Barbara Kreuter - Augustes Rosen

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Augustes Rosen
Wilhelm Lenz übt schon in seiner Jugend bei Würfel- und Kartenspielen mit Zahlen. Er lernt eine entfernte Verwandte, Auguste, näher kennen. Unter ihrer Anleitung macht er bei Pferderennen beträchtliche Gewinne. Er entwickelt sich in der Beziehung zu Auguste, plant sein Leben und verwirklicht seine Träume.
Beide errechnen ihr Todesdatum, verlieren sich aus den Augen, sterben jeder für sich in dem Jahr, wie sie es vorausgesagt haben.
Die Liebe zu Augustes Rosen blieb erhalten. Die Rose gab seinem berühmten Garten den Namen. Sie trägt letzten Endes das Geheimnis in sich, wer vorgesehen ist, neuer Besitzer von Rosengarten zu werden.

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Augustes Rosen

Barbara Kreuter

Augustes Rosen

Wilhelm Lenz übt schon in seiner Jugend bei Würfel- und Kartenspielen mit Zahlen. Er lernt eine entfernte Verwandte, Auguste, näher kennen. Unter ihrer Anleitung macht er bei Pferderennen beträchtliche Gewinne. Er entwickelt sich in der Beziehung zu Auguste, plant sein Leben und verwirklicht seine Träume.

Beide errechnen ihr Todesdatum, verlieren sich aus den Augen, sterben jeder für sich in dem Jahr, wie sie es vorausgesagt haben.

Die Liebe zu Augustes Rosen blieb erhalten. Die Rose gab seinem berühmten Garten den Namen. Sie trägt letzten Endes das Geheimnis in sich, wer vorgesehen ist, neuer Besitzer von Rosengarten zu werden.

In Erinnerung an meine beiden Großmütter,

Auguste und Auguste

© Barbara Kreuter

Vorsehung

Ich durfte mich niederlegen,

musste allerdings meine Gedanken

nun auch himmelwärts schicken.

Körper ohne Gedanken

sind der Starre preisgegeben.

Der Tod ist sicher, nur die Stunde ist ungewiss.

Das Jahr war ihm bekannt. Wilhelm Lenz befand sich seit kurzem in dem Lebensjahr, das sein Sterbejahr sein sollte. Er fühlte sich nicht krank, war nicht ängstlich. Er beschäftigte sich auch nicht täglich mit dem Gedanken, traf jedoch Vorkehrungen. Ein paar Sachen sollten nach seinem Ableben mit seinem Einverständnis geschehen, der letzte Wille als Wille durchdacht dokumentiert sein.

Und dann kam der Tod. Nicht mit Blumenduft im Reisegepäck und alle andere Möglichkeiten ausschließend. Ganz einfach, schlicht, würde der Tod sagen. Bei einer Tetanusspritze machte sein Herz einen Sprung. Den Sprung ins Aus.

Tetanusspritzen sind harmlos, aber nicht, wenn sie zum vorbestimmten Zeitpunkt des Todes gegeben werden. Dies ist das Problem der Spritze, nicht des Todes.

Eines hatte sich Wilhelm Lenz vom Schicksal gewünscht - er wollte, wo auch immer, in adäquater Umgebung sterben.

In diesem Punkt war der Tod dann doch nachsichtig. Der Arzt wollte ihn privat besuchen und schlug vor, ihm die Spritze daheim zu geben. So starb Wilhelm Lenz im eigenen Haus mit Blick auf seinen wunderschönen Garten.

Demokratie beginnt beim Tod, er macht sie alle gleich.

Demokratie endet beim Tod, er verweigert uns den freien Willen, ihm zu folgen oder nicht.

Wilma bog in das Parkgelände vor dem Friedhof ein. Sie stellte fest, sie hatte die Blumen vergessen. Gelbe Rosen hatte sie gekauft, und zu Hause am Tisch liegenlassen. Ohne viel Grün. Nur kleine Rosen, kurz geschnitten. Onkel Wilhelm hatte immer einen Strauß haben wollen, kein Gesteck. Hohe, schmale Vasen waren ihm zu unsicher. Sie haben keine Plattform, hatte er ihr einmal erklärt. Seitdem kam ihr jede schlanke, hohe Vase verdächtig vor. Als Vase, die Formschönheit blieb für sie erhalten.

Sie befürchtete, keinen Parkplatz zu finden. Mit Erleichterung sah sie in der letzten Reihe eine Lücke, und fuhr darauf zu. Sie bemerkte, die anderen Trauergäste waren auch erst aus dem Auto gestiegen, um sich auf den Weg zur Friedhofskirche zu machen.

Ohne jemand näher anzusehen, mischte Wilma sich unter die Menschen. Auf Beerdigung war sie noch nicht richtig eingestimmt. Sie hörte die letzten Klänge der Kirchenglocke. Friedhofsglocken hatten für sie immer so einen spärlichen Klang. Es lag wohl daran, dass die Kirchen kleiner, die Türme nicht so hoch, und selbstredend die Glocken nicht so groß waren. Sie erinnerte sich, sie war erst vor kurzem von jemand darauf hingewiesen worden, dass die Totenglocken in großen Kirchen auch unverwechselbar klangen. Sie wären höher eingestimmt.

