So ging der reale Martin zur Bar hinüber, füllte einen lange Jahre gealterten Whisky ins Glas und ließ zwei Eiswürfel in die Flüssigkeit gleiten.
„On the rocks! So wie ich es liebe!“ sagte er und hielt nun ebenfalls amüsiert lächelnd seinem Zwilling das Glas entgegen. „Also gut, genieße deinen Moment, aber nicht zu lange. Ich habe viel zu tun. Daher schlürfe deinen Drink und kläre mich über deine Pläne auf.“
Dann nahmen zunächst er und dann sein geheimer Ratgeber auf dem breiten Sofa Platz. Der imaginäre Martin Smith sah seinem Ich fest in die Augen.
„Ich weiß, dass ich dir nicht sehr sympathisch bin, und kann dies ehrlich gesagt auch verstehen. Ich bin eben der intelligentere, wenn auch bösere Teil deiner selbst. Du allein bist einfach nur ein skrupelloser Geschäftsmann. Ohne mich wärst du ein Niemand, ein Nichts. Dessen bist du dir bewusst und kannst es nicht ertragen.“
„Nun übertreibe aber nicht! Dass du der bösere Teil von uns beiden bist, daran besteht kein Zweifel. Ich würde sogar behaupten, dass du in den letzten Monaten noch bösartiger geworden bist und noch heimtückischere Gedankengänge verfolgst ... falls dies überhaupt möglich ist“, setzte er mit einem sarkastischen Lächeln hinzu. „Jedenfalls habe ich auch ohne deine Mithilfe manch brillante Idee ersonnen, mein Lieber!“
„Ha, ha, ha ... aber natürlich, klar doch!“ Das zweite Ich konnte von Lachanfällen geschüttelt kaum weitersprechen. „ ... ha, ha, ha, zum Beispiel als du diese Derivate erworben hast, die, falls ich dir nicht rechtzeitig geraten hätte, sie wieder los zu werden, uns in den Ruin geführt hätten!“
Der wahre Smith begann nervös auf dem Sofa hin und her zu rutschen.
„Mir waren eben falsche Informationen weitergeleitet worden ... ganz einfach ... aber wenn du dich noch erinnern kannst, habe ICH das Problem gelöst!“
„Ja, ja“, antwortete sein irrealer Zwilling zwischen den letzten Lachattacken, „damals hast du wirklich deine wahren Fähigkeiten gezeigt. Es ist dir in der Tat gelungen, den Argentiniern deine miesen Derivate anzudrehen. Das müssen die Armen heute noch ausbaden!“ Dann erhob sich die Vision und ging ans Fenster. „Aber mit den Optionsscheinen der Tecom Aktie hast du die richtige Wahl getroffen. Besser konntest du das Geld, das dir Omnivi zur Realisierung des Projektes zur Verfügung gestellt hat, nicht anlegen. Das scheinbar riskante Geschäft ist durch die Tatsache, dass du bereits den Ausgang des Experimentes kennst, die beste Geldanlage überhaupt geworden. Und dadurch dass du deine lieben Kunden und Investoren vom Gegenteil überzeugt hast, wird sich der Gewinn noch erhöhen“.
Der Martin aus Fleisch und Blut erhob sich, in seinem Vorhaben bestärkt und von seinen bereits getroffenen Entscheidungen überzeugt, aus dem Sofa und stellte sich neben das von ihm geschaffene Abbild.
„So ist es, mein Lieber. Unser Plan ist perfekt. In wenigen Tagen können wir zur Kasse schreiten und dann gehört der Erdball mir!“
„Wie bereits gesagt: für wie viele Jahre? Zehn, zwanzig, dreißig? Und danach? Ich würde mich nicht auf die Erde beschränken, wenn mir das Universum zu Füßen liegen könnte!“ warf die Erscheinung aufstachelnd ein und erzielte die gewünschte Reaktion.
Der Banker sah sein Gegenüber mit überraschtem Gesichtsausdruck an, sah dann jedoch auf die Uhr und sagte:
„Jetzt musst du aber gehen, ich habe eine Verabredung mit dem Wissenschaftler der Tecom!“
Und als Martin Smith erneut zur Seite blickte, war sein Zwilling bereits verschwunden.
Willis versuchte verzweifelt, irgendwo Halt zu finden, während der Boden unter seinen Füßen weg sackte, aber als er den amüsierten Gesichtsausdruck seiner Begleiter Gina und Jeff sah, überwand er schnell diesen Schreckmoment, den fast jeder Besucher durchlebte, wenn er zum ersten Mal die unterirdischen Räumlichkeiten von Ralph Kidman aufsuchte. Ginas Bruder hatte den Sitz seiner geheimen Organisation unterhalb einer verlassenen Tankstelle mitten in der Sandwüste Nevadas eingerichtet und dieser war nur über einen Aufzug zu erreichen, dessen Boden – der des ehemaligen Verkaufsraumes - beim Betätigen eines Schalters in die Tiefe sauste.
