»So ein Quatsch, Anna. Viktoria ist zurzeit wohl die Letzte, die uns wegen so was anprangert. Sie besteht doch derzeit selbst nur aus Hormonen. Glaub mir, ich kriege das ständig mit, wenn Ketu und sie …«
»Stopp, Stopp!« Anna machte mit den Händen eine abwehrende Geste. »So genau will ich das gar nicht wissen.«
Sie ging rüber zur Kaffeemaschine.
»Was tust du da, Anna?«
»Na, was denn wohl? Ich koche Kaffee und dann …«
»Oh nein, ganz sicher nicht!«
»Aber …«
Zu spät! Viktor hatte sie blitzschnell über seine Schulter geworfen und war schon auf der Treppe, bevor sie überhaupt registrieren konnte, wie ihr geschah.
»Viktor, was machst du denn da?«
»Wonach sieht es denn aus, meine Süße? Ich trage Sorge dafür, dass die richtige Reihenfolge eingehalten wird.«
***
Später lagen sie eng umschlungen im Bett und Viktor strich, tief im Nachklang der Erinnerung versunken, liebevoll über das schimmernde Haar seiner schlafenden Freundin:
Es war wieder wunderschön gewesen. Allein die Nachbetrachtung ließ ihn verheißungsvoll erschauern. Sie gab ihm immer alles, alles und noch mehr. Und sie war wirklich unersättlich, genau wie er. Er lächelte bei dem Gedanken daran, dass sie einfach nicht genug voneinander bekommen konnten.
Aber sein Lächeln verflog, da er wieder ihre Zweifel gesehen hatte. Seine Brauen zogen sich zu der typischen Denkersteilfalte zusammen. Selbst während sie sich geliebt hatten, war Anna nicht in der Lage gewesen, seine ehrlich gemeinten Komplimente zu ihrem faszinierenden Körper anzunehmen.
Auch wenn sie jedes Mal versuchte, die Unsicherheit zu verbergen, so sah er dennoch glasklar, dass sie an seiner Liebe zweifelte. Noch immer verstand sie nicht, wie ernst es ihm war, dass ihre Schönheit und ihr ganzes liebliches Wesen ihm schlichtweg den Atem raubten. Annas ständiger Argwohn und geringes Selbstwertgefühl nagten allerdings nicht nur an ihr, sondern auch an ihm.
Bevor sie blinzelnd aufwachte, murmelte Anna ein paar unverständliche Worte und ihre Nase zuckte.
Mitzuerleben, wie Anna aus ihren Träumen auf - und ganz allmählich zurück in die Gegenwart ein tauchte, sich dabei meist wie ein kleines Kind die Augen rieb, war eine wahre Wonne. Und das war der Grund, warum er so wenig schlief, wenn sie bei ihm war. Er liebte es, sie in ihrem Schlaf zu beobachten, den Moment aufzusaugen, in dem sie wach wurde und ihn, so wie jetzt, ihre leuchtend hellen Saphiraugen anstrahlten.
»Hab ich geschlafen?«
Ganz wie erwartet rieb sie sich die Augen. Sie streckte die Arme aus, gähnte herzhaft und blickte daraufhin geradewegs zu Viktor.
»Oh, Entschuldigung.« Sie wurde tatsächlich rot, als sie bemerkte, wie er sie betrachtete. »Ich dachte, du schläfst auch. Bestimmt sehe ich total bescheuert aus mit so einem weit aufgerissenen Maul.«
Viktors spürte, wie sich seine Stirnfalte erneut bildete.
»Himmel noch mal, Anna!«, herrschte er sie an. »Du siehst niemals bescheuert aus! Du hast lediglich nach einem Nickerchen gegähnt, das ist alles!«
Prompt richtete Anna sich auf. »Wieso bist du denn so sauer? Hab ich im Schlaf geredet, oder was?«
»Nein, hast du nicht. Ganz im Gegenteil. Du sahst sehr still und friedlich aus, wie immer, und wunderschön.«
Da war es wieder, das ungläubige Flackern in ihren Augen!
»Oh verdammt, Anna Nell! Wann hörst du endlich damit auf?«
»Aufhören? Womit?« Anna wirkte völlig verstört über Viktors Reaktion. Gerade hatten sie sich noch leidenschaftlich und begierig geliebt und nun war er mit einem Mal richtiggehend wütend. Es war eigentlich gar nicht seine Art.
