Kann vor Gericht sich nicht verteidigen
Wird verurteilt und bleibt stumm
Und mit dem ersten Schlag des Henkers
Sind die sieben Jahre um
(Saltatio Mortis)
I
Die Sommersonne stach vom wolkenlosen Himmel herab und die steppengleiche Landschaft tat ihr übriges um jeden Wanderer in dieser Ödnis einzulullen. Vier schwarze Punkte kreisten über diesen unbarmherzigen Horizont und kamen näher dem Abgrund, als sie dort eines einsamen Reiters gewahr wurden. Die braune Stute ließ am langen Zügel den Kopf hängen und setzte träge einen Huf vor den anderen. Sein Reiter hatte sich die Kapuze seines dunklen Umhangs über den Kopf gezogen, um sich so vor der prallen Sonne zu schützen. Unter seinem Umhang blitzten seine Nietenmanschetten an den Armen hervor und Strähnen weißen Haares drangen seitlich des gesenkten Gesichts hervor. Am Sattel hingen eine kleine Holztruhe und ein großes Eisenschwert.
Die vier schwarzen Punkte kamen schnell näher und identifizierten sich schließlich als vier schwarze Vögel: als vier Raben. Sie kreisten über dem Reiter und machten krächzend Lärm.
„Krah, das ist er!“ krähte einer.
„Bist du dir – krah – sicher?“ wandte ein zweiter ein.
„Krah! Er muss es sein, krah!“ erwiderte der dritte.
Der vierte Rabe schwieg und stieß herab auf den ahnungslosen Reiter. Seine Krallen schlugen sich in den groben Stoff der Kapuze und zogen daran.
„Verdammt!“ Der überraschte Mann schlug nach dem Vogel, der frei kam und sich wieder in die Luft erhob.
Die Stute tänzelte und der Kämpfer sprang elegant aus dem Sattel und hielt unerwartet das Eisenschwert in der Hand. Mit der freien Linken streifte er sich die Kapuze vom Kopf – darunter kam ein fast hübsches, junges Männergesicht zutage, wären seine Züge nicht so versteinert und die Narbe am linken Auge nicht so tief gewesen. „Ruhig, Plötze. Das sind nur Raben.“ Die Stute schüttelte sich die Fliegen von den Augen und beruhigte sich.
Seine markant-gelbfahlen Augen richteten sich gegen den Himmel und schauten verwundert auf die über ihn kreisenden vier Raben.
„Ja – krah!“
„Er ist es! Krah!“
„Krah – der Hexer!“
Geralt von Riva steckte das Eisenschwert zurück an den Sattel. Hatte er gerade Raben reden hören? „Lasst mich in Ruhe“, rief er zu den Vögeln hinauf. Sein Wolfsamulett auf der Brust zog an ihm, hier war Magie am Werk.
Da flog wieder einer der Raben hinab und landete vor ihm auf dem Weg. „Krah, seit ihr der Hexer Geralt von – krah – Riva?“ wollte der schwarze Vogel wissen. Das Tier war recht groß, maß im Ganzen über einen halben Meter.
Ohne Furcht trat Geralt an den Vogel heran und setzte sich in die Hocke, um etwa auf gleicher Höhe mit ihm zu sein. „Was willst du von mir?“
Die anderen drei Raben flogen nun ebenfalls hinab zum Boden und ließen sich hinter ihrem schwarzen Federbruder nieder.
„Krah, wir suchten dich“, meinte der kleinste von ihnen.
„Nun, da bin ich.“
„Wir sind – krah – verzaubert und brauchen deine – krah – Hilfe!“
Das Wolfsamulett ruckte sehr an der Kette und sprach ganz deutlich auf die Magie, mit denen die Raben umgeben waren, an. Geralt nickte nur stumm.
„Krah, wir sind sieben an der Zahl“, meinte der vorderste Rabe.
„Und haben – krah – ein Schwesterlein“, erwiderte der kleinste.
„Ein – krah - Fluch wurde über uns gelegt“, sprach der nächste Rabe.
Der Hexer setzte sich auf seinen Hosenboden direkt vor die vier Raben. „Erzählt mir eure Geschichte von Anfang an.“
Und so erzählten die Raben ihre Geschichte...
II
Es war einmal ein reicher Müller in Mühlbachstadt, dem hatte seine Frau bereits sieben Söhne geboren und trug ein achtes Kind unterm Herzen. Edelward war mit sieben Jahren der älteste, der quirligen Jungs. Ihm folgten die 6-jährigen Zwillinge Petrad und Paulad. Gustad war vier. Dann gab es noch ein Zwillingspaar mit 3 Jahren: Andward und Alfward. Der jüngste mit einem Jahr hieß Martrad. Die Mutter Elevin gebar alsbald ihrem Mann Conrad Mühlenbach eine ach so sehr gewünschte Tochter, die die glücklichen Eltern Sabryn tauften.
