Kowalski war in den letzten Tagen ruhiger und ausgeglichener und seine Nachbarin, Christina Köhler, sah es mit Zufriedenheit.
Vielleicht, so konnte sie sich vorstellen, wäre er zu einer Reise mit ihr nicht abgeneigt. Sie sollte nun allen Mut zusammennehmen und ihn fragen. Heute Abend würde sie ihn zu einem Glas Wein einladen. Sie hoffte, dass ihr die schwarze Reizwäsche, die sie vor Jahren auf einer Dessousparty ihrer Freundin gekauft hatte, noch passte.
Eigentlich hatte sie nie vorgehabt, schwarze Strapse und Netzstrümpfe anzuziehen, aber Christina wollte nicht ohne etwas zu kaufen zu einer solchen Party gehen. Für wen sollte sie sich auch aufreizend anziehen? Sie hatte auch nie vorgehabt, einen Mann in ihr Bett zu bekommen. Bis jetzt nicht. Nun aber konnte sie sich das bei Eberhard Kowalski immer öfter vorstellen. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis: »Was ist, wenn mir das Zeug nicht mehr passt? Ach du liebe Zeit, dann muss ich noch heute zu C+A, mir etwas Neues kaufen. Rot würde mir auch gut stehen!«
Als sie später nach der Anprobe und der Erkenntnis, das alles noch passte, das Haus verließ, und ihrem Job, dem sie zweimal in der Woche im Büro eines Versicherungs agenten nachging, war Kowalski auf dem Weg in den Keller. Er suchte im Schrank, in dem die Mittel und die kleinen Geräte für den Garten und die Beete standen, nach einer gewissen Schachtel.
Er fand sie ganz hinten auf der Ablage. Dort stand sie schon seit einigen Jahren.
Nun hoffte er, dass der Inhalt noch brauchbar war. Er studierte das Etikett. Das Mittel hieß Stratagem . Auf der Schachtel stand weiter: Wirkstoff: Flocoumafen . Unter einem Totenkopfsymbol war zu lesen: Sehr giftig für Wasserorganismen. Schädlich für die Umwelt, vor allem für Tiere. Anreicherung in der Nahrungskette des Menschen. Nicht unbedacht in der Umwelt freisetzen. Achtung Kontaktgift! Unbedingt Handschuhe benutzen!
Kowalski sah kein Verfallsdatum auf der Schachtel und las den Beipackzettel.
Der Stoff kann oral, über eine Inhalation oder über die Haut (Kontaktgift!) aufgenommen werden. Bereits bei einer Temperatur von 20 °C kommt es sehr schnell zu einer toxischen Kontamination der Luft. Eine Intoxikation zeigt sich durch Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Müdigkeit und Kreislaufstörungen bis hin zum Schock. Bereits bei einem kurzen Kontakt kann es zu Wirkungen und Schädigungen des Blutes kommen. Es gibt nur sehr wenige Erkenntnisse über die Wirkung am Menschen. Aus diesem Grund sollte sehr sorgfältig mit dem Stoff umgegangen werden. Dosierung für Ratten und Mäuse: 20 Gramm in 1 Liter Wasser aufgelöst.
Kowalski staunte. Solche Symptome bei Hautkontakt! Das war ein starkes Mittel. Es müsste dann schon tödlich sein, wenn man es schluckte. Es war seit vielen Jahren nicht mehr frei verkäufl ich.
Kowalski hatte es schon vor Jahren bei einem Besuch der Tulpenschau in Holland in einem niederländischen Gartencenter unter der Ladentheke erstanden, nachdem er sich bei dem Verkäufer über die mangelnde Wirkung anderer Mittel beschwert hatte.
Der Verkäufer gab ihm noch genaue Verhaltensmaßregeln.
»Gehen Sie äußerst vorsichtig damit um! Sie brauchen nur wenig für die Schädlinge zu nehmen. Und tragen Sie auf jeden Fall Handschuhe.«
Er zog sich Handschuhe über und schüttete den gesamten Inhalt der kleinen blauen Kügelchen in eine Wasserflasche. Diese war nun gut zur Hälfte gefüllt. Den Rest füllte er mit Wasser auf und schüttelte die Flasche kräftig. Die Kugeln lösten sich auf und das Wasser nahm eine blaue Färbung an.
Er verstaute die Flasche im Kofferraum seines Wagens. Dann rief er am Gericht an und erfuhr durch geschicktes Erfragen die Durchwahlnummer zum Büro des Richters. Diese notierte er sich.
Im Badezimmer entnahm er dem Medikamentenschrank die Schachtel mit seinen starken Schlaftabletten und steckte sie ein. Dann fuhr er zur Wohnung des Richters. Den Wagen parkte er in einer Seitenstraße.
