„Kläuschen, derjenige, der hier oben die Jugendherberge errichtet hat, war kein Freund der Fahrradfahrer.“
Während wir nun so beim warmen Abendessen sitzen, steht auf einmal eine junge Frau vor uns und fragt, ob wir oben in unserem Zimmer den Wecker auf sechs Uhr gestellt haben. Denn der klingelt dort oben Sturm! Ja, es ist unserer. Klaus hat ihn schon für morgen früh auf sechs Uhr gestellt. Wie dem auch sei: Klaus flitzt hoch und würgt ihn ab. Kaum setzt er sich hier unten wieder an den Tisch, fängt es draußen an, wie aus Kübeln zu gießen. Wir bedanken uns still „oben bei Petrus“, dass er es erst abends gießen lässt.
Wir wirbeln schon sehr früh in der Herberge herum. Extra für uns wird die Küche schon vor sieben Uhr geöffnet. Der Wetterbericht in Klaus Mini-Radio sagt uns für heute gutes Wetter mit einer Temperatur von 20°C voraus. Wir haben einen sehr langen Weg von ca. 115 km vor uns und hoffen, dass es trocken bleibt.
Ab Bonn beginnt gen Süden die liebliche Landschaft des Rheins mit den sagenumwobenen Stätten Drachenfels und Rolandsbogen.
Dem Hinweisschild „Rheinfähre“ folgen wir, schieben ganz vorsichtig die steile Kopfsteinpflasterstraße hinunter auf die Fähre und lassen uns nach Königswinter übersetzen. Hier auf der östlichen Seite des großen Stromes radeln wir auf einem sehr gut zu befahrenden Rhein - Radweg gen Süden. Auf dieser Seite erhebt sich links neben uns das bewaldete Siebengebirge mit seinen Rebhängen.
Hier kommen wir durch das hübsche Fachwerkstädtchen Unkel. Als unser Radweg an einer Schnellstraße endet, setzen wir in Linz am Rhein wieder mit einer Fähre auf die westliche Seite über. Bei Sonnenschein, Wolken und angenehmer Temperatur rollen wir auf dem Rhein-Radweg immer so vor uns hin und genießen den Blick auf den Vater Rhein und seine Ufer.
Unter einer Platanen-Allee radeln wir unterhalb von Bad Breisig entlang. Bei Vogelgezwitscher und Sonnenschein sitzen wir nun auf einer Bank, essen und ruhen uns aus. Große Frachtkähne gleiten vor uns langsam dahin, Fähren überqueren den breiten, ruhig dahin fließenden Strom. Fahrradfahrer radeln auf dem Rhein-Radweg von beiden Seiten an uns vorbei. Fußgänger suchen die Fähre auf. Hier ist allerhand los. Wir staunen über die vielen Fahrradfahrer auf großer Fahrt mit den ihrem Gepäck an den Rädern.
Frohgemut und in Erwartung eines weiterhin schönen Rhein-Radwegs starten wir gen Süden. Kurz darauf führt uns dieser leider rechts in Serpentinen höher und immer höher bis auf ein Plateau. Vor Andernach rollen wir wieder hinunter an den Rhein.
Mir schmerzen die Hände. Das passierte mir noch auf keiner meiner vielen Fahrradtouren. Ob meine gepolsterten Fahrradhandschuhe drücken? Das taten sie doch früher nicht. Ich halte an, ziehe die Handschuhe aus und schaue traurig und hilflos auf meine geröteten Hände. Dieses Übel hat wieder zu verschwinden!
„Kläuschen, was habe ich bloß verbrochen, dass mir alles so weh tut?“
So fummeln wir uns bis Koblenz mit Suchen und Fragen durch, überqueren die Mosel-Brücke gen Süden und suchen das „Deutsche Eck“. Nun sitzen wir in seiner Nähe bei der großen Reiter-Statue und essen. Früher habe ich in dieser Stadt ein und ein halbes Jahr gewohnt und in der Nähe gearbeitet. In der Mittagspause gingen wir damals hierher und aßen unser Mittagsbrot. Damals stand keine Reiter-Statue darauf. Sie wurde im Krieg zerstört. Ich liebte und liebe diese Stadt. Links neben uns fließt die Mosel. Quer vor uns der Rhein. Gegenüber erhebt sich das bewaldete Bergland. Wenn wir von hier etwas weitergehen würden, könnten wir nicht nur die bunten, flatternden Fahnen am Deutschen Eck, sondern auch gegenüber hoch oben die große Festung Ehrenbreitstein sehen.
Meine Socken qualmen. Meine Füße pochen. Sie schreien nach Luft. Nichts wie raus aus den Schuhen! Und Klaus hat schon das erste halbe Brötchen aufgemampft und ich noch gar nichts. So geht das nicht weiter. Mein leerer Magen knurrt schon lange und hängt mir fast bis in die Kniekehlen.
