Ich fahre Teilstrecken vieler dieser EuroVelo Strecken:
Hinfahrt:
EV17 (1100 Kilometer Andermatt bis Montpelier -Rhône ) Lausanne bis Aigues-Mortes
EV8 (5900 Kilometer Athen bis Cadiz) Aigues-Mortes bis Agde, Narbonne bis Barcelona, Valencia bis Gandia,
EV1: (8100 Kilometer Nordkap bis Sagres): Huelva bis Lagos, Aljezur bis Lissabon
Rückfahrt:
EV1: (8100 Kilometer Nordkap bis Sagres): Mérida bis Royan
EV 6 (3600 Kilometer Nantes bis Constanta) Saumur bis Orléans
EV 5 (3300 Kilometer London bis Brindisi) Gondrexange bis Sarrebourg
EV 15 (1200 Kilometer Andermatt Hoek van Holland) Lauterbourg bis Karlsruhe
Für die Radfahrenden, mit denen ich mich unterhalte, ist das EuroVelo Netz ein herausragendes Thema. Man fragt nicht, „Wie fährst du“, sondern „Welche EuroVelo Strecke fährst du?“ „Ich fahre die EuroVelo Sechs nach Wien.“ „Ich fahre die EuroVelo Eins nach Marokko“. Die Streckenführung ist damit festgelegt. Es ist eine Sprache, die verbindet. Der europäische Gedanke lebt. Das, finde ich, ist ein großer Verdienst dieses Netzes. Da EuroVelo ein geschützter Name ist, kommt es auch vor, dass die Wege etwas anders heißen. So heißt die EuroVelo 1 in Frankreich Velodysee, aber gemeint ist das gleiche und jeder versteht es auch, da die Kennzeichnung immer das Europazeichen mit der enthaltenen Nummer der EuroVelo Strecke ist.
EuroVelo hat auch einen bestimmten Anspruch. Anspruch an die Fahrbarkeit der Strecke, an deren Ausbau, an deren Zustand. Und tatsächlich, zumindest für die Strecken, die ich fahre, ist es überwiegend so umgesetzt. Es sind wunderschöne Strecken, wo sogar die Kehrmaschine fährt, damit sich das Laub nicht in eine rutschige Masse verwandeln kann. Das habe ich in Frankreich so erlebt.
Manche Strecken allerdings, die nicht dem Netz angeschlossen sind, lassen mich zweifeln, ob an diesen Orten die Idee des Radfahrens angekommen ist. Da sind z.B. die schnell angelegten Fahrradwege, die aber nie wieder gepflegt worden sind, sodass Sträucher inzwischen mitten auf dem Weg wuchern, oder Wege, die auf jeden Hügel führen, ohne Umgehungen, aber mit Steigungen, bei denen man schieben muss, obwohl nebenan die begradigte Schnellstraße verläuft. Das erzeugt ein Gefühl, dass man als Radfahrer doch nicht so richtig ernst genommen wird. So erlebt in Spanien auf der Strecke San Javier nach Murcia.
Während in Frankreich einige der EuroVelo Strecken ausgediente Eisenbahnstrecken sind, die begradigt und nivelliert sind, sehr schön zu befahren, werden in Spanien durchaus auch einfache Feldwege an das Netz eingeschlossen, Wege, auf denen auch die Traktoren der Bauern verkehren. Oder die Sicherheitsstreifen der Nationalstraßen, breit genug, damit ein bepacktes Fahrrad fahren kann ohne Angst haben zu müssen, dass der LKW dahinter einen erfasst. Die gute Nachricht ist, dass gerade in Spanien etwas dafür getan wurde, um solche Situationen zu vermeiden, viele Straßen bekommen einen breiten Sicherheitsstreifen, ausreichend für die Radlfahrer. Daneben gilt in Spanien die Abstandsregel von 1,5 Metern zwischen Auto und Fahrrad, was die meisten Fahrer auch einhalten. In Portugal dagegen sucht man oft vergebens nach einem EuroVelo Schild, es gibt sie schlicht nicht und auch nicht die Fahrradwege. Doch das wird sich in der Zukunft ändern, hoffe ich. Seitenstreifen für Fahrräder sind ebenfalls selten und so bleibt einem oft nur, mitten auf der Straße zu fahren, in der Hoffnung, dass im nächsten Auto ein spanischer Fahrer sitzt, der die Abstandsregel aus seinem Land mitbringt. In Portugal jedenfalls gibt es keine (sichtbare) Abstandsregel. Ich befahre die Straßen in der Mitte, damit die Autos bremsen und richtig überholen müssen, eine gefährliche Annahme, aber weniger gefährlich, als ganz am Rand der Straße zu radeln. Wann immer es geht, fahre ich auf den weniger gefährlichen Nebenstraßen, warte auf Fahrradwege, die als solche auch zu erkennen sind.
