William Thackeray - Jahrmarkt der Eitelkeiten

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Der Gesellschaftsroman «Jahrmarkt der Eitelkeiten» zeichnet ein facettenreiches, alle sozialen Klassen einschließendes Bild der Londoner Gesellschaft zu Anfang des 19. Jahrhunderts. Alle streben nach sozialem Aufstieg. William Makepeace Thackeray zeigt anhand mehrerer Lebensläufe, wann und warum der Weg nach oben glückt, und welche Charaktereigenschaften einem dabei im Wege stehen.
Dieses E-Book enthält eine vollständige deutsche Ausgabe des Romans «Jahrmarkt der Eitelkeiten» (Originaltitel: «Vanity Fair») von William Makepeace Thackeray.

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Wenn Miss Sharp aufgeregt war und auf ihre Verwandten mütterlicherseits anspielte, sprach sie immer mit einem kaum merklichen Akzent, was ihrer klaren, tönender. Stimme einen besonderen Reiz verlieh. „Nein“, fuhr sie in ihrem Gespräch mit dem Hauptmann fort und wurde immer hitziger, „Armut kann ich ertragen, aber keine Schande.; Hintansetzung, aber keine Beleidigung; und dann gerade Beleidigungen von – von Ihnen.“

Hier übermannten sie ihre Gefühle, und sie brach in Tränen aus.

„Zum Henker, Miss Sharp – Rebekka – beim Zeus – bei meiner Seele, das wollte ich nicht für tausend Pfund. Halt, Rebekka!“

Aber schon war sie fort. An diesem Tage fuhr sie mit Miss Crawley aus. Es war vor der Krankheit der Dame. Beim Mittagessen war sie ungemein strahlend und witzig; aber weder von den Anspielungen noch von dem Nicken, noch von den plumpen Vorstellungen des gedemütigten, betörten Leibgardisten wollte sie Notiz nehmen. Solche Scharmützel fanden während des kleinen Feldzuges ständig statt. Es wäre zu ermüdend, von allen zu erzählen, zumal sie alle zu ähnlichen Resultaten führten. Die Crawleysche schwere Kavallerie wurde durch die Niederlagen fast rasend, aber täglich wieder in die Flucht geschlagen.

Hätte der Baronet von Queen's Crawley nicht befürchtet, das Vermächtnis seiner Schwester vor der Nase zu verlieren, so hätte er seinen lieben Mädchen niemals die segensreiche Erziehung durch ihre unschätzbare Gouvernante vorenthalten. Das alte Haus schien eine Einöde ohne Rebekka, so nützlich und angenehm hatte sie sich dort gemacht. Keiner schrieb Sir Pitts Briefe und korrigierte sie, keiner führte seine Bücher. Seine häuslichen Geschäfte sowie seine vielfältigen Pläne blieben unerledigt, seitdem seine kleine Sekretärin fort war, und am Ton und der Orthographie der vielen Briefe, die er ihr schrieb und in denen er sie bat und aufforderte zurückzukommen, konnte man leicht erkennen, wie nötig ihm ein solcher Amanuensis war. Fast jeder Tag brachte einen portofreien Brief vom Baronet, mit den dringendsten Bitten an Becky, doch zurückzukommen, und für Miss Crawley die pathetischsten Darstellungen von den Folgen der vernachlässigten Erziehung seiner Töchter. Von diesen Dokumenten nahm Miss Crawley jedoch kaum Notiz.

Miss Briggs war zwar nicht förmlich entlassen worden, aber ihre Stelle als Gesellschafterin war eine Sinekure und ein wahrer Hohn; ihre Gesellschaft war der fette Schoßhund im Salon oder gelegentlich die mißvergnügte Firkin im Zimmer der Haushälterin. Doch obgleich die alte Dame auf keinen Fall etwas von Rebekkas Abreise hören mochte, war auch das Mädchen in der Park Lane in ihrem neuen Amt nicht regulär eingestellt worden. Wie viele reiche Leute, so hatte auch Miss Crawley die Gewohnheit, ihren Untergebenen so viele Dienste wie möglich abzufordern und sie dann gutmütig wieder abzuschieben, wenn sie sie nicht länger benötigte. Bei gewissen reichen Leuten ist Dankbarkeit nicht selbstverständlich oder etwas, woran man denken muß. Sie betrachteten die Dienste der Ärmeren als eine Pflichterfüllung. Du armer Schmarotzer und demütiger Schmeichler hast keinen Grund, dich zu beklagen! Deine Freundschaft mit dem Reichen ist in der Regel ebenso echt wie der Lohn, den du gewöhnlich dafür empfängst. Du liebst das Geld und nicht den Menschen; und müßte Krösus die Stellung mit seinem Diener vertauschen – du armer Schelm wüßtest wohl, wem du Treue beweisen würdest.

