!
Ich war völlig verzweifelt“, flehte er und Tränen rannen über sein feistes Gesicht.
„Sie lügen, sobald Sie den Mund aufmachen. Niemand musste Sie überreden. Das Gegenteil war der Fall. Sie waren mit Feuereifer dabei, denn es machte Ihnen Spaß. Und streiten Sie es gar nicht erst ab, denn ich weiß es aus absolut sicherer Quelle.“
Schlagartig versiegten Neumanns heuchlerische Tränen.
„Wer von den anderen hat geredet?“, stieß er seine Furcht vergessend wütend hervor. „Na, der kann sich auf was gefasst machen. Diesen Verräter mach ich platt. Der wird nie wieder jemanden verraten!“
Der Fremde musterte ihn abschätzig.
„Sie sind Abschaum, Neumann. Sie sind bis auf den Grund Ihrer kohlrabenschwarzen Seele verkommen. Sie ins Jenseits zu befördern ist wahrlich eine gute Tat, denn ohne Sie ist die Menschheit weitaus besser dran“, erklärte er angewidert.
„Sie machen einen schrecklichen Fehler“, winselte Neumann. „Mein Tod macht das Geschehene nicht ungeschehen. Aber Sie wird man schnappen. Und dann werden Sie für den Mord an einem Polizisten für eine sehr, sehr lange Zeit ins Gefängnis wandern.
Ich rate Ihnen, sich das lieber sehr gut zu überlegen, bevor Sie einen so schrecklichen Fehler begehen“, versuchte Neumann sein schändliches Leben zu retten.
Der Fremde lachte amüsiert.
„Das Lachen wird Ihnen im Gefängnis schon sehr bald vergehen. Da freuen sie sich über knackige Kerle wie Sie“, knurrte Neumann, der seine Angst anscheinend überwunden hatte. Aber vielleicht glaubte er ja, der Mann vor ihm würde bluffen.
„Sie haben doch nicht die leiseste Ahnung“, erwiderte der Fremde noch immer lachend. „Ihre Sorge um mich ist wirklich rührend, jedoch unnötig, denn ich werde mit absoluter Sicherheit niemals ein Gefängnis von innen sehen.“
Neumann starrte ihn verständnislos an.
„Ach, wissen Sie, Neumann, Ihre Dummheit und Unwissenheit ist wahrlich nicht zu überbieten. Mir ist schon klar, dass Sie sich niemals diesen perfiden Plan hätten ausdenken können. Diesen unmenschlichen Einfall, der Ihren damaligen Coup so abscheulich macht. Sie sind viel zu beschränkt, viel zu dumm, um so etwas zu planen.
Nein, Sie waren nur für die Drecksarbeit zuständig. Für die Planung bedurfte es intelligenterer Beteiligter, klügerer Köpfe, Anführer, die aus dem Hintergrund agierten.“
„Bitte, verschonen Sie mich. Ihnen habe ich doch nichts getan. Geben Sie mir eine Chance. Es soll Ihr Schaden nicht sein. Ich habe Geld. Sie können es haben. Aber lassen Sie mich am Leben.
Sie haben ja recht. Geplant haben es die anderen. Ich war nur ein einfacher Mitläufer der sich von denen zu dem Coup überreden ließ.
Außerdem ist das alles doch schon einige Jahre her. Das interessiert doch heute niemanden mehr“, versuchte Neumann den Fremden zu überreden.
„Sie irren sich, Neumann. Mich interessiert das sogar sehr.“
„Aber wieso plötzlich nach dieser langen Zeit?“
„Mag sein, dass für Sie seit damals viel Zeit vergangen ist. Für mich jedoch keineswegs. Nein, Neumann, ich verschone Sie nicht. Ich töte Sie“, erwiderte der Fremde kühl.
„Aber warum? Wer sind Sie? Was haben Sie mit der damaligen Sache zu tun? Für wen oder für was wollen Sie sich eigentlich rächen?“, fragte Neumann im Moment eher verwundert als ängstlich.
„Ich habe gute Gründe“, erwiderte der Unbekannte. Lächelnd ging er zum Waschbecken und stöpselte den Ablauf zu; dann drehte er den Wasserhahn auf.
Neumann beobachtete ihn verwundert.
Was hat der Mann vor?
„Sie fragen sich, was das soll?“, deutete dieser Neumanns Blick richtig. „Ich habe mir überlegt, welche Tötungsart für einen Mörder wie sie am angemessensten ist. Und ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass zu ertrinken genau das Richtige für ein so skrupelloses, verkommenes Subjekt wie Sie eines sind ist. Eine Kugel wäre für Sie viel zu schade.
Erschießen werde ich Sie also nicht.“
Und als er Hoffnung in Neumanns Augen aufblitzen sah, fuhr er lächelnd fort:
„Ich werde Sie im Waschbecken ertränken.“
Da begann Neumann sich wie verrückt in seinen Fesseln zu winden.
„Stellen Sie sich nicht so an. Mit Wasser kennen sie sich doch aus. Vor fünf Jahren war es für Sie doch sehr wichtig, um einem unschuldigen Menschen den Tod zu bringen. Doch dieses Mal sind die Karten gerechter verteilt. Diesmal werden Sie derjenige sein, der dem Wasser nicht entkommt“, erklärte der Fremde.
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