Inhaltsverzeichnis
Einführung
In der Krise blüht die Lüge
Pinocchio-Test
Vorwort: Im Labyrinth der Lügen
Ist der Ruf erst ruiniert …
Pinocchios in aller Welt
Strategen der Macht
Dosierte Wahrheiten
Die Selbstdemontage der Politiker
Populismusgefahr
Legenden und Lernprozesse
Schmidts „Rentenirrtum“ und Blüms Rentenillusion
Die „Steuerlüge“ zur Bundestagswahl 1990
Die „Steuerlüge“ zur Bundestagswahl 2002
Der Lügenausschuss
Der Agenda-Mythos
Die Merkel-Münte-Steuer
Die Vertrauenskrise
Diagnose: Vertrauensmangel
Kompetenzverlust
Wahlfrust
Denk- und Strafzettel
Die Blockade der Politik
Die überfragte Nation
Wächter der Wahrheit - Auftrag und Anmaßung
Wie wahrhaftig sind die Medien?
Leit- oder Leidmedien?
Stilwende
Sachlichkeit und Fachlichkeit
Erfahrungs- und Wissenstransfer
Keine Theorie-Spiele im Sandkasten
Dem Tapferen winkt das Glück
Wahlkämpfe der Ehrlichkeit
Wie viel Wahrheit verträgt der Wähler?
Die Tugend der politischen Klugheit
Eine Kultur der Redlichkeit
Literatur-Verzeichnis
Rainer Nahrendorf
Der Autor, geb. am 10.8.1943, studierte am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin bei Ernst Fraenkel und Kurt Sontheimer politische Wissenschaften. Nach dem Examen als Diplom-Politologe organisierte er zwei Wahlkämpfe in seiner Vaterstadt Hamburg und arbeitete als Assistent des Hamburger Privatbankiers und Bankenpräsidenten Alwin Münchmeyer. 1972 wechselte er zum Handelsblatt. Der Redaktion der deutschen Wirtschafts- und Finanzzeitung gehörte er 34 Jahre an. Mehr als 12 Jahre war er Mitglied der Chefredaktion. Heute arbeitet er als Autor für das Handelsblatt und ein Wirtschaftsmagazin. Ende 2007 erschien sein Buch „Der Unternehmer-Code. Was Gründer und Familienunternehmer erfolgreich macht“ (Gabler); Ende 2008 „Der Pinocchio-Test. Wie viel Lüge verträgt die Politik?“
( adatia Verlag 2008 ); Ende 2010 „Die Chancengesellschaft. Mut zum Aufstieg in Deutschland.“ (adiata Verlag )
Einführung
In der Krise blüht die Lüge
In Bodenwerder an der Weser, der Heimat des Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen, erinnern mehrere Denkmale an den phantasiereichen Erzähler. Eines davon zeigt den „Lügenbaron“ beim Ritt auf einer Kanonenkugel. Unweit davon steht in einem kleinen Park eine Stellwand. Sie zeigt ebenfalls den Ritt auf der Kanonenkugel. Aber dort, wo der Kopf ist, schaut der Betrachter ins Leere. Parkbesucher können sich so in „Lügenbarone“ verwandeln.
Wie viele Politiker diesen Bekennermut hatten, ist unbekannt. Politikerlügen sind auch nicht so unterhaltsam wie die Geschichten des Barons und geben selten zum Schmunzeln Anlass. Eher erstaunt die Chuzpe, mit der sie verbreitet werden. „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“, sagte der DDR-Staatsratsvorsitzende und SED-Chef Walter Ulbricht auf einer Pressekonferenz am 15.6.1961. Zwei Monate später wurde die Mauer gebaut.
Lügen und Propaganda überraschen bei Diktatoren und bei Autokraten nicht. Machtmenschen sind Machiavellisten. Man beurteilt ihr Handeln nach dem Enderfolg. Machiavelli wusste. „Ein Herrscher braucht also nur zu siegen und nur seine Herrschaft zu behaupten, so werden die Mittel dazu stets als ehrenvoll angesehen und von jedem gelobt“.
Wladimir Putin wird sich daran erinnert haben, als er im Juni 2014 in der Sendung „Direkter Draht“ überraschend einräumte, was er monatelang bestritten hatte. „Im Rücken der Selbstverteidigungskräfte standen natürlich unsere Soldaten. Sie haben ganz korrekt gehandelt, sehr entschlossen und professionell“. Anders hätte ein ordentliches Referendum auf der Krim doch gar nicht organisiert werden können. War es Stolz auf die „geglückte Rückholung der Krim“ nach Russland, die völkerrechtswidrige Annexion der Halbinsel, die ihn bewog, sich selbst so offen Lügen zu strafen?