Die ersten Jahre verliefen mehr als glücklich, doch dann erkrankte das Mädchen unbekannt. Es begann, als sie 6 Jahre wurde. Mit jedem Monat der verstrich nahm ihre Vitalität ab. Sabryn wollte nicht mehr spielen, blieb irgendwann nur noch im Haus und siechte immer mehr vor sich hin. Sie wurde dünn, blass und apathisch.
Der Müller Conrad grämte sich immer mehr, denn das kleine Mädchen war sein Ein und Alles. Jeder Arzt, jeder Heiler, jeder Alchemist und jeder Zauberer der des Weges kam musste sich das Kind ansehen. Aber niemand konnte seinen Zustand ändern. Als sie neun wurde, lag Sabryn nur noch in ihrem Bettchen und starrte apathisch an die Decke, näher dem Tod als dem Leben.
In seiner großen Verzweiflung suchte Conrad schließlich die alte Hexe Alesandretta im nahen düsteren Wald auf.
„Das Mädchen ist verflucht!“ geiferte die Vettel. „Bevor sie zehn wird, wird sie sterben. Willst du dieses Unheil von ihr nehmen, musst du ein großes Opfer bringen.“
„Alles was nötig ist werde ich tun, um mein Herzschatz zu retten!“ beschwor der Müller Conrad.
„So soll es sein. Baue in einem Monat sieben Särge. Bringe diese Särge zur schwarzen Burgruine auf der anderen Seite dieses Waldes. Dann lege vor einer Vollmondnacht lebend je einen deiner Söhne hinein. Sperr sie dort ein und verlasse diesen Ort noch am gleichen Tag und kehre nie mehr dorthin zurück! Ist die Nacht dann vorüber und wurde dein Opfer angenommen, ist der Fluch von Sabryn genommen und sie wird ein gesundes, hübsches Mädchen werden.“
„All meine Söhne?!“ Müller Conrad war aschfahl geworden.
Die Vettel stand über ihm und kratzte mit ihren dürren Finger über sein Gesicht. „Das Mädchen wird sterben, unternimmst du nichts!“
Der Mann sprang auf und floh aus dem düsteren Häuschen der Hexe und ritt zurück zu seiner Mühle. Tagelang überlegte er hin und her. Doch als er sein geliebtes kleines Mädchen so reglos daliegen sah, schloss er sich in seiner Scheune ein und hämmerte und sägte was das Zeug hielt.
Doch als er dann zwei Wochen später die sieben Kisten auf einen Wagen lud, überraschte ihn seine Frau Elevin. „Conrad, was hast du da die ganze Zeit über gemacht. Was ist das? Sind das“ – sie betrachtete die Kisten genauer – „etwa Särge?“
„Geh mir aus dem Weg, Weib. Und lass mich tun was ich tun muss!“
„Was musst du tun?“
„Unser kleines Mädchen retten.“ Conrad hievte den letzten Holzsarg auf die Ladefläche des Wagens und spannte eine Plane darüber. Dann schob er wortlos seine Frau zur Seite und setzte sich auf den Kutschbock und befahl den zwei Zugpferden anzutraben.
Die Müllerfrau schaute ihm nach. Sie hatte genau die Anzahl der Särge gezählt: sieben. Dann blickte sie mit feuchten Augen über den Hof und sah ihre sieben Söhne spielen.
Bald brach der Abend an und Elevin Mühlenbach saß in ihrem Schlafgemach und weinte. Vor wenigen Minuten hatte ihr Mann Conrad die sieben Jungs eingesammelt und war mit ihnen fortgefahren. Sie ahnte, wo er sie hinbringen würde – dorthin, wo er die Särge gebracht hatte. Sie hielt ein weißes Taschentuch auf dem Schoss und da tropften sieben blutige Tränen in es hinein.
„Mein Leid ist unsagbar groß und unerträglich, legt mein Mann unsere sieben Söhne in diese Särge. Heilige Erdgöttin hilf mir dieses Unheil abzuwenden! Die schwarze Nacht soll sie schlucken, bevor meine sieben Söhne den Tod finden. Sieben Jahre will ich warten auf sie. Sieben Jahre leiden und Trauer tragen. Sieben Jahre nicht verzagen bis die sieben Söhne kehren heim zu mir.“
„Wo fahren wir hin, Vater?“ fragte Martrad der jüngste, der vor fast vier Monaten zehn geworden war.
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