Deutschland – Süd, reloaded
Ich fahre los. Es ist der 16. April 2018. Es nieselt und ich beschließe, schon am ersten Tag ein Hotel zu nehmen, in Seeshaupt, am Ende des Starnberger Sees. Ein super Anfang, denke ich. Es ist eigentlich nicht kalt, aber die Aussicht, nun vielleicht ein halbes Jahr immer wieder im Regen zu fahren, lockt mich wenig. Der Vorteil aber ist, dass ich allein auf den Fahrradwegen bin. Ich fahre durch den Forstenrieder Park, an der Autobahn entlang, runter nach Percha, rauf nach Berg, am Schlösschen Berg vorbei, jenem Schloss, von wo aus der Erzählung nach König Ludwig II am 13. Juni 1886 in das Wasser des Starnberger Sees ging und sich selbst das Leben genommen hat - so zumindest die offizielle Version. Doch diese Version enthält viele Ungereimtheiten, viele Indizienfunde widersprechen der Darstellung, seither blühen die Verschwörungstheorien. König Ludwig II wurde in München in einer Gruft der Michaelskirche in der Fußgängerzone bestattet, sein Herz dagegen kam in die Gnadenkapelle nach Altötting.
Trotz des Nieselregens ist es ein gemütlicher, langsamer Beginn der Fahrt. Doch kurz nach Berg steht ein großer LKW mit einer Hochleiter für Baumfällarbeiten im Weg. Ich schiebe das Fahrrad durch die Stabilisierungsstützen des LKWs. Es gibt keinen anderen Weg, der LKW füllt den kompletten Weg aus. Die Baumfäller fragen mich, wo ich denn hinwill, mit so viel Gepäck. Ich sage, dass ich nach Lissabon radle und dies gerade mein erster Tag sei. Sie lachen. Sie glauben mir nicht, es ist ein freundliches Geplänkel. Als ich im Hotel ankomme, hat es bereits aufgehört zu regnen, aber nun ist es schon gebucht. So übernachte ich die erste Nacht im Hotel.
Bild: Das Märchenschloss Neuschwanstein als Versprechen für die Fahrt
Bei der Weiterfahrt Richtung Alpen fällt mir sofort der große Unterschied zur Stadt auf. Auf einmal tanke ich frische Luft, sehe die grünen Wiesen, durchfahre kleine Dörfer. Welch ein Unterschied zur Isar in München, wo es zwar auch grün ist, die Stadtluft sich aber nicht verleugnen lässt.
Die Landschaften, die kleinen Hügel, das Grün, die Fahrradwege, auf denen ich mich allein befinde, die kleinen Wälder (mehr lässt die Landwirtschaft heute nicht mehr übrig), die kleinen Dörfer mit ihren typischen kleinen Geschäften und Dorfkneipen; fast jedes Haus hat einen Vorgarten, ein angenehmes Radfahr-Wetter um die 25 Grad, hinterlassen starke Eindrücke. Ja, ich radle durch Oberbayern Richtung Berge. Das gibt mir ein neues Gefühl, ein Gefühl, jetzt ein halbes Jahr vor mir zu haben, das mich Großstadtmenschen zu einem Menschen der Landschaft und Natur machen wird. Was wird mich erwarten? Das Gepäck wiegt 24 Kilogramm, das Lenkverhalten des Fahrrads ist durch die zwei Taschen vorne mit je drei Kilogramm verändert und etwas instabiler. Habe ich mich richtig vorbereitet? Hält das Fahrrad? Habe ich etwas Entscheidendes vergessen mitzunehmen?
Meine Route führt durch Wald- und Wiesenwege am Alpenrand entlang am Bannwaldsee, vorbei an den Schlössern Neuschwanstein und Hohenschwangau, Füssen und Niedersonthofen. Die Wiesen sind durchwegs gelb, der Löwenzahn blüht. Das schöne Wetter weckt frühlingshafte Glücksgefühle, auch wenn die Strecken zum Teil anstrengend zu fahren sind.
Im Wald fliegt ein Zitronenfalter eine Zeitlang vor dem Fahrradlicht mit und ist lustig angeleuchtet. Ich bin also nicht allein.
Nach Niedersonthofen ist Schieben angesagt, es ist zu steil mit dem Gepäck (ab elf Prozent Steigung), ich bin auf über 1200 Metern Höhe und die Schneegrenze ist nicht weit. Plötzlich endet die Wegführung meiner Fahrrad-App. Der vermeintliche Fahrradweg ist inzwischen eine Wiese. Ich fahre langsam durch die Grasstoppeln. Glücklicherweise ist 100 Meter weiter wieder ein befahrbarer Feldweg, es geht weiter.
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