Die Terrassentür, die sich auf der Rückseite des Hauses befand, wie er schon Tage vorher bemerkt hatte, war nur gekippt. Er griff hindurch und konnte die Tür öffnen. Er trat in das Wohnzimmer ein.
Es war 10 Uhr morgens und Frau Werbusch kam voraussichtlich erst in einer Stunde nach Hause. Trotzdem beeilte er sich. Eine geöffnete Flasche Wein stand noch vom Vorabend in der Küche und war gut halb voll. Kowalski schüttete die Schlaftabletten hinein und schüttelte die Flasche.
Er nahm eine kleine Saftflasche, die sich im Kühlschrank befand, heraus und füllte auch dort etwas von dem Schlafmittel hinein. Diese Flasche steckte er in seine Jacke. Dann ging er auf die Terrasse hinaus und zog die Tür hinter sich zu.
Teil eins seines Planes war erfüllt. Nun versteckte er sich in dem kleinen Schuppen, der dem Richter als Unterbringung für Gartengeräte diente. Er wartete ab.
Frau Werbusch ließ auf sich warten. Kowalskis Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Sie kam erst gegen 13 Uhr nach Hause. Ihre Tochter hatte sie von der Schule abgeholt. Sie bereitete das Mittagessen zu. Dabei goss sie sich einen großen Brandy ein und trank in kleinen Zügen das Glas leer. Sie deckte den Tisch und rief ihre Tochter, die im Kinderzimmer mit ihren Puppen gespielt hatte, zum Essen herunter. Frau Werbusch trank zum Essen den Rotwein mit dem Schlafmittel, so wie Kowalski es gehofft hatte.
Noch bevor sie ihren Teller leer gegessen hatte, überkam sie eine große Müdigkeit.
»Schätzchen, Mama ist sehr müde und muss sich mal einen Augenblick hinlegen. Du kannst ja etwas im Garten spielen.«
Sie legte sich auf das für viel Geld renovierte Biedermeiersofa im Wohnzimmer nieder. Ihre Tochter holte sich noch einen Ball aus ihrem Zimmer und ging dann in den Garten. Da schlief Susanne Werbusch schon tief.
Kowalski wartete noch einen Augenblick. Er wollte sicher gehen, dass Frau Werbusch auch wirklich schlief.
Dann ging er ums Haus herum, vergewisserte sich, dass ihn niemand beobachtete und rief nach der Kleinen.
Als sie ihn sah, war sie erstaunt und gleichzeitig neugierig.
»Wer bist denn du?«
»Ach, ich wollte eigentlich zu deiner Mama, die schläft aber jetzt, glaube ich. Sie hat was gewonnen. Ich mache eine Umfrage. Es geht um Getränke. Weißt du, wenn sie mir sagen kann, wie dieser Saft schmeckt, ob der süß oder sauer ist, gewinnt sie eine Playstation. Na ja. Nun muss ich wieder gehen. Sie schläft ja leider.«
Kowalski drehte sich um und tat so, als ob er das Grundstück verlassen wollte. Dann drehte er sich nochmals um.
Die Kleine sah traurig zu Boden.
»Oder kannst du das etwa auch?«
Sofort erhellte sich ihr Gesicht.
»Klar kann ich das. Das ist doch derselbe Saft, den wir auch haben. Der ist süß. Und sooo lecker. Habe ich nun die Playstation gewonnen?«
»Nein, so geht das nicht. Du musst diese Flasche schon probieren. Das ist ein neuer Saft.«
Er öffnete den Verschluss und hielt ihr die Flasche hin.
Sie zögerte, dann griff sie danach und trank einen ordentlichen Schluck.
»So. Schmeckt süß. Sag ich doch. Was ist jetzt mit der Playstation? Krieg ich die nun?«
»Ja, muss ich aus dem Auto holen. Aber die kriegst du nur, wenn du die Flasche ausgetrunken hast.«
»Gib her. Ich habe sowieso großen Durst.«
Sie trank die Flasche leer.
Kowalski spielte mit dem Ball. Das Mädchen wurde neugierig und lief ihm hinterher. Dann fragte er das Mädchen, was in dem Schuppen sei.
»Ach, nur was für den Garten.«
»Ein Versteck? Wollen wir Verstecken spielen?«
»Oh ja! Das macht Spaß.«
»Gut. Dann gehe ich mal deine Playstation holen, und du versteckst dich in der Zeit.«
Kowalski drehte der Kleinen den Rücken zu und ging auf die Straße. Aus den Augenwinkeln sah er sie in den Schuppen gehen. Sein Plan war aufgegangen.
Читать дальше