Abschied von Onkel Wilhelm - so schnell und völlig unerwartet hatte niemand daran gedacht. Beerdigungen sind nur Formsache. Abschied ist, aus den Gedanken verlieren. Sie konnte sich im Augenblick nicht erinnern, wer es gesagt hatte. Sie meinte, dass Abschiede oftmals Formsache seien, und eine Beerdigung letzten Endes doch ein Abschied für immer ist. Dieses Nachher und Wiedertreffen - es war nicht zu beweisen. Und selbst wenn man daran glaubte, es dauerte so lange, bis zum nächsten Leben. Man erkannte sich dann nicht wieder. Wusste nicht, dass da ein Mensch ist, den man vielleicht einmal geliebt hatte. Wenn es eine Wiedergeburt überhaupt gab. Ein Vergleich gefiel ihr, Seelen, die sich schon mal begegnet waren, würden sich zärtlich berühren, wie mit den Fingerspitzen streicheln. Fingerspuren der Seele. Ob es so etwas tatsächlich gab? Den Seelen würde es dabei gut gehen. Liebe? Liebe der Seelen, die Körper suchen?

Sie schaute auf die dunkelgekleideten Menschen und stellte fest, ein Großteil von ihnen hielt einen kleinen Blumenstrauß in den Händen. Sie dachte an ihre Rosen. Ein paar der Männer hatten drei Rosen bei sich. Drei Rosen, lose, nicht mit Grün zu einem Strauß gebunden. Wilma wunderte sich darüber, etwas sehr schlicht. Sie sah sich um, bemerkte, dass mehrere Männer das gleiche Arrangement gewählt hatten. Nur Männer, keine Frauen. Es war immer eine weiße, rosa und dunkelrote Rose.

Der Rosen Duft verflüchtigt sich in der Vase – stündlich.

Ein junger Mann, der den Weg, der von rechts auf den Hauptweg einbog, hastig entlangkam, hatte auch Rosen in der Hand. Wilma sah es, als er ein paar Schritte neben ihr lief. Er trug einen schwarzen Popelinmantel und knöpfte ihn erst jetzt beim langsameren Gehen zu. Er war ihr in der Menge der Menschen aufgefallen. Sie hatte sich für einen Augenblick umgedreht und ihn kommen sehen. Er hatte beim schnellen Laufen, mit dem offenen dunklen Mantel, wie ein Rabenvogel, der mit schlagenden Flügeln Anlauf nimmt, ausgesehen. Jetzt, da er in normalem Schrittempo neben ihr ging, kam er ihr gutaussehend vor. Für diesen kurzen Augenblick beobachtete sie ihn von der Seite. Er schien niemand zu beachten. Wilma liebte Raben. Krähen, wie immer sie auch genau zu bezeichnen waren. Ihren Start, ihre Landung. Wenn sie sich mit ausgebreiteten Flügeln sonnten. Wie es Amseln auch unglaublich lange tun. Bei den Raben sah es imposanter aus. Raben gehörten hier nicht her. Es fehlte noch, dass ein paar Krähen herumfliegen würden. Es würde als schlechtes Omen gedeutet werden.

Und doch war einer explizit unter ihnen, der dem Toten als nächster folgen würde. Es wird für ihn gebetet.

Die Großzügigkeit des Todes ist es, dass er ein Geheimnis um sein Kommen macht.

Sie spürte ein leichtes Kribbeln um den Magen. Sie kannte so etwas nicht. Mutter hatte ihr manchmal davon erzählt. Wie es ihr in jungen Jahren ergangen war. Sie konnte sich das Kribbeln nicht erklären. Herzklopfen war es nicht. Das Gefühl war ihr neu. Sie fühlte sich für einen Augenblick unglaublich wohl. Als hätte sie diese Situation schon einmal erlebt.

Das Areal vor der Friedhofskirche war mit Menschen überfüllt, sie hatten im Innenraum keinen Platz gefunden. In kleinen Gruppen standen sie beieinander und unterhielten sich leise. Wilma ging an ihnen vorbei. Sie hatte ihren Schritt verlangsamt, bemerkte, wie sie bewusst angeschaut wurde. Automatisch zog sie ihre Schultern nach hinten. Denk an deine Haltung, hatte Mutter immer gesagt. Ein schmaler Gang zur Kirchentür hin, war frei geblieben.

Charlotte, Sebastian und Thomas saßen bereits in der ersten Reihe. Sie hatten Frau Zeise, die langjährige Haushälterin von Onkel Wilhelm, in ihre Mitte genommen. In den anderen reservierten Bänken saßen ebenfalls geladene Gäste. Auch ehemalige leitende Angestellte der Firma und die engsten Freunde von Wilhelm Lenz. Wilma war langsam den Mittelgang vorgegangen. Mit einer knappen Kniebeuge zum Altar hin schlüpfte sie in die Bank. Sie schaute den anderen kurz in die Augen und flüsterte entschuldigend: „Stau“. Sie nickten. Charlotte sah ihr gerade in die Augen. Für Wilma konnte niemand so kommentarlos, und zugleich treffend wie ihre Cousine schauen. Völlig ohne jeglichen Gedanken zeigend. Sie schaut steril, dachte sie jedes Mal. Sebastian zwinkerte ihr wohlwollend zu, und Thomas zog die Brauen hoch. Thomas zog bei der geringsten Gelegenheit die Brauen nach oben. Seine Brauen waren mittlerweile geformt, so erschien es ihr. Er hob ein bisschen seine Hand. Das Kribbeln im Bauch war verschwunden.

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