Rebekka meinte, es sei dies wahrscheinlich das Regiment. „Der Hauptmann heißt Dobbin“, erklärte sie.
„Ein langer, linkischer Bursche, der über jedermann stolpert“, meinte Crawley. „Den kenne ich, und Osborne, ist das ein gutaussehender Kerl mit großem, schwarzem Backenbart?“
„Ungeheuer groß und ungeheuer stolz darauf, das können Sie mir glauben“, versicherte Miss Rebekka Sharp.
Als Antwort brach Hauptmann Rawdon Crawley in ein heiseres Gelächter aus. Die Damen forderten ihn dringend auf, eine Erklärung abzugeben; als daher der Heiterkeitsausbruch vorüber war, sagte er: „Er bildet sich ein, ein guter Billardspieler zu sein. Zweihundert habe ich ihm im ›Kakaobaum‹ abgewonnen. Der und spielen, dieser Grünschnabel! Er hätte an dem Tag alles aufs Spiel gesetzt, aber sein Freund, Hauptmann Dobbin, holte ihn weg. Zum Henker mit ihm!“
„Rawdon, Rawdon, führ nicht so lose Reden“, warf Miss Crawley vergnügt ein.
„Na, unter allen jungen Burschen von der Linie ist der da wohl der grünste. Tarquin und Deuceace nehmen ihn ganz schön aus. Er würde zum Teufel gehen, bloß um mit einem Lord gesehen zu werden. Er bezahlt ihre Essenrechnungen in Greenwich, und sie laden die Gesellschaft ein.“
„Wahrscheinlich eine nette Gesellschaft?“
„Ganz richtig, Miss Sharp. Richtig, wie gewöhnlich, Miss Sharp. Eine ungewöhnlich nette Gesellschaft, haha!“ Und der Hauptmann, der glaubte, er hätte einen guten Witz gemacht, lachte immer lauter.
„Rawdon, sei nicht unartig!“ rief seine Tante.
„Sein Vater ist Citykaufmann, ungeheuer reich, heißt es. Zum Henker mit diesen Cityleuten; sie müssen geschröpft werden, und ich bin mit ihm auch noch nicht fertig, das kann ich euch bloß versichern. Haha!“
„Pfui, Hauptmann Crawley, ich werde Amelia warnen. Ein Ehemann, der spielt!“
„Abscheulich, nicht wahr?“ versetzte der Hauptmann feierlich und fügte dann, als ihm plötzlich ein Gedanke kam, hinzu: „Bei Gott, Tante, wir werden ihn hierher einladen.“
„Ist er denn gesellschaftsfähig?“ fragte die Tante.
„Gesellschaftsfähig? Ei freilich. Du merkst bestimmt keinen Unterschied“, antwortete Hauptmann Crawley. „Können wir ihn nicht einladen, wenn du wieder ein paar Leute empfängst, und seine Dingsda – seine Amorosa – nicht, Miss Sharp, nennt man das nicht so ähnlich? – kann auch kommen. Bei Gott, ich will ihn in einem Briefchen einladen, und dann werden wir mal sehen, ob er ebenso gut Pikett spielen kann wie Billard. Wo wohnt er denn, Miss Sharp?“
Miss Sharp gab Crawley die Londoner Adresse des Leutnants, und einige Tage nach diesem Gespräch erhielt Leutnant Osborne einen Brief in Hauptmann Rawdon Crawleys Schülerhandschrift, dem eine Einladung von Miss Crawley beigelegt war.
Auch Rebekka schickte eine Einladung an ihre teuerste Amelia – die diese, wie man sich vorstellen kann, nicht ungern annahm, als sie hörte, dass George mit von der Partie sei. Es wurde verabredet, dass Amelia den Vormittag bei den Damen in der Park Lane zubringen solle, wo alle sehr freundlich gegen sie waren. Rebekka begönnerte sie mit ruhiger Überlegenheit; sie war ihr an Verstand so weit überlegen, und ihre Freundin war so sanft und bescheiden, dass sie stets nachgab, wenn es jemand einfiel, zu kommandieren, und deshalb ließ sie sich auch Rebekkas Befehle sanftmütig und gutwillig gefallen. Miss Crawleys Huld war ebenfalls bemerkenswert. Sie setzte ihre Begeisterungsergüsse über die kleine Amelia fort und sprach in ihrer Gegenwart von ihr, als ob sie eine Puppe, ein Dienstmädchen oder ein Gemälde wäre, und bewunderte sie wohlwollend. Ich bewundere die Bewunderung, die die vornehme Welt bisweilen den einfachen Menschen zollt. Es gibt im Leben nichts Angenehmeres, als die Mayfair-Welt sich herablassen zu sehen. Miss Crawleys übertriebenes Wohlwollen ermüdete die arme kleine Amelia doch sehr, und ich glaube sicher, dass ihr von den drei Damen in der Park Lane die ehrliche Miss Briggs noch am liebsten war. Sie sympathisierte mit Miss Briggs wie mit allen vernachlässigten, sanften Personen; sie war nicht das, was man gemeinhin als Frau mit Geist bezeichnet.