Ich bin nicht sicher, ob die schlaue alte Londonerin, an die diese Schätze der Freundschaft verschwendet wurden, trotz Rebekkas Einfachheit, Behendigkeit, Sanftmut und unermüdlicher guter Laune, nicht doch die ganze Zeit über ein geheimes Mißtrauen gegen ihre liebevolle Wärterin und Freundin hegte. Miss Crawley mußte doch sicher oft der Gedanke gekommen sein, dass niemand etwas umsonst tut. Wenn sie ihre eigenen Gefühle gegenüber der Welt maß, so mußte sie wohl auch in der Lage sein, die Gefühle der Welt ihr gegenüber gehörig abschätzen zu können. Vielleicht überlegte sie auch, dass es gewöhnlich das Los der Menschen sei, keine Freunde zu haben, wenn sie sich selbst um niemanden kümmern.

Unterdessen aber war ihr Becky eine große Stütze und Annehmlichkeit, und sie schenkte ihr dafür ein paar neue Kleider sowie eine alte Halskette und einen ebenso alten Schal und bewies ihr ihre Freundschaft, indem sie alle ihre früheren Freundinnen gegenüber ihrer neuen Vertrauten beschimpfte. (Einen rührenderen Freundschaftsbeweis kann es wohl kaum geben!) Sie dachte auch beiläufig daran, ihr künftig noch irgendeine große Wohltat zu erweisen, sie zum Beispiel an Clump, den Apotheker, zu verheiraten oder sie sonst irgendwie vorteilhaft zu versorgen. Auf alle Fälle wollte sie sie nach Queen's Crawley zurückschicken, wenn sie ihre Dienste nicht mehr benötigte und die Saison in London erst richtig begonnen hätte.

Als Miss Crawley einigermaßen wiederhergestellt war und in den Salon hinabging, sang Rebekka ihr vor oder unterhielt sie anderweitig. Als sie wieder ausfahren konnte, mußte Becky sie begleiten. Und welches andere Ziel wählte Miss Crawleys bewundernswürdige Gutmütigkeit und Freundschaft bei einer dieser Ausfahrten als das Haus von John Sedley am Russell Square in Bloomsbury?

Vor diesem Ereignis waren selbstverständlich zwischen den beiden guten Freundinnen viele Briefe gewechselt worden. Während der Monate, die Rebekka in Hampshire verbrachte, hatte die ewige Freundschaft natürlich bedeutend Einbuße erlitten und war so hinfällig und altersschwach geworden, dass sie ganz zu sterben drohte. Das kam, weil beide den Kopf mit ihren eigenen Angelegenheiten voll hatten: Rebekka mit ihrem Fortkommen bei ihren Arbeitgebern, Amelia mit dem Thema, das sie völlig in Anspruch nahm. Als unsere beiden sich wiedersahen und einander mit dem Ungestüm junger Mädchen in die Arme flogen, spielte Rebekka ihre Rolle bei der Umarmung mit vollendeter Lebhaftigkeit und Energie. Die arme kleine Amelia errötete, als sie die Freundin küßte, und dachte, sie habe sich doch einer gewissen Kälte gegen sie schuldig gemacht.

Ihre erste Unterhaltung dauerte nur einige Augenblicke. Amelia war gerade im Begriff, spazierenzugehen. Miss Crawley wartete unten in ihrer Kutsche, und ihre Leute wunderten sich über den Ort, zu dem sie gefahren waren, und starrten den ehrlichen Sambo, den schwarzen Diener von Bloomsbury, als einen der komischen Eingeborenen dieses Ortes an. Dann kam Amelia freundlich lächelnd herab. Rebekka mußte sie ihrer Freundin vorstellen, Miss Crawley war so erpicht darauf, sie zu sehen, war aber noch zu krank, den Wagen zu verlassen. Als Amelia erschien, wunderte sich die Livreearistokratie von der Park Lane noch mehr, dass Bloomsbury so etwas hervorbringen könne, und Miss Crawley war ganz hingerissen von dem süßen, errötenden Gesicht der jungen Dame, die so schüchtern und anmutig auf sie zutrat, um der Beschützerin ihrer Freundin ihre Aufwartung zu machen.

„Was für ein Teint, meine Liebe! Was für eine liebliche Stimme!“ sagte Miss Crawley, als sie nach der kurzen Unterhaltung wieder gen Westen fuhren. „Meine teure Sharp, Ihre junge Freundin ist ja bezaubernd. Bitten Sie sie doch, einmal nach der Park Lane zu kommen, hören Sie?“ Miss Crawley hatte einen guten Geschmack. Sie liebte natürliches Benehmen – etwas Schüchternheit hob es nur noch hervor. Sie hatte gern hübsche Gesichter um sich, ebenso wie sie schöne Gemälde und hübsches Porzellan gern hatte. An dem Tage sprach sie noch ein halbes dutzendmal mit Entzücken von Amelia. Sie erwähnte sie gegenüber Rawdon Crawley, der pflichtschuldigst kam, um am Hühnchen seiner Tante teilzuhaben.

Daraufhin gab Rebekka natürlich sofort zu verstehen, dass Amelia mit einem gewissen Leutnant Osborne verlobt sei, eine alte Liebe.

„Dient er in einem Linienregiment?“ fragte Hauptmann Crawley, dem nun nach einiger Mühe – typisch Leibgardist – auch die Nummer des Regiments einfiel.

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