Im dritten Untergeschoss kam der Aufzug zum Stehen und die drei wurden von einem lachenden blonden Riesen in Empfang genommen.
„Guten Morgen Schwesterchen, hallo Jeff! Herzlich Willkommen, General! Was verschafft mir die Ehre eures Besuches?“
„Hallo Ralph, lange nicht gesehen. Unser letztes Treffen bei Exel liegt ein paar Wochen zurück“, begann Gina das Gespräch und gab ihrem großen Bruder einen flüchtigen Kuss auf die Wange. „Der Transport vor ein paar Tagen in die Area 51 war eine Falle, aber das hast du sicher schon von unseren Computerfreaks auf verschlüsselte Art und Weise erfahren.“
„Ja, Harry hat mich gestern informiert und sich entschuldigt, dass es den Dreien nicht gelungen ist, den klugen Schachzug unserer Gegner im Vorfeld aufzudecken. Aber Dexter muss zur Vorbereitung das übergeordnete Hypernet benutzt haben, welches die drei Jungs trotz ihrer überragenden IT Kenntnissen noch nicht geknackt haben.“ Dann drehte er sich zu Willis um. „Tut mir wirklich leid, aber die direkten Konsequenzen musstest du diesmal tragen. Hat der Präsident sehr getobt?“
„Wie immer, wenn ich etwas gegen Dexter und die Grauen unternehme“, seufzte der General. „Ich bin es gewohnt, seine Tiraden über mich ergehen zu lassen, angefangen von seinem Kindheitstraum über die Sterne auf der amerikanischen Fahne bis hin zur Kolonisierung des gesamten Weltalls durch die Amerikaner. Er
betrachtet die Grauen in der Area 51 als hilflose kleine Wesen, die auf seine Hilfe angewiesen sind, um ihr Raumschiff für die Rückreise in ihre Heimat in Schuss zu bringen, und sieht sie als Sprungbrett für die Verbreitung seiner Macht über die irdischen Grenzen hinaus. Früher oder später wird auch er erkennen, dass diese Außerirdischen sich schon lange seinem Einfluss entzogen haben und dank Dexters Hilfe in völliger Autonomie handeln.“ Willis war während seiner Ausführungen im Zimmer auf und ab gegangen und blieb nun direkt vor dem großen Blonden stehen. „Aber nun zu meinem Anliegen, Ralph. Sagt dir der Name Martin Smith etwas?“
„Martin Smith ...“ wiederholte Ralph Kidman und begann, in seinen Erinnerungen nach Informationen zu suchen. „... Martin Smith! Ist das nicht der bekannte Banker, der die Baseballmannschaft von Cincinnati sponsert?“
„Bingo, du hast also schon von ihm gehört?“
„Vor ein paar Jahren hatten wir den Verdacht, dass er an dem weltweiten Komplott von Omnivi, den wir zu verhindern suchen, beteiligt wäre, aber dann hat sich die Indizienkette als allzu lückenhaft dargestellt, so dass wir unsere Aufmerksamkeit auf andere Verdächtige gerichtet haben. War das ein Fehler?“ fragte Ralph und man sah ihm die Besorgnis an. „Oh Gott, bitte lass uns nicht zwei Jahre der falschen Fährte gefolgt sein. Wie kommst du auf Smith?“
Der General erzählte von der Aufzeichnung des Baseballspieles und zog das Foto aus der Tasche, auf dem Dexter und Smith zu sehen waren.
„Das darf nicht wahr sein! Dann war er doch unser Mann! Verdammter Mist!“ fluchte Ralph und schlug mit der flachen Hand auf seinen Schreibtisch.
„Beruhige dich, Ralph, wir müssen zunächst prüfen, ob es sich nicht um einen Zufall handelt“, versuchte Jeff seinen zukünftigen Schwager zu besänftigen.
„Das wären zu viele Zufälle auf einmal“, setzte der blonde Hüne niedergeschlagen entgegen. „Area 51, Graue, Dexter und mittendrin Martin Smith! Nein, da steckt sicher etwas dahinter und sicher nichts Gutes!“
„Dann lasst uns aufdecken, was in der Tat dahinter steckt!“ munterte Gina ihren Bruder auf. „Ich schaue in den Zeitungsarchiven nach, was ich Interessantes über den Herrn finde, unsere drei Hacker setzen wir auf den E-Mail Verkehr des Bankers an, Jeff, du überprüfst bitte, ob Smith noch eine weiße Weste hat und Willis sollte sich erkundigen, wie oft er in den letzten Monaten Kontakt zu Dexter aufgenommen hat. Für Exel, oder besser gesagt, für seine A rtificial Intelligence Ophelia sollte es ein Leichtes sein, möglichst viele Informationen über den Banker und seine Aktivitäten in allen Lebensbereichen ausfindig zu machen.“
Читать дальше