1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 30.12.2010:
Hi Inga, heute kam die Stationsschwester Nicole und wechselte meinen Verband höchstpersönlich, ich wunderte mich schon. Dann begann sie, von meinen herumfliegenden Haaren zu sprechen und wollte mich dazu bringen, sie morgen abzuschneiden, was ich aber verweigerte. Sie können mich auch nicht zwingen und es gibt einige Patienten, die das bis zum Ende durchgezogen haben. Achim z.B. weigert sich bis heute, seine letzten paar Haare abschneiden zu lassen. Bei Männern sieht das auch noch besser aus, wenn die nur ein paar Haare haben. Bei Frauen ist das irgendwann nicht mehr schön. Ich habe aber jetzt ein Tuch umgebunden, dadurch fliegen sie nicht mehr in der Gegend umher, ein guter Kompromiss. Und ich kann mich schon an den Anblick gewöhnen, wie es mit Tuch aussieht. Ansonsten ist die Chemo durch und ich kann mich wieder frei bewegen, was natürlich schön ist! Jetzt beginnt wieder das Warten, und ich werde die Zeit nutzen so gut es geht und viel Fahrradfahren und übern Flur gehen, so dass meine Kondition wieder besser wird.
Mit der Pastorin spreche ich natürlich auch über das Problem mit dem Haarausfall. Sie sagt, ich soll mich nicht unter Druck setzen lassen. Und sie rät mir, dem erst zuzustimmen, wenn ich so weit bin.
Nachher kommen meine Eltern, Beate ist seit gestern Abend in Flensburg und kommt wohl erst Neujahr zurück. Heute bin ich genau fünf Wochen im Krankenhaus. Vor fünf Wochen habe ich mich selbst in Preetz eingeliefert. Oh Mann, Inga, es ist so schwer, immer die optimistische Einstellung zu bewahren, obwohl, heute gelingt mir das bislang ganz gut. Ich wachte heute auf und dachte, ach, es wird schon alles gut werden. Eigentlich spricht ja auch alles dafür. Eben hat mir die Ärztin Thrombozyten gebracht. Ich ahnte es schon, weil ich den ganzen Morgen beim Naseputzen Nasenbluten hatte. Übrigens erzählte ich gestern Sonja von meinem ersten Gespräch mit diesem einen Patienten, und sie hat sich kaputtgelacht über seine Aussage und meinte auch, das geht ja gar nicht! Es tat mir richtig gut, sie so lachen zu hören. Ich fand es auch skurril und kann mich nicht so richtig dran gewöhnen, dass hier einige sehr offen über ihre Nebenwirkungen sprechen. Ich muss jetzt (jetzt fange ich auch an...) wegen einer winzigen blutigen Stelle am Po Sitzbäder machen! Ich stöhnte nur, als die Ärztin das ankündigte. Die wollen hier einfach jeglichen Infektionsherd ausschalten. Naja, jedenfalls werde ich auf dem Flur nicht darüber sprechen... Heute Morgen traf ich Jörg, und er fragte, wie es geht, und ich antwortete, ganz ok...und er klagte: „Irgendwas ist ja immer...." und ich dachte, was kommt jetzt? Er hat Zahnschmerzen, was echt übel ist. Ich hatte auch schon überlegt, dass das wirklich sehr ungünstig wäre. Gut, dass ich im Oktober noch beim Zahnarzt war. Ich beneide Dich um Dein Leben im Sommer mit Erdbeeren usw. ...unbeschwert und täglich draußen mit dem Gefühl, gesund zu sein! Liebe Grüße, Gaby
Ja, das ist wirklich schwierig für mich, dass einige sehr direkt aussprechen, was gerade für körperliche Probleme anliegen. Ich rede darüber mit meiner Familie und mit Freunden, aber eher nicht mit den anderen Patienten. Achim und ich unterhalten uns auch über alles Mögliche. Er beklagt sich allerdings nur selten. Bei ihm läuft es wohl auch nicht immer rund, aber trotzdem hat er meistens eine sehr positive Einstellung, was mir wirklich gut tut. Nach Weihnachten kommt er wieder zurück auf die Station, darf aber Silvester erneut das Krankenhaus verlassen, da sein weit entfernt lebender Sohn zu Besuch ist.
Die Schwestern kündigen schon einige Tage vor Silvester an, dass wir es uns an dem Abend nett machen werden. Sie planen Bleigießen!