»Was ist denn nur los mit ihm? Was habe ich falsch gemacht?«
Er sah ihre Fragen. Außerdem machte sie ein derart unglückliches Gesicht, dass Viktor sie reuevoll zu sich zog und zärtlich auf Stirn und Haar küsste.
»Entschuldige bitte. Es gibt keinen Grund dafür, dass ich mich so aufführe. Nur wäre es mir sehr lieb, wenn du nicht ständig an meinen Gefühlen für dich zweifeln würdest. Ich liebe dich nämlich über alles. Es tut mir weh, wenn ich mitbekomme, dass du mir nicht glaubst.«
Anna schaute ihn mit ihren unwiderstehlichen Augen an. »Ich glaube dir doch«, hauchte sie. »Ich liebe dich auch. Es ist nur hin und wieder so unwirklich, weil …«
»Ist es nicht!«, fiel Viktor ihr ungeduldig ins Wort. »Und ich brauche dich auch nicht zu kneifen, wie du immer meinst. Du brauchst nicht gekniffen zu werden, um zu wissen, dass das alles real ist, verflucht noch eins! Alles ist wahr und echt, Anna. Das hatten wir doch schon so oft.«
Er überlegte. »Weißt du noch, wie ich dir damals am Bach erzählt habe, was ich bin, dass manche Märchen und Fabelgeschichten wahr sind?«
Viktor beobachtete, wie Anna in ihr trauriges Gesicht hineinlächelte und versonnen einem Gedanken nachhing.
»Eine meiner schönsten und verwirrendsten Erinnerungen.«
»Da hast du von verschiedenen Romanhelden gesprochen: Harry Potter, Legolas, Edward und Bella . Ich wusste damals nicht, von wem du sprichst, jedenfalls nicht bei allen. Deshalb habe ich sie gegoogelt und mir auch die Filme dazu angesehen.« Er verzog verlegen den Mund. »Na, ja, du kennst mich ja. Aber ich habe auch die Bücher gelesen, weil ich wusste, dass du sie gelesen hast. Sie stehen in deinem Zimmer direkt neben Jane Austen, Isabell Allende und Friedrich Dürrenmatt . Übrigens eine wilde Mischung, wenn du mich fragst.«
Er bedachte sie mit seinem warmen Lächeln. »Weißt du, Anna, du bist fast genauso wie Edwards Bella . Sie meinte auch, nicht gut genug für ihn zu sein. Aber sie war es, Anna. Bella war absolut die Richtige und Einzige für Edward , so wie Elizabeth Bennet für Darcy und …«
»Du hast die Twilight -Bücher gelesen und Stolz und Vorurteil ?«, unterbrach ihn Anna.
»Bitte, was? Ja, und alle Harry Potters und auch Tolkiens Herr der Ringe , aber …«
»Du hast das alles gelesen? Weswegen? Um zu verstehen, was ich dir damals gesagt habe und wie ich so ticke? Um mich zu verstehen?«
Er seufzte tief. »Ja, hab ich. Aber darum geht’s doch im Augenblick gar nicht, ich …«
Weiter kam er nicht, denn Anna hatte sich auf ihn gestürzt und bedachte ihn mit heißen Küssen.
»Ich arbeite doch dran, Herr Müller. Ich brauche noch ein bisschen. Aber ich arbeite dran. Versprochen.«
Viktor atmete tief durch. »Okay – hhm – arbeite bitte weiter.«
Es war fast Abend und schon dunkel, als sie lachend und mit knurrenden Mägen die Treppe zur Küche hinunterliefen, um endlich etwas zu essen. Kaffee wollten sie nun nicht mehr. Stattdessen setzte Anna Tee auf und Viktor kramte im Vorratsschrank nach Keksen. Er fand eine Tüte Amarettini und ein Paket Butterkekse. Nun denn, fürs Erste müssten die reichen, entschied er. Außerdem entdeckte er erfreut einen Beutel mit Teelichtern. So könnten sie es sich im Wohnzimmer mit Kerzenlicht, Tee und den Keksen gemütlich machen und dabei Musik hören.
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