„Die Dame liegt doch auf den Knien, nicht der Herr“, sagte Miss Crawley mit tiefer Verachtung in Blick und Stimme. „Man hat mir gesagt, du lägest auf den Knien, Sir Pitt; knie doch noch einmal nieder, damit ich das hübsche Paar sehen kann!“
„Ich habe Sir Pitt Crawley gedankt, Madame“, sagte Rebekka und erhob sich. „Ich habe ihm gesagt, dass – dass ich nie Lady Crawley werden kann.“
„Ihn abgewiesen!“ rief Miss Crawley, mehr denn je verwirrt. Die Briggs und die Firkin an der Tür rissen vor Staunen Mund und Augen auf.
„Ja – abgewiesen!“ fuhr Rebekka mit trauriger, tränenvoller Stimme fort.
„Und darf ich meinen Ohren trauen, dass du ihr wirklich einen Heiratsantrag gemacht hast, Sir Pitt?“ fragte die alte Dame.
„Jawoll“, antwortete der Baronet, „das stimmt.“
„Und sie hat dich abgewiesen, wie sie sagt?“
„Jawoll“, sagte Sir Pitt, sein Gesicht zu einem breiten Grinsen verzerrt.
„Jedenfalls scheint es dir nicht das Herz zu brechen“, bemerkte Miss Crawley.
„Nicht ein bißchen“, antwortete Sir Pitt so kühl und gutgelaunt, dass Miss Crawley vor Staunen beinahe verrückt wurde. Dass ein alter Edelmann vor einer Gouvernante, die arm wie eine Kirchenmaus war, auf die Knie sank und sich halbtot lachte, als sie ablehnte, ihn zu heiraten, dass ferner eine arme Gouvernante einen Baronet mit jährlich viertausend Pfund abwies – all das waren Rätsel, die Miss Crawley nicht begreifen konnte. Das übertraf alle noch so verwickelten Intrigen in ihrem geliebten Pigault-Lebrun.
„Es freut mich, dass du es als einen guten Spaß ansiehst, Bruder“, fuhr sie fort und versuchte, sich durch die Wildnis der Verwirrung zu tasten.
„Famos“, sagte Sir Pitt. „Wer hätte das gedacht! Was für ein schlaues Teufelchen! So ein kleiner Fuchs!“ murmelte er und kicherte vor Vergnügen.
„Wer hätte was gedacht?“ rief Miss Crawley und stampfte mit dem Fuße auf. „Sagen Sie mir doch, Miss Sharp, warten Sie vielleicht auf die Scheidung des Prinzregenten, da Ihnen unsere Familie nicht gut genug ist?“
„Meine Haltung, als Sie hereinkamen“, antwortete Rebekka, „machte gewiß nicht den Eindruck, als verachtete ich den ehrenvollen Antrag, den dieser gute – dieser edle Mann sich herabließ, mir zu machen. Glauben Sie, ich habe kein Herz? Sie haben mich alle geliebt und sind gegen das arme verwaiste – alleinstehende – Mädchen so freundlich gewesen – und ich soll nichts fühlen? Oh, meine Freunde! Oh, meine Wohltäter! Darf ich mit meiner Liebe, meinem Leben, meiner Pflicht nicht das Vertrauen zu vergelten suchen, das Sie mir erwiesen haben? Sprechen Sie mir sogar Dankbarkeit ab, Miss Crawley? Es ist zuviel – mein Herz ist zu voll!“ Sie sank so pathetisch in einen Stuhl, dass die meisten Zuschauer von ihrer Traurigkeit ganz gerührt wurden.
„Ob Sie mich nun heiraten oder nicht, Sie sind ein braves kleines Mädchen, Becky, und ich bin Ihr Freund, merken Sie sich das“, sagte Sir Pitt, setzte seinen florumwundenen Hut auf und ging – sehr zur Erleichterung Rebekkas; denn offensichtlich hatte Miss Crawley von ihrem Geheimnis noch nichts erfahren, und so hatte sie noch eine Galgenfrist.
Rebekka hielt ihr Taschentuch vor die Augen, bedeutete der ehrlichen Briggs, ihr nicht die Treppe hinauf zu folgen, und ging auf ihr Zimmer, während die Briggs und Miss Crawley in großer Aufregung zurückblieben, um das seltsame Ereignis zu besprechen. Die nicht weniger bewegte Firkin tauchte in die Küchenregionen hinab und besprach die Angelegenheit mit der ganzen männlichen und weiblichen Gesellschaft dort. Der Eindruck dieser Nachricht auf Mrs. Firkin war so gewaltig, dass sie es für zweckmäßig erachtete, noch mit der Abendpost ihre „untertänigsten Empfehlungen“ zu schreiben „an Mrs. Bute Crawley und die Familie im Pfarrhaus, und Sir Pitt ist dagewesen und hat Miss Sharp einen Heiratsantrag gemacht, den sie zur Verwunderung aller aber abgewiesen hat“.
