Zuletzt packe ich noch eine Flasche mit Wasser in die Fahrradtasche von Ortlieb, die ich ausgepolstert als Kameratasche benutzt hatte, bevor ich den Tankrucksack von Touratech für mich entdeckte. Ich habe eine Art Wassereinbruch-Phobie und fürchte immer, dass meine Wasserflaschen undicht werden und das Gepäck beschädigen. Da ich weder die Kamera noch die Motorradbatterie unter Wasser setzen will, finde ich es sehr praktisch, Wasserflasche und Thermoskannen in einer getrennten Tasche aufzubewahren.
Mein Notebook hätte eigentlich in einer der Alu-Boxen Platz finden sollen. Als sich jedoch herausstellt, dass die Reinblei-Batterie auf den Millimeter genau quer in die kleine Box passt, ist dort bereits kein Platz mehr für das flache, aber große MacBook. Auf der anderen Seite blockiert der Foto-Tankrucksack die obere Hälfte der Box. Ich könnte die Tasche selbstverständlich vor mir auf das Motorrad montieren. Aber ich fahre lieber ohne Tankrucksack, deshalb erbarmt sich Sjaak und packt das Notebook in seine Topbox.
Wir haben unsere Sachen im Zimmer in die vorhandenen Koffer und Taschen gepackt. Sjaak musste dann nur noch die zwei Kofferinnentaschen in die Zega-Boxen stellen sowie die Top-Box und seinen Tankrucksack auf dem Motorrad montieren. Ich fummle etwas länger mit meinen Taschen herum. Eigentlich würde ich lieber die rote Ortliebtasche nach unten packen, weil sie schwerer ist. Aber die gelbe Tasche ist größer und lässt sich auf dem runden, roten Sack nur schwer balancieren. Irgendwann erkenne ich, dass ich nicht ändern kann, was nicht zu ändern ist, und finde mich mit den Tatsachen ab.
Auf Teerstraßen ist es mir nicht so wichtig, ob der Schwerpunkt des Gepäcks etwas höher oder etwas tiefer liegt. Ich besitze genug Routine, um das zusätzliche Gewicht zu manövrieren. Außerdem ist die F 800 GS so handlich, dass ich mir keine Sorgen machen muss. Der Stapel der vier Winterreifen auf der Fahrt von der Spedition zum Hotel und dann zur Post war auf alle Fälle sowohl schwerer als auch höher. Und bevor wir in die Kälte und damit in den Schnee kommen, werden wir unser Gepäck in Seattle sowieso noch einmal neu sortieren.
Momentan tragen wir beispielsweise längst noch nicht alle Klamotten, die wir dabei haben. Das Thermometer zeigt immerhin plus drei Grad Celsius an, und klettert im Laufe des Tages noch auf ganze sieben Grad Celsius. Insofern müsste die Thermo-Unterwäsche mit einem Pulli, sowie dem Motorradanzug mit Thermofutter reichen. Aber es regnet, und Feuchtigkeit ist in Kombination mit Kälte immer unangenehm. Außerdem wird der Motorradanzug nur dreckig, denke ich mir und ziehe die Regenkombi über.
Wir fahren auf die Interstate und bleiben dort bis zum Abend. Es regnet und nieselt fast den ganzen Tag. Wenn es einmal von oben trocken bleibt, dann ist immer noch genug Wasser auf der Straße, dass uns die anderen Verkehrsteilnehmer vollspritzen. Weil ich mich erst einmal an das Motorrad und den amerikanischen Straßenverkehr gewöhnen will, habe ich die Lenkerstulpen in meinen Alukoffern vergraben. Stattdessen freue ich mich während der Fahrt immer wieder über die Griffheizung meiner BMW, die meine Finger angenehm wärmt.
Sjaak bekommt unterwegs mein zweites Paar beheizbarer Handschuhe, weil sich seine so sehr mit Wasser vollgesogen haben, dass er sie auswringen kann. Im Feierabend-Verkehr umrunden wir weiträumig die amerikanische Hauptstadt Washington. Auf dem Highway hält sich der Verkehr glücklicherweise in Grenzen, und wir erreichen am frühen Abend ein Motel im Süden der amerikanischen Hauptstadt. Erst als wir unser Zimmer beziehen, erfahre ich, dass Sjaak bis auf die Haut nass ist. Er hat mir unterwegs kein Sterbenswörtchen davon gesagt. Wie er das ausgehalten hat, ist mir ein Rätsel. Ich wäre garantiert erfroren.
Wir sind uns nicht sicher, ob es ganz einfach daran liegt, dass der Anzug so groß ist und deshalb Wasser zwischen Jacke und Hose sowie am Hals eindringen konnte, oder ob es an einem Produktionsfehler liegt. Wir hatten beide keine Zeit mehr, unsere Kleidung vor der Abfahrt zu testen. Eventuell hat Sjaak einfach Pech gehabt und ein Montagsmodell erwischt.
