Ich habe es tatsächlich getan und habe ihn angerufen! Wir verabreden uns zum Essen und als ich ihn sehe, stockt mir fast der Atem. Er sieht so unglaublich gut aus, viel besser noch, als gestern und allein wie er da vor mir steht, so selbstbewusst und überlegen wirkend, lässt mein Herz rasend schneller schlagen. Maxim sieht mich in diesem Moment ebenfalls, lächelt mir zu und ich gehe schnell auf ihn zu, würde ihm am liebsten um den Hals fallen, vor Freude ihn wiederzusehen. Dieser Blick, mit dem er mich ansieht und mustert, geht mir sofort tief unter die Haut und ich kann ihm nicht länger Widerstand leisten. Wie von selbst senken sich meine Augen vor ihm, um ihm damit zu signalisieren, dass ich ihn als den dominanteren von uns, anerkenne. Er reicht mir seine Hand und ich würde am liebsten vor ihm niederknien, als ich sie schüchtern ergreife. Was für ein Händedruck! Ich habe mich also nicht getäuscht, er ist ein echtes Alpha und ich weiß im Moment gar nicht, wie mir geschieht. Mein Kopf ist wie leergefegt, genau wie mein Magen, der sich plötzlich laut knurrend meldet und mir klarmacht, dass ich unbedingt etwas zu essen brauche. Wir betreten das Lokal, bestellen rasch unsere Essen, ich muss gar nicht lange überlegen, weil ich hier meistens immer das Gleiche bestelle, nämlich gebratene Ente und wir stellen amüsiert fest, dass er genau dasselbe ausgesucht hat. Wenn das kein Zufall ist! Damit ist der erste Damm gebrochen und wir unterhalten uns prächtig, dabei lasse ich ihn die meiste Zeit reden, so wie es sich gehört und ich es inzwischen gewöhnt bin. Auch wenn ich mit einem Kunden ausgehe, ist es so und ich habe gelernt, ein guter Zuhörer zu sein, doch dann fragt er mich plötzlich etwas über meinen Vater. Häh? Ach so, gestern, er meint Eduard! Scheiße! Und jetzt? Was sage ich jetzt? Wer er in Wirklichkeit ist? Nein, bloß nicht! Maxim würde sofort aufstehen und gehen, dass weiß ich! Ich möchte aber nicht, dass er geht, nicht heute, nicht jetzt! Möchte einfach einmal, ein paar schöne Stunden erleben, nur für mich und für meinen Geburtstag und so beschließe ich, es ihm nicht zu sagen. Jedenfalls nicht heute! Wir unterhalten uns weiter und wieder fragt er mich etwas über meine Eltern. Ich bin einen Momentlang völlig verwirrt, weiß einfach nicht, was ich antworten soll und trinke erst einmal von meinem Weizen. Mmmh, das tut gut. Oh, das Essen kommt, so ein Glück! Genau zum richtigen Augenblick! Mann, habe ich Kohldampf! Sofort stürze ich mich auf meine Ente und danach fühle ich mich wie neugeboren! Morgen muss ich unbedingt einkaufen gehen, sonst verhungere ich noch, denn ich habe heute unser letztes Essbares Alex überlassen. Habe ihm Rühreier gemacht, dazu die letzten drei Toastscheiben und am Abend hat er noch die zwei Becher Milchreis verdrückt, die noch im Kühlschrank waren. Ich wollte ja Pizza bestellen, aber heute ist wieder einer dieser schlechteren Tage, an denen er alles ablehnt, was außerhalb seines inneren Planes verläuft. Er war den ganzen Tag schlecht gelaunt, zickig und bockig, so als würde er spüren, dass ich etwas vorhatte. Doch dieses Mal blieb ich stur, wollte einmal, nur einmal, etwas für mich und auch wenn es mich innerlich zerriss und ich nun natürlich ein schlechtes Gewissen deshalb habe, ließ ich ihn einfach allein. Ich habe ihn angelogen und gesagt, dass ich arbeiten müsse. Natürlich weiß er nicht, was ich arbeite, aber er ist daran gewöhnt, dass ich spontan das Haus verlassen muss, wenn ich von meiner Agentur eine Buchung bekomme. Dann setze ich ihn vor unseren riesigen Flatline Fernseher und lasse ihn mit unserer PS 4 spielen. Alex