1 ...7 8 9 11 12 13 ...18 Die Halsschmerzen sind wirklich übel. Jegliches Schlucken schmerzt und das wird wohl auch erst aufhören, wenn das Zelltief vorbei ist. Und die Opiatstropfen haben eben unangenehme Nebenwirkungen, z.B. Schwindel. Als die Schwester mich wieder einmal stützen muss und wir den Arzt auf dem Gang treffen, stimmt er sofort zu, dass wir die Tropfen absetzen und auf ein anderes Schmerzmittel umsteigen.
Mein Cousin, der gerade in Indien weilt, mailt mir:
Na das hört sich ja schon ganz gut an! Die zwei Wochen mögen schnell vorbei sein und ein positives Ergebnis bringen. Die Nebenwirkungen müssen schrecklich sein, und ich hoffe die kleinen Aufmunterungen, die wir Dir schicken helfen ein wenig! Einer der vielen Götter hier heißt Ganesha, und man geht zu der Statue und darbietet eine aufgeschlagene Kokosnuss und das habe ich unter anderem auch für Dich getan und somit kümmert er sich um Dich und macht es hoffentlich erträglicher! Liebe Grüße
12.01.2011:
Hi, es sieht eigentlich gar nicht so schlecht aus. Ich bin einigermaßen fit, wenn auch leicht müde. Heute Morgen bin ich schon mit Markus, dem polnischen Krankengymnasten und seinem Kompagnon über den Flur gewandert. Die anderen machten schon ihre Witze darüber, dass sie so auch mal ihr Geld verdienen möchten...wir gehen hin und her und unterhalten uns über die Oper! Die Ärztin teilte mir dann auch prompt mit, dass sie die KG abbestellt hat. Ich brauche ihn auch nicht, ich kann auch allein übern Flur gehen. Der Fernseher ist noch nicht repariert, aber vielleicht kommt heute noch jemand. Wäre schön!
14.01.2011:
Hallo Ihr, heute habe ich mal wieder einen Schock bekommen. In der Visite kam die Ärztin und sprach plötzlich doch von einer Transplantation. Aufgrund eines Wertes kann man wohl sagen, dass die Rückfallgefahr bei mir ziemlich hoch ist. Um das deutlich zu reduzieren, brauche ich offensichtlich doch eine Knochenmarkspende. Ich war völlig fertig, als ich das hörte, was die Ärztin irgendwie nicht verstehen konnte. Sie meinte, der zeitliche Ablauf wäre doch ungefähr gleich und ich müsste ebenfalls noch zwei Chemos machen, was ansonsten auch der Fall gewesen wäre. Und trotzdem: Immer kommt wieder was Neues, man kann sich auf nichts verlassen! Beate kommt heute Nachmittag vorbei und lässt Blut abnehmen. Die Chance ist 1:4, dass ihr Knochenmark passt. Und wie geht´s Euch? Der Alltag ist vermutlich wieder eingekehrt. Das Wetter ist ja heute ganz schön trübe, das passt zu meiner Stimmung. Allerdings kommt gleich Inga, meine Freundin aus Neuseeland! Und meine Mutter kommt nachher auch noch. Eben war schon meine Freundin Gabi da. Also, erstmal liebe Grüße und bis bald! Gaby
Ja, das ist wirklich ein Schlag! Frau Dr. Egerland kommt zur Visite. Zunächst frage ich nach meinen Blutwerten und wir reden darüber. Dann sagt sie plötzlich: „Aber eigentlich wollte ich heute etwas ganz Anderes mit Ihnen besprechen.“ Ich habe ein mulmiges Gefühl und denke, was kann das jetzt wieder sein? Sie sagt so was wie: „Bei Ihnen gibt es ja diesen Wert, der anzeigt, dass die Rückfallgefahr extrem hoch ist. Von daher plädieren wir doch für eine Transplantation.“ Ich bin völlig schockiert und verstehe die Welt nicht mehr. „Welcher Wert?“, frage ich. „Davon habe ich noch nie was gehört!“ Sie wirkt irritiert und sieht dann nochmals in meine Akte. „Doch“, sagt sie, „hier steht es!“ Die Schwester, die neben ihr steht, nickt bestätigend. Ich frage nochmals „Was für ein Wert?“ und gerate allmählich in Panik. Ich bekomme keine wirkliche Antwort. Minutenlang reden wir aneinander vorbei, was damit endet, dass ich völlig aufgelöst bin und die Ärztin leicht genervt ist. Sie sagt: „Also, ich habe doch wirklich versucht, Ihnen das jetzt schonend beizubringen!“ Ach ja? Davon merke ich nichts! Wo kommt plötzlich dieser Wert her, frage ich mich? Laut Auskunft von Herrn Jost habe ich eine günstige Variante der Leukämie, die aller Wahrscheinlichkeit nach keine Transplantation erfordert. Aus Flurgesprächen weiß ich, dass eine Knochenmarkspende eine weitreichende Geschichte ist. Bisher habe ich aber nur Gesprächsfetzen aufgeschnappt und wollte mich damit auch nicht weiter befassen. Die Ärztin sagt, dass der Zeitplan ein ähnlicher sei und dass ich danach die Krankheit voraussichtlich los wäre. Zunächst wird jetzt geprüft werden müssen, ob das Knochenmark meiner Schwester passt. Das wäre die naheliegendste Lösung, da wir dieselben Eltern haben. Meine Eltern kommen aufgrund ihres Alters nicht in Frage.