Auch in demokratischen Rechtstaaten täuschen Politiker die Bürger. Das ist in dem „Pinocchio-Test“, dem schon 2008 erschienen, inhaltlich kaum veränderten Hauptteil dieses Lügenbuches nachzulesen. Dabei sollten doch Charakterstärke, sachliche Leidenschaft und distanziertes Augenmaß den Politiker auszeichnen, der Politik als Beruf und Berufung versteht. So hat es Max Weber gefordert. Es sollten nicht die Politiker das Politikerbild prägen, die nur nach ihrer Wiederwahl schielen, die das Blaue vom Himmel versprechen, unbequeme Wahrheiten verschweigen und auf das Kurzzeitgedächtnis der Wähler vertrauen. So schnell vergessen Wähler Wortbrüche auch nicht.
Mit der Wählertäuschung in der Politik wollte Angela Merkel im Frühjahr 2005, damals als CDU-Vorsitzende noch in der Opposition, ein für alle Mal Schluss machen. Sie warb monatelang auf ihrer Homepage „www.angela-merkel.de“ für eine „Politik ohne Lüge“. Ihre Botschaft: Nur eine glaubwürdige Politik ohne Lüge hat Zukunft. In der Union setzte sie die Wahlkampfmaxime durch: „Sagen, was man tun will, und tun, was man sagt“.
Der „Wahlkampf der neuen Ehrlichkeit“ zahlte sich aber, gemessen am Wahlergebnis, nicht aus. Der Grund: die Union hatte gegen das Gebot der Einfachheit der Kommunikation verstoßen und zugelassen, dass der politische Gegner Angst schüren konnte.
Diese Erfahrung hat den Wahrheitsimpetus der Angela Merkel geschwächt und sie vorsichtig gemacht. Die Vorsicht vor unhaltbaren Versprechungen, frühen Festlegungen und klarer politischer Kante schützte sie nicht davor, dass die SPD sie, besonders wenn die Partei in der Opposition oder im Wahlkampfmodus war, mit Lügenvorwürfen attackierte. Anlass dazu gab ihr Taktieren in der Euro-Staatsschulden-Krise, insbesondere in der Griechenlandkrise.
Die Planungsgruppe der SPD-Bundestagsfraktion zeichnete Merkels Euro-Pirouetten genüsslich auf: „Das immer wiederkehrende Muster der Kanzlerin und ihrer Regierung in der Krise: Probleme leugnen -Gegenmaßnahmen verweigern- unter dem Eindruck weiterer Krisenverschärfung die gerade noch geforderte Position räumen- weitere Probleme leugnen…“Merkel kläre nicht auf. „Ihr Reden ist Täuschung“, hieß es in dem Papier der SPD-Planungsgruppe.
Am 28. Februar 2010 sagte die Kanzlerin auf eine Frage im ARD-Bericht aus Berlin: Wird es deutsche Milliardenhilfen geben? Die Antwort der
Kanzlerin:„ Das ist ausdrücklich nicht der Fall“. Kurz vor dem EU-Gipfel erklärte Merkel im März 2010 gegenüber dem Deutschlandfunk, sie sehe im Augenblick nicht, dass Griechenland Geld brauche. Es drohe keine Zahlungsunfähigkeit Griechenlands. Auch Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker gab sich im März 2010 fest davon überzeugt, „dass Griechenland diese Hilfe nie wird in Anspruch nehmen müssen, weil das griechische Konsolidierungsprogramm in höchsten Maße glaubwürdig ist“.
Am 7. Mai 2010 beschloss der Deutsche Bundestag auf Antrag der Regierung, dass sich Deutschland mit 22,4 Mrd. Euro Krediten der Bundesanstalt für Wiederaufbau am ersten Rettungspaket beteiligt. Merkel rechtfertigte dies mit der Notsituation und der deutschen Verantwortung für die Sicherung der Zukunft Europas. Sie verkniff sich nicht den Hinweis, dass es die rot-grüne Bundesregierung gewesen sei, die trotz aller Warnungen, Skepsis und Zweifel im Jahre 2000 bereits frühzeitig eine politische Vorentscheidung zugunsten des Beitritts Griechenlands zu Eurozone getroffen habe.
Die griechische Euromitgliedschaft fing mit einer Lüge an. Ohne die griechische Statistik-Lüge, die Verschleierung einer deutlich höheren Verschuldung und Daten-Fälschung hätte Griechenland nicht den Euro bekommen. Seitdem zog in der griechischen Staatsschuldenkrise eine Lüge die andere nach sich.
Am 28. September 2010 sagte Merkel gegenüber Spiegel-online, eine Verlängerung der jetzigen Rettungsschirme werde es mit Deutschland nicht geben. Der Name der Rettungsschirme wechselte. Das zweite Rettungspaket für Griechenland mit neuen Kredithilfen wurde im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) im Jahre 2012 geschnürt. Der ESM war auf Dauer angelegt und wurde durch einen neuen Artikel im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union rechtlich abgesichert. Deutschland bürgte für 38 Mrd. Euro der zugesagten 163 Mrd. Euro.
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