liebt diese Spielekonsole und ich weiß, dass er nicht eher damit aufhört, irgendwelche Alienballerspiele zu zocken, bis ich wieder zu Hause bin. Eine Tüte Chips und PS 4, der beste Babysitter, den ich mir denken kann! Maxim redet derweil weiter, erzählt mir von sich und Lena und sogar von seinen bisherigen Partnern und ich höre ihm wie gebannt zu. Immer wieder schweifen meine Gedanken dabei ab und ich stelle mir vor, wie es wäre, eine richtige Beziehung zu haben. Vielleicht sogar mit ihm, male mir aus, wie es wäre, wenn ich ihm das mit Alex erzählen würde und er Verständnis dafür hätte. Ich sehe uns drei zusammensitzen, Alex spielt glücklich vor sich hin und Maxim sieht mich verliebt an. Er hält mich im Arm, ich lehne mich an ihn und weiß, dass jetzt endlich alles gut werden wird. Dass es nur noch ihn in meinem Leben gibt und er für uns sorgt. Dann, ganz plötzlich, zerplatzt die Seifenblase und ich sehe wieder nur die Wirklichkeit. Ich werde niemals dieses Leben haben! Denn Alex steht an erster Stelle und ich muss mich um ihn kümmern, so wie ich es Mama an ihrem Grab geschworen habe. Wir beschließen, nach dem Essen noch ein wenig spazieren zu gehen und es ist einfach nur wunderschön, zwischen uns. Als wir draußen sind, bleibe ich kurz stehen und küsse ihn einfach. Ganz schnell und bevor er überhaupt begreift, was geschehen ist, ziehe ich ihn weiter, weg von den Leuten um uns herum und hinein in eine der stilleren Seitengassen. Da stehen wir nun, er kommt näher und dann, küsst er mich. Ich könnte heulen, vor Glück, schmelze förmlich dahin unter seinen wunderbar sanften Küssen, er schmeckt so gut, hm, immer noch nach chinesischem Essen und erst sein Duft! Ich bin wie benebelt davon und weiß in diesem Augenblick genau, dass er es ist! Ja, genau so, muss er riechen und schmecken, mein Traummann! So unglaublich männlich intensiv, nicht nach teurem Parfüm, wie viele meiner Kunden. Maxim riecht anders, irgendwie pur, wie frisches Quellwasser mit einer Spur von herber Waldluft, nach Natur, würzig wie frisches Heu oder Kräuter der Provence! Mmmh! Ich inhaliere förmlich seinen Duft, kann gar nicht genug von ihm bekommen, er schiebt plötzlich seine Hand unter mein Shirt, streichelt mich, fährt dann tiefer und seine Finger gleiten in meinen Hosenbund. Ich weiß selbst nicht, was auf einmal mit mir los ist, aber ich schrecke zurück. Er wirkt verwirrt, lässt mich sofort los und macht einen Schritt rückwärts. Ich versuche mich irgendwie herauszureden, fasle etwas von tut mir leid, bitte entschuldige und er? Er ist einfach nur verständnisvoll, nimmt mich sogar nochmals in den Arm und ich halte es kaum noch aus. Was bin ich nur für ein verdammtes Miststück, ein elender Heuchler! Wenn er wüsste, was ich wirklich bin, dann würde er sicher nicht so reagieren! Wenn er wüsste, wie viele Schwänze ich schon gelutscht habe, dann würde er mich nur von sich stoßen, angewidert von mir! Jetzt sagt er auch noch, dass es seine Schuld wäre, er entschuldigt sich bei mir! Ganz sanft, zieht er mich wieder zurück, auf die Hauptstraße. Wir spazieren noch ein wenig herum und mir wird klar, dass ich es nicht kann. Ich kann diesen wundervollen Menschen nicht länger anlügen und ihm etwas vormachen, doch dann sieht er mich wieder auf diese wundervolle Weise an. Ich beiße mir auf die Unterlippe, um nicht loszuheulen und frage ihn tatsächlich, ob er mich wiedersehen möchte. Er sagt ja! Ich küsse ihn, springe ihm geradezu an den Hals und renne dann einfach davon. Dabei weiß ich genau, dass ich ihn nicht wiedersehen werde, denn ich werde ihn nicht wieder anrufen, er ist mir zu wichtig.
