1 ...6 7 8 10 11 12 ...19 Der zweite Elf war weit über einen Meter neunzig groß und hatte breite Schultern. Seine Haut hatte einen olivfarbenen Ton und das Gesicht war wie bei allen Elfen Bartlos. Pechschwarze lange Haare waren zu einem Zopf geflochten und dichte schwarze Augenbrauen gaben ihm etwas Düsteres.
Doch das bemerkenswerteste an ihm waren seine Augen: leuchtendes Bernstein!
„Heilige Scheiße“, stöhnte Andreas. „Du musst Koljas Sohn sein!“
Der dunkelhaarige Elf lächelte leicht und nickte. „Dann bist du wohl Andreas.“ Er stellte es einfach fest. Keine Frage, keine Unsicherheit.
Sondra schluckte. Die Stimme des anderen war eine einzige Versuchung. Männlich, tief und warm mit einem Charme, der ihm angeboren schien.
>Was allerdings merkwürdig ist, wenn ich an Kolja denke. Kolja und Charme passen nicht wirklich zusammen. <
Jetzt erst bemerkte sie, dass Elsir sie die ganze Zeit festhielt, aber versucht war, seine Hände nicht an Körperregionen Sondras zu halten, die unter Umständen kompromittierend waren. „Entschuldige, Elsir. Ich habe mich nur so gefreut und da ist mein Temperament mit mir durchgegangen.“
Der dunkelblonde Elf lächelte wieder und sein zauberhaftes Grübchen erschien auf der Wange. „Die Begrüßung fand ich gar nicht schlecht. Hätte ich in der Form auch nicht erwartet.“ Seine verschieden farbigen Augen blitzten schelmisch auf.
„Das letzte Mal, als ich dich sah, warst du erst ein paar Monate alt und lagst in meinen Armen! Und jetzt….“
Sondra trat ein paar Schritte zurück und betrachtete ihn ausführlich. Mit einer eleganten Verbeugung fing er an, sich um sich selbst zu drehen.
„Zufrieden?“, fragte er dann.
„Allerdings!“ Sondra trat zurück und suchte Halt bei Andreas. Der starrte immer noch den anderen Elf an.
„Ich heiße Bijae“, sagte dieser und streckte den beiden seine Hand entgegen.
Andreas ergriff sie als erster. „Verzeihung, aber wir sind total überrascht. Also ich bin Andreas und das ist meine Verlobte Sondra.“
Bijae ergriff auch Sondras Hand und sie hatte das Gefühl, unter Strom gesetzt zu werden. „Willkommen auf der Erde, meine Freunde“, sagte sie heiser. „Willkommen in Deutschland!“
Elsir blickte sich neugierig um. „Ein Weinkeller! Das ist stilvoll für ein Tor.“
Sondra kicherte verunsichert. „Tarnung ist alles. Wollt ihr nicht nach oben ins Haus kommen? Dort können wir uns in Ruhe unterhalten. Ihr habt doch bestimmt Hunger und Durst.“
Die beiden Elfen nickten und folgten Andreas die Treppe hinauf zur Küche. Sondra verschloss die steinerne Tür und schloss auch die Paneele. Einige Sekunden später war nur wieder das Weinfass zu sehen. Dann hob sie ihr Schwert auf und folgte den Männern.
Die beiden Elfen sahen sich erstaunt in der Küche des Hauses um. Zwar gab es in Vilgard in den meisten Häusern Wasser durch ein Pumpensystem, aber als Andreas einfach den Wasserhahn anhob und ein Wasserstrahl herauskam, waren die beiden etwas beeindruckt.
„Lass nur, ich mache das schon“, sagte Sondra und nahm die Butter aus dem Kühlschrank. „Kannst du bitte das Schwert wegbringen?“
„Na klar. Ich ziehe mir auch was über und bringe dir deinen Bademantel.“ Er küsste sie kurz auf die Stirn und ging dann aus der Küche.
Elsir nahm den Kühlschrank ins Visier. Als er ihn öffnete und in den erleuchtenden Schrank sah, gab er einen verblüfften Laut von sich. „Es ist kalt da drin!“
Sondra lächelte. Ihre Welt musste den beiden mehr als nur fremd vorkommen. „Das ist ein Kühlschrank. Da bewahren wir hier auf der Erde Nahrungsmittel auf, damit sie länger halten. Das Licht geht aus, wenn der Schrank geschlossen wird.“
„Sitzt ein kleines Männchen da drin, das es an- und ausmacht?“
Sondra kicherte. „Nein. Auf der Erde gibt es keine Magie oder Wichtel oder ähnliches. Wir Erdmenschen haben Dinge entwickelt, die uns im täglichen Leben helfen, es vereinfachen sollen. Sieh mal.“
Sondra öffnete den Kühlschrank erneut und drückte gegen die Taste, die das Licht ausmachte. Dann ließ sie die Taste wieder los und das Licht ging an. „Die Sache, die das und anderes ermöglicht, nennen wir Elektrizität.“
Elsir war sehr begeistert und widmete sich jetzt dem Wasserhahn.