31.12.2010:
Liebe Inga, gestern Abend war ich frustriert, einfach von der ganzen Situation hier. Die Spätdienst-Schwester kam und fragte, ob ich noch was zur Nacht brauche. Und ich sagte: „Was gegen Frust", und sie fragte, „Sie haben Frust? Warum?" .....naja, und dann meinte sie „Ach, jetzt haben Sie es doch bald geschafft", und ich sagte „Na hoffentlich". Sie antwortete: „Die Therapie hat doch schon letztes Mal so gut angeschlagen, da brauchen Sie sich glaube ich keine Sorgen zu machen". Das war der Satz, der mich echt beruhigte. Ein paar Worte, und schon geht es einem besser. Dann sagte sie, dass sie noch ein bisschen die Station schmücken will und dass sie für heute Knallbonbons gekauft hat, und ich erwiderte, dass ich gerade an die Knallbonbons denken musste, weil wir sie früher immer hatten. Für Gudrun ist das, glaube ich, kein Silvester, wenn es keine Knallbonbons gibt. Unsere Silvesterpartys früher, die waren echt immer unbeschwert und lustig, mit Papierhüten und der ganzen 70er Jahre Musik (in den 70ern eben) im Fernsehen, z.B. Boney M. Es hat mich fast getroffen, als ich gestern im Fernsehen sah, dass Bobby Farrell gestorben ist, der Sänger von Boney M.: „Boat on the river, it´s sailing away...". So, liebe Inga, ich hoffe, Du verbringst mit Steve gerade einen ganz schönen Abend, bei Euch ist es in 2,5 Stunden so weit! Guten Rutsch ins Jahr 2011!!! Auf dass es ein schönes Jahr wird! Liebe Grüße, Gaby
Gegenüber von meinem Zimmer gibt es einen ganz gemütlichen kleinen Aufenthaltsraum mit einem Riesen-Flachbildfernseher. Dort gucken die Männer manchmal abends Fußball. Und hier treffen wir uns Silvester. Außer mir sind aber nur noch drei andere Patienten und zwei Schwestern da. Der Rest hat es vorgezogen, in seinem Zimmer zu bleiben. Vielen Patienten geht es wohl auch nicht besonders. Ich habe Glück, denn die Wirkung der zweiten Chemo hat noch nicht voll eingesetzt, insofern fühle ich mich heute einigermaßen gut. Es wird dann auch ein ganz netter Abend. Wir gießen Blei und unterhalten uns mit den Schwestern. Merkwürdig ist es schon, dieses Silvester…. Aber wir machen das Beste daraus! Um Mitternacht gehen wir alle in mein Zimmer, weil man von dort aus gut das Feuerwerk sehen kann. Und wenig später ziehen sich alle zurück, und auch ich gehe schlafen. Mal schauen, was dieses kommende Jahr bringt. Ich hoffe und glaube ganz fest, dass es das Jahr der Heilung wird!
05.01.2011:
Heute war der Chefarzt persönlich hier, ich fand ihn wirklich nett. Er meinte, es wäre eine lange Zeit und um den Jahreswechsel im Krankenhaus zu sein sei schon eklig. Und dann fragte er noch: „Die Psyche hängt ein bisschen durch?". Er machte mir Mut und wies mich darauf hin, dass meine Art der Leukämie eine vergleichsweise günstige sei und die Heilungschancen somit deutlich besser als bei anderen seien. Ich fand´s nett, dass er das so sagte. Naja, die lesen in der Akte Depressionen und die anderen Ärzte erzählen sicher auch, dass meine Stimmung nicht immer die beste ist. Essen geht immer noch nicht, aber vielleicht geht ja Spaghettipizza besser. Ich hatte heute Mittag schon wieder Fieber...irgendwie dauert das alles seine Zeit. Hoffentlich bin ich nicht so müde, wenn Du kommst, ich soll nämlich ein Opiat nehmen, was gegen Schmerzen hilft (Hals) allerdings nur eine sehr geringe Dosis. Bis nachher! Gaby
Eines Morgens gehe ich auf den Flur, und plötzlich wird mir ganz schwindlig, mein Kreislauf schwächelt! Gott sei Dank ist Achim da, bringt mich zu meinem Zimmer zurück und sagt auch gleich der Schwester Bescheid. Sie misst sofort den Blutdruck: 90:60! Ich bleibe erstmal im Bett.
Am 06.01.2010 schreibe ich Folgendes an meine Kollegin:
Ich habe wieder ein ziemliches Halsproblem, tierische Schmerzen, und dagegen muss ich jetzt ein Opiat nehmen, weil die anderen Schmerzmittel auch gegen Fieber wirken und man dann nicht weiß, ob ich Fieber habe oder nicht. Ich muss sagen, ich fühle mich gerade irgendwie zugedröhnt. Habe ja nie Drogen genommen, aber so fühlt sich das wohl an. Wenn alles gut läuft, kann ich in ca. zwei Wochen nach Hause. Irgendwie kann ich es gar nicht glauben, dass die Zeit jetzt so weit voran geschritten ist. Anfangs dachte ich, sie wird nie vergehen. Der Gedanke, vielleicht bald mit meinen Eltern nach Hause zu fahren, fühlt sich an wie ein Lottogewinn.
Читать дальше