Es ist Mittwoch und ich habe kurzfristig einen Auftrag angenommen. Hartmut Borchert, ein Ex-Fußballprofi und nun auf dem besten Wege Trainer einer Jungendmannschaft zu werden, hat mich gebucht. Ich kenne ihn, er nimmt meine Dienste öfter in Anspruch und natürlich, darf niemand von seiner homosexuellen Neigung erfahren. Deshalb treffe ich ihn grundsätzlich bei ihm zu Hause, vormittags, so als wäre ich einfach einer seiner jungen Spieler, der ganz unverfänglich zu Besuch kommt. Ich mag ihn, er ist nett und freundlich, einfach ein netter Typ und manchmal tut er mir echt leid. Wieso kann er nicht einfach zu seiner Homosexualität stehen? Mann, wir leben im 21. Jahrhundert! Und doch gilt es in manchen Berufen noch immer als absolutes No-Go, sich zu outen. Er sieht wirklich gut aus, ist vom Aussehen her eigentlich voll mein Typ, aber irgendwie stimmt die Chemie zwischen uns nicht, denn er hat eben nicht das, wonach ich mich insgeheim sehne. Nach einer schnellen Nummer ist alles vorbei, ich kassiere mein Geld und bin weg. Das Taxi wartet schon, ich steige ein und fahre wieder nach Hause. Alex ist noch nicht von der Schule zurück und so kann ich mich noch ein wenig meinen unerfüllten Träumereien hingeben, als plötzlich mein Handy klingelt. Es ist Maxim, wie ich im Display erkenne und ich weiß wirklich nicht, was ich tun soll. Soll ich rangehen? Lieber nicht, besonders nach unserem letzten Telefonat. Er hat mich am Montag angerufen und wir haben uns gestritten. Eigentlich sollte ich ihn fairerweise einfach ignorieren und seine Nummer löschen, doch dann, ich kann nicht anders, gehe ich doch ran. Mann, ist der sauer! Und das macht mich total an! Die Art, wie er mit mir spricht, mich zusammenstaucht und beherrscht, ich kann einfach nicht anders, als schließlich irgendwelche Geschichten zu erfinden. Ich lüge ihn an, dass sich die Balken biegen und fühle mich so schlecht dabei, dass ich über mich selbst kotzen könnte und doch willige ich ein, mich erneut mit ihm zu treffen. Natürlich schaffe ich es nicht, pünktlich zu sein. Alex kam von der Schule und wollte die Tiefkühlpizza nicht essen, die ich für ihn zubereitet hatte. Anscheinend hat ihn mal wieder die Anzahl oder Anordnung der Champignons nicht gefallen. Das kommt öfter vor, wenn ihm irgendetwas nicht passt, fängt er an zu zicken und weigert sich zu essen. Ich bin beinahe durchgedreht, habe ihn angeschrien, habe wütend die Pizza weggeworfen und ihn einfach in der Küche sitzen lassen. Eine halbe Stunde später, habe ich eine neue, die er vorher eingehend untersucht und schließlich für gut genug befunden hatte, für ihn in den Ofen geschoben und er war wieder glücklich. Solche Tage machen mich fix und fertig und manchmal überlege ich mir dann ernsthaft, ob oder wie lange, ich das noch aushalte. Maxim steht wartend da, sieht ziemlich genervt aus und ich denke für einen Augenblick, ob es nicht einfach besser wäre, wieder umzudrehen. Doch als er mich lächelnd ansieht, bin ich wieder mal hin und weg, von seiner Präsenz. Er sieht umwerfend cool heute aus und macht lässig ein paar Schritte auf mich zu. Jetzt gibt es kein Halten mehr, für mich und ich renne beinahe zu ihm hin. Ich stammle irgendeinen Mist, entschuldige mich für mein Zuspätkommen und was macht er? Winkt einfach nur ab, legt wie selbstverständlich einen Arm um meine Schultern und führt mich ganz souverän zu den Tischen hinüber. Wir setzen uns und er fragt mich, was ich denn für ein Problem hätte. Ich sitze da und kann ihm einfach nicht antworten, was denn auch? Dieser Mann ist ein absolutes Phänomen für mich, hat scheinbar für alles Verständnis und was tue ich? Ich tische ihm weitere Lügen auf! Wieder einmal belüge ich ihn aufs Unverschämteste und er hört mir geduldig und voller Mitgefühl dabei zu. Als er dann noch meine Hand ergreift, kann ich schlichtweg nicht mehr und bin wirklich kurz davor, einfach wegzurennen. Plötzlich breche ich regelrecht zusammen, die letzten Tage, beziehungsweise Nächte, kommen wieder in mir hoch und ich fange tatsächlich an zu heulen. So eine Scheiße! Ich kann einfach nicht mehr, weine wie ein kleines Kind los, er kommt sofort um den Tisch herum, setzt sich zu mir und nimmt mich in seine wundervollen, starken Arme. Ich lehne mich an ihn, lasse mich regelrecht gehen, für einen Moment und will nur noch weg. Er bringt mich zu sich nach Hause, mit einem Taxi fahren wir bis nach Unterhaching und dann sitzen wir in seinem Wohnzimmer. Maxim bringt mir eine große Tasse Pfefferminztee und wir sagen lange kein einziges Wort. Eigentlich wäre es jetzt an der Zeit, ihm alles zu erzählen, denke ich, doch meine Kehle ist wie zugeschnürt. Ich trinke meinen Tee und mir wird klar, dass ich das hier, dass ich ihn, nicht aufgeben möchte. Ich will ihn einfach nicht verlieren, möchte es einfach nur genießen, wenigstens eine kleine Weile lang, selbst wenn danach die ganze Welt zerbricht!
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