Von Koblenz aus fahren wir immer in der Nähe des Rheins weiter gen Süden. Bei der Burg Stolzenfels führt unser Fahrradweg leider eine Zeit lang über Naturasphalt, Schotter, Verbundsteine und kleines Kopfsteinpflaster. Aber dieses ist besser als loser Sand. Auch dieser Streckenabschnitt endet mal und führt uns auf einen wunderbaren, geteerten und breiten Rhein-Radweg. Wir saugen förmlich mit unseren Augen die wunderschöne Kulisse des breiten Rheins mit seinen beidseitig in die Höhe steigenden und mit Weinplantagen geschmückten Berghängen und hin und wieder urigen Burgruinen wie z.B. die Marx-Burg in uns auf.
Unser Trinkwasser ist leider schon zur Neige gegangen. Hier gibt es kein Geschäft, um etwas zu kaufen. So entschließe ich mich, eine vor einem Haus arbeitende Frau zu fragen: „Entschuldigen sie bitte. Darf ich mir aus ihrem Wasserhahn unsere Trinkwasserflaschen füllen?“
Sie schaut mich ganz überrascht an, als hätte sie so etwas noch nie gehört, lächelt aber gleich und zeigt mir eine Treppe, die ich hochgehen soll. Mit unseren ganzen Wasserflaschen erklimme ich sie, klopfe an die dortige Tür und werde von einem Zimmermann groß angeschaut, als er meiner mit dem Sturzhelm auf dem Kopf und den vielen leeren Trinkflaschen in den Armen ansichtig werde. Ich darf sie mit Leitungswasser auffüllen. Meine „Schätze“ bringe ich zu Klaus. Wir trinken, als seien wir kurz vor dem Verdursten.
Um 18.00 Uhr erreichen wir den Ort St. Goar und folgen dem Hinweisschild Jugendherberge nach rechts ca. 200 m mit einer Steigung von 14,5% unter einer Brücke hindurch. Hier schieben wir natürlich. Ich im Gegensatz zu Klaus im super langsamen Tritt. Es kostet mich unheimliche Mühe und Qual. Klaus ist früher oben, sieht, wie ich mich quäle, kommt schnell zu mir, nimmt mir das Rad ab und schiebt es bis zur Herberge. Ich schleiche hinterher. Als ich meine Packtaschen abgepackt habe, bin ich fix und fertig. Klaus nimmt mir glücklicherweise mein Gepäck ab und trägt es die Treppen hinauf in die Anmeldung. Hinterher schließt er unsere Räder ein.
Beim Erhalt unseres Schlüssels für das Zimmer Nr. 7 freue ich mich. Denn ich verbinde damit die Erfahrung, dass es sich dann um ein Zimmer „unten“ handelt. Das ist hier leider ein Trugschluss. Die Taschen müssen wir noch eine Doppeltreppe hinaufbugsieren, dort oben durch eine Glastür in einen kleineren Gang und dort noch eine Treppe höher tragen. Ich bin mit meinen Knien und mit meinen Händen so fertig, dass ich mich nicht einmal mehr aufstützen kann. Mir geistert der gespenstische Gedanke durch den Kopf: „Wie soll ich bloß meine Fahrradtour weiterführen?“
„Kläuschen, ich glaube, Gott bestraft mich für meine Sünden.“
Auf jeden Fall kann ich die Bergtour, die ich mir in Frankreich vorgenommen habe, nicht fahren. Ich werde mir eine neue Landkarte von Frankreich besorgen, auf der ich eine Straße finde, die mich an die Rhone bringt. Diesen französischen Fluss möchte ich dann gen Süden über Arles bis ans Mittelmeer verfolgen, von dort an dem Fluss, an dem Toulouse liegt, gen Westen radeln. Diese Strecke werde ich mir dann ausknobeln und zusehen, wo ich dort überall ein Nachtlager erhalten kann. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als diese Flussstrecke zu nehmen. Das steht leider fest.
So und mit dem teuren Polar-Höhenmesser stehe ich immer noch auf Kriegsfuss. Das hat damit keinen Zweck. Den kann ich mitsamt dem PDA an Gudrun nach Spanien schicken. Der erfüllt nicht seinen Zweck.
Unser Zimmer ist ein kleines, lüttes Kabuffchen. Vor dem Fenster steht ein Tisch von ca. 60 x 60 cm und darunter klemmen zwei Stühle. Auf und unter „meinem“ Stuhl stehen meine Packtaschen. Darauf kann ich also nicht sitzen. Klaus kann seinen gerade weit genug herausziehen und darauf Platz nehmen, um seine Landkarten zu studieren. Mein Sitzplatz befindet sich auf dem unteren Bett, in dem ich schlafen werde. Die Betten sind schon bezogen. Das ist eine ganz tolle Erfindung. Ebenso liegt hier für jeden von uns ein sauberes, großes Handtuch parat.
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