George kam zum Diner, einem Essen en garçon bei Hauptmann Crawley.
Die große Osbornesche Familienkutsche brachte ihn vom Russell Square zur Park Lane. Die jungen Damen, die selbst nicht eingeladen waren und diese Nichtachtung scheinbar mit größter Gleichgültigkeit betrachteten, schlugen trotzdem Sir Pitt Crawleys Namen im Adelskalender nach und erfuhren darin alles, was dieses Werk über die Familie Crawley und deren Stammbaum und die Binkies, ihre Verwandten und so weiter und so fort zu berichten wußte. Rawdon Crawley empfing George Osborne mit großer Freimütigkeit und war äußerst freundlich, lobte sein Billardspiel, fragte ihn, wann er Revanche haben wollte, legte viel Interesse für Osbornes Regiment an den Tag und hätte ihm wohl noch am gleichen Abend ein Pikettspiel vorgeschlagen, hätte Miss Crawley nicht das Spielen in ihrem Haus energisch verboten, so dass für diesmal wenigstens die Börse des jungen Leutnants von seinem großmütigen Gönner nicht erleichtert wurde. Sie verabredeten sich jedoch für den folgenden Tag, um ein Pferd zu besichtigen und im Park auszuprobieren, das Crawley zu verkaufen hatte; dann wollten sie zusammen speisen und den Abend in Gesellschaft einiger lustiger Kameraden verbringen. „Das heißt, wenn Sie bei der hübschen Miss Sedley nicht Dienst haben“, sagte Crawley mit schlauem Blinzeln. „Ein schrecklich nettes Mädchen, bei meiner Ehre, Osborne“, war er so gnädig hinzuzusetzen. „Vermute, eine Masse Moneten; he?“
Osborne hatte keinen Dienst; mit Vergnügen wolle er mit Crawley zusammenkommen. Als sie sich dann tags darauf trafen, lobte Crawley die Reitkunst seines neuen Freundes – was er auch ehrlich tun konnte – und machte ihn mit drei oder vier jüngeren Männern von Rang und Namen bekannt, auf deren Bekanntschaft der einfache junge Offizier außerordentlich stolz war.
„Übrigens, wie geht es der kleinen Miss Sharp?“ fragte Osborne beim Wein seinen Freund mit der Miene eines Stutzers. „Ein gutherziges kleines Mädchen das. Wie macht sie sich in Queen's Crawley? Miss Sedley war sehr befreundet mit ihr im vorigen Jahr.“
Hauptmann Crawley sah den Leutnant aus seinen kleinen blauen Augen wütend an und beobachtete ihn, als er hinaufging, um seine Bekanntschaft mit der blonden Gouvernante zu erneuern. Ihr Benehmen muß Rawdon aber wieder beruhigt haben, wenn es in der Brust des Leibgardisten die Eifersucht überhaupt gab.
Als der junge Osborne hinaufgegangen und Miss Crawley vorgestellt worden war, stolzierte er großartig und gönnerhaft auf Rebekka zu. Er wollte ihr gegenüber recht freundlich sein und sie beschützen. Ja, er wollte ihr, als einer Freundin von Amelia, sogar die Hand geben; und so hielt er ihr denn mit den Worten: „Ah, guten Tag, Miss Sharp!“ die linke Hand hin, in der Erwartung, dass die Ehre sie gänzlich verwirren werde.
Miss Sharp streckte den rechten Zeigefinger hin und nickte ihm leicht zu; ein so kühles und herablassendes Nicken, dass Rawdon Crawley; der den Vorgang vom Nebenzimmer aus beobachtete, sich kaum das Lachen verbeißen konnte, als er die völlige Schlappe des Leutnants bemerkte, sein plötzliches Zurückweichen, die Pause und die Ungeschicklichkeit, mit der er sich zuletzt herabließ, den angebotenen Finger zu ergreifen. „Sie würde noch den Teufel unterkriegen, beim Zeus!“ jubelte der Hauptmann.
Der Leutnant fragte Rebekka liebenswürdig, um die Unterhaltung in Gang zu bringen, wie ihr ihre neue Stellung gefalle:
„Meine Stellung?“ erwiderte Miss Sharp kühl. „Wie freundlich von Ihnen, mich daran zu erinnern! Es ist eine erträgliche Stellung, das Gehalt ist nicht schlecht, aber wohl nicht so hoch wie das von Miss Wirt bei Ihren Schwestern am Russell Square. Wie geht es den jungen Damen – wenn ich überhaupt fragen darf?“
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