Bijae hatte inzwischen seinen Wams ausgezogen und ordentlich zusammengefaltet über eine Stuhllehne gelegt. Er sah sich ebenfalls in der Küche um, allerdings war ihm nicht die unverhohlene Neugier Elsirs zu Eigen. Bijae blieb ruhig und distanziert, dabei band er seine Hemdsärmel auf und rollte sie hoch.
Sondras Blick fiel auf seine muskulöse Unterarme. Adern traten leicht unter der olivfarbenen Haut hervor und die Handgelenke waren mit Tätowierungen umrankt. Unterhalb des linken Handrückens hatte er die gleiche Tätowierung wie Sondra und Andreas: zwei schmale Hände, die eine stilisierte Sonne hielten.
„Du bist also ein Druide“, sagte Sondra, während sie Teller und Besteck auf den Tisch stellte.
„Ja, bin ich.“
„Der begabteste Druide seit Jahrhunderten!“, sagte Elsir, der sich jetzt die Mikrowelle genauer ansah.
Bijae rollte mit den Augen. „Musst du immer gleich so übertreiben?“
Elsir grinste und sein Grübchen trat wieder hervor. „Ich übertreibe nicht. Bijae hatte schon als kleines Kind erstaunliche Fähigkeiten. So eine Art magisches Gespür. Zum Beispiel kann er andere dazu bringen, ihm alles zu erzählen, was er wissen will. Und er kann mit einigen Tieren sprechen. Und die Sprache der Greife kann er auch. Und er ….“
„… kann leider nicht verhindern, dass sein Cousin plappert wie ein Waschweib“, ergänzte der große Elf resignierend.
Sondra grinste jetzt auch. Andreas war inzwischen wieder hereingekommen. Er hatte sich rasch seine Jogginghose und ein T-Shirt übergestreift und half Sondra in ihren Bademantel.
„Dieses magische Dingsbums mit der Sprache scheint auch in umgekehrter Richtung zu funktionieren“, sagte er und holte ein Laib Brot aus dem Brotkasten.
Sondra, die gerade Wurst und Käse aus dem Kühlschrank geholt hatte und ebenfalls auf den Tisch gelegt hatte, blickte erstaunt zu den Elfen. „Du hast Recht, Andi. Das ist mir noch gar nicht aufgefallen!“
Bijae runzelte kurz die Stirn. „Wie meint ihr das?“
„Merkst du das nicht? Ihr sprecht im Moment nicht den Hauptdialekt aus Vilgard, sondern Deutsch! Mit einem ganz entzückenden Akzent, übrigens.“ Sondra grinste Bijae frech an, was dieser mit einer einzelnen hochgezogenen Augenbraue quittierte.
„Als wir nach Vilgard kamen, sprachen wir automatisch nicht mehr unsere Sprache, sondern eure. Das muss an der Magie des Tores liegen“, erklärte Andreas. Er legte das Brot in die Brotschneidemaschine und betätigte den Knopf.
„Was zum großen Schöpfer ist das denn?“ Elsir sprang panisch zum anderen Ende der Küche und hatte riesige, erschrocken dreinblickende Augen. Bijae hatte lediglich seine Hände um die Stuhllehne gekrampft und beide Augenbrauen in die Höhe gerissen.
„Oh, ähm. Es tut mir leid. Ich vergaß, das ihr so was ja nicht kennt!“ Andreas blickte zerknirscht in die Gesichter der Besucher. „Das ist eine Maschine, die Brot und auch Fleisch schneiden kann. Etwas, das unseren Alltag ein wenig erleichtert. Ich wollte euch nicht erschrecken.“
Elsir hatte seine Hand auf seine Brust in Höhe seines Herzens gelegt und kam wieder näher.
„Interessant!“, sagte Bijae nur und das Thema war für ihn erledigt.
„Ich mache die Maschine jetzt noch mal an, also bitte keinen Schreck bekommen. Elsir, nimm deine Finger da weg, sonst hast du bald keine mehr!“ Elsir wollte die Brotschneidemaschine gerade berühren, als Andreas sie wieder anmachen wollte. Im letzten Moment sah Andreas, was Elsir vorhatte und warnte ihn.
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