Chalil sah die Gelegenheit gekommen, dich, den Bastard, endlich zu beseitigen, daher fiel ihm die Entscheidung leicht. Vermutlich dachte er, wäre er mein Sohn, mein eigener Sohn, käme ich nie auf die Idee, auch nur daran zu denken, aber er ist ein Sohn der Sünde und soll daher niedergemetzelt werden. Meine Frau und ich wissen dies ganz genau, mochte er wohl gedacht haben. Natürlich verheimlichte Chalil vor uns seine wahren Gründe und sprach: ‚unmissverständlich und klar vernahm ich die Stimme, die mir befahl, den Sohn zu opfern.‘ Wir waren außer uns vor Erregung und versuchten, ihn zur Vernunft zu bringen, vergeblich.
Ich erhob mich, verließ das Zelt und dachte nur noch an deine Mutter. Ja, ich habe deine Mutter gekannt, war verliebt in sie und wollte sie heiraten. Sie, oder sagen wir lieber, ihre Familie, denn als junges Mädchen hatte sie ohnehin nichts zu sagen, entschied sich für deinen Vater, weil er ein reicher Mann war. Er erbte sein väterliches Geschäft, das er schnell verkaufte. Schafe, nicht Kunst, war sein Metier. Ungeschickt war er ja nicht; denn kaum waren ein paar Jahre verstrichen, da hat sich sein Vermögen verdoppelt, ja verdreifacht. Ich muss zugeben, ich war sehr enttäuscht, mir brach eine Welt zusammen, als ich die einzige Frau, in die ich unsterblich verliebt war, mit einem anderen sah. Ich fand mich damit ab, was hätte ich auch tun sollen, vergessen konnte ich sie aber nie.“
„Also handelt es sich doch um eine gemeine Rache.“
„Unsinn. Auch wenn ich sie nach wie vor begehre, ist dies kein Grund, auf Rache zu sinnen, das ist schäbig und das darfst du mir nie unterstellen. Ich kann aber nicht verheimlichen, dass ich innerlich froh war, dass sie unfruchtbar blieb, vielleicht hoffte ich darauf, dein Vater könnte ja sterben oder sie wegen Unfruchtbarkeit verstoßen. Sie wäre wieder frei für mich oder ich sah dies als eine gerechte Strafe dafür, dass das Geld die Welt regiert; denn ihre Entscheidung war für mich eindeutig die falsche Entscheidung. Ich hielt mich einfach für den besseren. Das würde natürlich an meiner Stelle jeder Mann tun. Als die Hungersnot kam, aus der dein Vater als der strahlende Held herauskam, wuchs verständlicherweise mein Ärger noch mehr. Ich verlor alle Hoffnung, fand mich damit ab, dieses Kapitel war für mich abgeschlossen. Ich nahm mir aber vor, Junggeselle zu bleiben. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, eine andere Frau zu lieben. Dann wurde kurz nach der Reise deine Mutter schwanger, was mir doch sehr verdächtig vorkam. Ich bemühte mich aber nicht, Nachforschungen anzustellen oder herumzuschnüffeln. Eines Tages begab ich mich auf eine längere Reise. Da traf ich zufälligerweise auf Menschen, die aus jenem Land kamen und war hoch erfreut darüber; denn es ist ein Land, das mit seinen vielen Geschichten unsere Fantasie fesselt. Ich war neugierig, ein paar Geschichten zu hören, die ich später in unserer Männerrunde zum Besten zu geben gedachte. Also suchte ich die Bekanntschaft jener Menschen zu machen, was ziemlich leicht war, so gesellig wie sie sind. Wir redeten über Gott und die Welt und kamen auch auf die Zeit der Hungersnot zu sprechen. Sie waren bestens informiert und erzählten von selbst, was vorgefallen war. Sie wussten von einer hübschen Schwester eines Dorfvorstehers zu berichten, die in den Harem des Königs aufgenommen wurde. Ihren Herrscher, der kürzlich gestorben ist, hatten sie immer noch gut in Erinnerung. Sie schätzten seinen Charakter, seine Fähigkeiten und lobten seine weise Regierungszeit dermaßen, dass ich dachte, der muss doch mehr drauf gehabt haben als nur attraktive