Die Ärztin und die Schwester verlassen das Zimmer. Vorher sagt mir die Ärztin, dass ich gern noch mit den anderen Ärzten sprechen könnte. Das wird wohl notwendig sein, denn unsere Kommunikation ist eindeutig gescheitert. Manchmal spricht man einfach nicht dieselbe Sprache.
Ich bin äußerst beunruhigt und rufe sofort meine Familie an. Als ich meine Eltern anrufe, schaffe ich es aber, ihnen das ruhig und sachlich mitzuteilen und das als eine gute Lösung zu verkaufen.
Später kommt Beate und ich erzähle ihr, dass ich einfach nicht verstehe, woher dieser Wert kommt. Ich bitte sie, Frau Dr. Berger oder Herrn Jost zu fragen. Sie macht sich auf den Weg und kommt nach einiger Zeit zurück. Und sie erzählt, dass Frau Dr. Berger gesagt hätte, dass sie und Herr Jost total erschrocken waren, als dieser Wert plötzlich mit der Post kam. Aufgrund des Schneewinters hat sich die Post offensichtlich verzögert, so dass dieser Brief einige Wochen später ankam als normal. Sie hätten dann zunächst darüber geschwiegen, um mit dem Oberarzt, der zu dem Zeitpunkt im Urlaub war, über die weitere Vorgehensweise zu sprechen. Inzwischen haben sie dies getan, und man ist sich darüber einig geworden, dass eine Transplantation unumgänglich sei, da ansonsten die Krankheit aller Voraussicht nach spätestens in einem Jahr zurückkehren würde.
Endlich begreife ich, was passiert ist! Es verändert zwar nicht das Ergebnis, aber doch mein Gefühl! Auch die Ärzte sind davon überrascht worden. Ich finde es wirklich wichtig, genau zu verstehen, was Sache ist. Ich kann es nicht ertragen, mich so ausgeliefert zu fühlen und jeden Tag mit allem rechnen zu müssen! Aber offensichtlich muss man das. Die Pastorin sagte einmal, dass wir alle in einer trügerischen Sicherheit leben. Das stimmt wohl. Wir wissen alle nicht, was morgen ist, aber zum Glück denke ich normalerweise nicht allzu häufig darüber nach. In dieser Krise ist es allerdings anders. Oft denke ich auch an die Vergangenheit, an den normalen Alltag, den ich manchmal langweilig fand. Jetzt wünsche ich mir nichts mehr als normale Tage im „Hamsterrad“. Ich brauche momentan keine großen Events, um glücklich zu sein. Eine Perspektive für eine gesunde Zukunft, die brauche ich! Frau Dr. Berger kommt auch noch persönlich zu mir und wir reden. Sie sagt mitfühlend: „Sie sind bestimmt geschockt, oder? Das verstehe ich!“ Ich fange an, mich innerlich etwas mit der Geschichte zu arrangieren. Die anderen Patienten auf dem Flur reden auch tröstend auf mich ein, viele teilen dieses Los mit mir. Eine sehr nette ältere Patientin meint: „Es gibt eben keinen anderen Weg für uns, insofern müssen wir da durch.“
3. Kapitel:
„Wenn einer keine Angst hat, hat er keine Phantasie.“ Erich Kästner
In den nächsten Tagen bekomme ich diverse Informationen. Komischerweise deprimiert mich eine Nachricht am meisten: Nach der Transplantation darf man in der Wohnung keinen Teppichboden haben wegen möglicher Keime! Sowohl bei mir in der Wohnung als auch bei meinen Eltern befindet sich zum Teil Teppichboden. Gerade haben meine Eltern ein Zimmer renoviert, in dem ich nach der Transplantation schlafen soll. Dort wurde ein neuer Teppichboden verlegt. Heute geht nichts mehr. Ich heule den ganzen Tag und mit jedem Besuch diskutiere ich die ganze Sache von vorn bis hinten. Ich bin total verzweifelt. Alle versuchen, mich zu trösten, aber es gelingt nicht so richtig. Es ist einfach zu viel. Die ganze Geschichte nimmt immer größere Ausmaße an und mir wird langsam klar, dass es auch nach der Transplantation noch keine Entwarnung geben wird. Ich muss mich innerlich wieder auf ein größeres Zeitfenster einstellen. Wann habe ich das nur alles endlich hinter mir?
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