Da ich meinen Regenkombi ein paar Nummern größer gewählt habe, werde ich beim nächsten Schlechtwettertag ausprobieren, ob meine BMW-Kombi dicht hält, indem ich Sjaak meinen Regenanzug gebe. Aber die Sonne macht uns am nächsten Tage erst einmal einen Strich durch die geplante Testfahrt. Sie lacht von einem strahlend blauen Himmel herab und leckt in Windeseile die dünne Eisschicht von den Sitzbänken unserer Motorräder.
Wenig später begrüßt uns der Bundesstaat Victoria mit frühlingshaften Temperaturen. Wir halten am Willkommens-Zentrum an. In diesen Informationsstellen hatte ich während meiner ersten Tour durch die USA immer Straßenkarten des jeweiligen Bundesstaates bekommen, die überraschend detailliert waren. Erfreut stelle ich fest, dass sie immer noch kostenlos verteilt werden – vielen Dank!
Für die grobe Orientierung hatte ich beim ADAC in Deutschland Übersichtskarten der USA besorgt. Wir werden wohl (leider!) die meiste Zeit auf großen Hauptstraßen unterwegs sein und brauchen deshalb keine Generalstabskarten. Aber in Virginia wollen wir Sjaaks Freund Rusty besuchen, und die Bundesstraße von Richmond nach Danville ist beispielsweise in der Ostküstenkarte des ADAC nicht eingezeichnet.
Sjaak hat am Vorabend die Videos unserer Packaktion gesichtet und via Internet zu Marcus in den Niederlanden geschickt. Dieser macht aus dem Material einen kleinen Clip und stellt ihn ins Internet. Ich habe währenddessen die Adresse von Rusty‘s Motorradladen Triangle Cycle North in Danville herausgesucht und mit Hilfe eines kostenlosen Internet-Routenplaners ein kleines Roadbook zusammengestellt. Die Notizen und Sjaaks Erinnerungsvermögen bringen uns ohne Umwege ans Ziel. Rusty ein bisschen verblüfft, weil er uns aufgrund von Sjaaks letzter E-Mail erst in ein paar Tagen erwartet hat. Aber nach einer kleinen Schrecksekunde heißt er uns herzlich willkommen.
Wir dürfen seine Werkstatt benutzen, um ein bisschen an unseren Motorrädern zu schrauben. Wir haben beispielsweise die Xenon-Lichter von Touratech noch nicht an unsere Bikes montiert. Mit den Lampen haben wir bei geringem Strombedarf exzellente Sicht. Und das kann im kalten und dunklen Norden ein großer Vorteil sein. Ich bin mir nämlich keineswegs sicher, ob die Lichtmaschine so viel Strom liefert, dass ich alle Heizklamotten, von den Socken bis zum Visier, gleichzeitig nutzen kann.
Zum Übernachten stellt uns Rusty auf seiner Ranch ein komplett eingerichtetes Farmhäuschen zur Verfügung. Ich verliebe mich sofort in das kleine Schmuckstück. Es empfängt uns mit traditionellem Flair und modernem Komfort, ganz ohne Kitsch. Und so plumpse ich nach einer wunderbaren heißen Dusche mit einem Jubelschrei auf das hölzerne Himmelbett mit der handgenähten Steppdecke, dem bekannten amerikanischen Quilt. Sämtliche Zimmer werden mit einer Zentralheizung angenehm temperiert. Und im Wohnraum gibt es als kleines Extra noch einen Holzofen. Den lassen wir jedoch kalt und besuchen stattdessen Rusty und seine Frau Helen im Haupthaus, wo wir vor einem schrankgroßen offenen Kamin beisammensitzen. Während wir uns angeregt unterhalten, dreht ein Teil unserer Klamotten ein paar Runden, zunächst in der Waschmaschine und danach im Trockner.
Ich mag Rusty und Helen und ihre Farm und würde gerne länger bleiben. Trotzdem bin ich diejenige, die ungeduldig wird, denn Sjaak schraubt eineinhalb Tage lang an seinem Motorrad herum. Wir sind nun bereits seit neun Tagen in Amerika und haben noch nicht einmal Florida erreicht. Eigentlich wollten wir mit dem Flug nach New York Zeit gewinnen. Stattdessen habe ich inzwischen das Gefühl, wir verlieren so viel Zeit, dass wir den echten Winter im Norden verpassen werden. Abgesehen davon haben wir nur zwei Monate für die Reise geplant. Das habe ich so auch mit meinen Auftraggebern in Deutschland abgesprochen, und mir gefällt der Gedanke nicht, dass ich die nach meiner letzten Reise neu aufgebauten Geschäftsbeziehungen nun schon wieder wegen einer Reise verliere.
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