Frauen zu beglücken. Ich war also im Bilde und behielt es für mich. Wenn es darum ginge, euch einen Schaden zuzufügen, warum habe ich solange geschwiegen? Schadenfroh hätte ich alles ausgeplaudert. Aber ich schwieg. Das Geheimnis hätte ich mit mir ins Grab genommen, und ich schwöre bei dem Allmächtigen, dass ich mit niemandem darüber gesprochen habe und ich hätte dir nie etwas davon erzählt, wenn nicht diese Geschichte mit dem Opfergang mir zu Ohren gekommen wäre. Sie hat mich rasend gemacht. Über die Angeberei deines Vaters war ich empört. Er denkt sich was aus und will, dass die Menschen ihm seine Geschichten, die er sich zurechtgelegt hat, abkaufen. Ich ertrug dies nicht und fragte mich, was ist denn das für ein Mensch, dem es einzig und allein um sein eigenes Renommee geht, der sogar bereit ist, dafür einen unschuldigen Knaben zu opfern? Nachdem ich also von der Vision und vom bevorstehenden Opfergang hörte, ging ich mit mir selbst zurate; ich überlegte, wie kann ich das verhindern. Das ist der einzige Grund, warum ich eine Unterredung mit dir suchte. Ja, ich will dich retten, nicht zuletzt deiner Mutter zuliebe, die ich immer noch nicht vergessen kann. Nicht mir darfst du die Schuld geben, sondern deinem Vater oder sagen wir besser, deinem angeblichen Vater. Er allein trägt die Schuld für alles, was vorgefallen ist. Damals verschacherte er die Mutter und jetzt will er den Sohn weihen.“
Jesreel schaute den Alten lange an und dachte, jetzt macht alles irgendwie einen Sinn, aber kann wirklich alles das wahr sein, was dieser Mensch mir erzählt hat, und wohin soll ich gehen, wohin fliehen, einfach abhauen und wie ein Landstreicher leben, ich der Sohn eines so angesehenen Mannes, den alle verehren? Er wandte sein leidvolles Gesicht dem Alten zu und sagte: „es hilft nichts, ich muss meine Mutter zur Rede stellen. Sie ist die einzige, die genau weiß, was vorgefallen ist.“
Der Alte erschrak, sein Gesicht wurde noch weißer als seine Haare. Er röchelte vernehmbar und flehte den Knaben an: „Bitte, bitte junger Mann, tue das nicht. Du wirst sie töten. Du bist alles, was sie hat. Ich glaube, sie ertrug das Leben mit deinem Vater nur deinetwegen. Sie wäre bereit, sich selbst abschlachten zu lassen, wenn sie dir damit das Leben retten könnte. Ja, sie ist bereit, alles für dich zu tun. Zerstöre ihr Leben nicht. Bitte, versprich mir das.“ Er, der alte, ehrwürdige Herr kniete vor dem Jungen und flehte ihn an. Aber Jesreel blieb hart. Er sagte: „Tut mir leid, das kann ich nicht. Ich verlange Klarheit und das ist mein Recht. Ich kann nicht den Rest meines Lebens mit einer Lüge verbringen und für Klarheit kann einzig und allein meine Mutter sorgen.“ Schnell suchte er das Weite. Der Alte blieb auf den Knien hocken und jammerte: „Ach Gott, was habe ich denn getan, ich Unseliger. O Herr, erbarme dich meiner“, in seinen Augen kollerten die Tränen und ohnmächtig fiel er zu Boden.
Jesreel wartete, bis sein Vater das Haus verließ und bat seine Mutter um eine Unterredung. Sie war leichenblass und stotterte wie ein geistigverwirrtes Kind. Mit kaum vernehmbarer Stimme bestätigte sie alles, was Hanafi gesagt hat. Sie schluchzte und umarmte Jesreel, bedeckte sein Gesicht mit Küssen. Jesreel stieß sie unsanft ab und eilte mit schnellen Schritten in die Berge. Am nächsten Tag starb Mara an Herzversagen. Chalil begrub sie unter großer Anteilnahme der Bevölkerung. Mit hohlem Blick starrte er vor sich hin und verzog keine Miene, seine Augen blieben trocken, während die Menschen sich wunderten, wo der geliebte Sohn bleibt.
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