Die beiden Damen im Speisezimmer (der würdigen Miss Briggs war zu ihrem Entzücken wieder einmal ein vertrauliches Gespräch mit ihrer Herrin vergönnt) wunderten sich nach Herzenslust über Sir Pitts Antrag und Rebekkas Ablehnung. Die Briggs vermutete sehr scharfsinnig, dass ein Hindernis in der Gestalt einer früheren Liebe im Wege sein müsse; sonst würde wohl kein vernünftiges junges Mädchen einen so vorteilhaften Antrag ablehnen.
„Sie hätten den Antrag wohl angenommen, nicht wahr, Briggs?“ sagte Miss Crawley freundlich.
„Wäre es nicht ein Vorzug, Miss Crawleys Schwägerin zu sein?“ erwiderte die Briggs, bescheiden ausweichend.
„Nun, schließlich hätte Becky doch eine gute Lady Crawley abgegeben“, bemerkte Miss Crawley. Die abschlägige Antwort des Mädchens hatte sie beruhigt, und jetzt, da man kein Opfer von ihr verlangte, war sie ungemein liberal und großmütig. „Sie hat Verstand genug (im kleinen Finger schon mehr als Sie, meine arme liebe Briggs, im ganzen Kopf). Ihre Manieren sind ausgezeichnet, seitdem sie in meinen Händen ist. Sie ist eine Montmorency, Briggs, und Blut bedeutet etwas, obgleich ich für mein Teil keinen Wert darauf lege; und gewiß hätte sie diesen aufgeblasenen, dummen Leuten in Hampshire besser gezeigt, wer sie ist, als die unglückselige Eisenhändlerstochter.“
Wie gewöhnlich stimmte die Briggs zu, und dann stellte man Vermutungen über Vermutungen über die „frühere Liebe“ an. „Ihr armen freundlosen Geschöpfe habt stets so ein törichtes tendre“, sagte Miss Crawley. „Sie wissen ja, Sie selbst waren in einen Schreiblehrer verliebt (weinen Sie nicht, Briggs – andauernd weinen Sie, und das macht ihn nicht wieder lebendig), und ich vermute, die unglückliche Becky ist ebenfalls töricht und sentimental gewesen – wahrscheinlich ein Apotheker, ein Hausverwalter, ein Maler, ein junger Pfarrer oder so etwas Ähnliches.“
„Armes Ding, armes Ding!“ sagte die Briggs (die sich vierundzwanzig Jahre zurückversetzte und an den schwindsüchtigen jungen Schreiblehrer dachte, dessen strohblonde Haarlocke und in ihrer Unleserlichkeit schöne Briefe sie in ihrem alten Pult liebevoll verborgen hielt). „Armes Ding, armes Ding!“ sagte die Briggs. Und noch einmal war sie ein rotwangiges Mädchen von achtzehn, und in der Abendandacht sangen der schwindsüchtige Schreiblehrer und sie aus einem Gesangbuch.
„Nachdem sich Rebekka so verhalten hat“, sagte Miss Crawley enthusiastisch, „sollte unsere Familie etwas für sie tun. Suchen Sie doch ausfindig zu machen, wer das Objekt ist, Briggs. Ich richte ihm einen Laden ein oder bestelle mein Porträt bei ihm, wissen Sie, oder ich spreche mit meinem Vetter, dem Bischof – und Becky gebe ich eine schöne Aussteuer, und dann werden wir eine Hochzeit haben, Briggs, und Sie sollen das Frühstück herrichten und Brautjungfer sein.“
Die Briggs erklärte, es werde entzückend sein, und beteuerte, dass ihre liebe Miss Crawley stets gütig und großmütig sei. Dann ging sie zu Rebekka in deren Schlafzimmer hinauf, um sie zu trösten und mit ihr über den Heiratsantrag und ihre Ablehnung und den Grund dafür zu plaudern, um Miss Crawleys großmütige Absichten anzudeuten und ausfindig zu machen, wer denn der Herr wäre, der Miss Sharps Herz erobert habe.
Rebekka war sehr freundlich, sehr liebevoll und gerührt, erwiderte die zärtlichen Angebote der Briggs mit heißer Dankbarkeit, gestand ein, dass eine geheime Liebe im Spiele sei, ein köstliches Geheimnis. Wie schade, dass Miss Briggs nicht eine halbe Minute länger am Schlüsselloch geblieben war! Vielleicht hätte Rebekka mehr gesagt. Miss Briggs war kaum fünf Minuten in Rebekkas Zimmer, als Miss Crawley – eine unerhörte Ehre – selbst erschien. Ihre Ungeduld hatte sie überwältigt. Sie konnte nicht die langsamen Operationen ihrer Gesandten abwarten; nun kam sie in höchsteigener Person und hieß die Briggs hinausgehen. Nachdem sie Rebekka ihre Befriedigung über ihr Benehmen ausgedrückt hatte, fragte sie nach Einzelheiten der Unterredung und allem Vorangegangenen, was zu dem erstaunlichen Angebot Sir Pitts geführt hatte.
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