Die Wege des Glückes sind eben verschiedenartig und unergründlich!!
Der kalifornischen Südküste vorgelagert erhob sich eine Insel aus dem pazifischen Ozean, abseits der Schiffsrouten und dank ihrer kargen sturmgepeitschten Steilküste uninteressant für jeglichen Tourismus. Es war ein zirka drei Quadratkilometer kleiner felsiger Brocken, dessen hohe steile Klippen und die zahlreichen Steinbögen das Millionen von Jahre alte Resultat der tobenden Brandung waren. Auf vulkanischem Gestein wuchsen dichte Eukalyptuswälder durchsetzt von Baumsonnenblumen und einer Vielfalt sukkulenter Pflanzen, die in Spalten und Schluchten, entstanden durch die vielen Rinnsale, die sich schließlich in den Ozean ergossen, ihren Lebensplatz gefunden hatten.
Niemandem wäre in den Sinn gekommen, dass diese unattraktive, stürmische, oft nebelverhangene Insel von Menschen bewohnt wurde. Wobei der Begriff Mensch in diesem Falle etwas zu allgemein gehalten wäre, da es sich bei dem Inselbewohner um einen der bekanntesten und reichsten Bürger Kaliforniens handelte: Martin Smith. Er hatte dieses Plätzchen aus schwarzem Basalt, dessen Landesinnere, wenn man vom Luftweg absah, nur über eine einzige Bucht erreicht werden konnte, vor zwei Jahren erworben und versteckt zwischen den einheimischen Pflanzenarten seine zerklüftete aus Felsgestein in Felsgestein gemeißelte Ferienresidenz errichtet. Und so sehr man über den Sinn und Zweck eines solchen Domizils streiten konnte, eines konnte man Herrn Smith nicht absprechen: seinen guten Geschmack beim Bau dieses riesigen Anwesens. Die exklusive Luxus-Villa passte sich dank des besonderen architektonischen Designs übergangslos in die zerklüfteten mit grünen Exoten durchsetzten Felswände ein und schien wie ein Chamäleon eventuellen Beobachtern aus der Luft keinerlei Anhaltspunkt für ihre Existenz zu bieten.
Und dies nicht so sehr aufgrund Martin Smiths Respekts gegenüber der Natur, sondern eher um die Neugierde etwaiger Schaulustiger vor eine große Herausforderung zu stellen. Denn das Letzte, was der Hausbesitzer momentan brauchen konnte, waren schaulustige und neugierige Inselbesucher.
Martin hatte es sich auf einem der vielen farbigen Sofas bequem gemacht, die den in Felsboden gemeißelten Wintergarten mit ihren bizarren Formen bereicherten und den zwar seltenen, aber ausgewählten Gästen zwischen exotischen Pflanzen und spielerisch plätschernden Wasserspielen gemütliche Sitzmöglichkeiten boten. Er schloss die Augen und seine Gedanken begannen um das Projekt seines Lebens zu kreisen oder besser gesagt, um das Projekt von Omnivi. Smith war vor zirka zehn Jahren Mitglied dieser geheimen Organisation geworden, nachdem ihn einer der mächtigsten Politiker Kaliforniens auf deren Existenz hingewiesen hatte. Es handelte sich um einen engen Kreis bedeutender und einflussreicher Männer, angefangen von Wissenschaftlern und Industriellen bis hin zu Bankern, Politikern und Angehörigen des Militärs, verstreut auf dem gesamten Erdball. Es waren Menschen, die höchste Positionen einnahmen und durch ihr Mitwirken versuchten, in den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen noch größeren Einfluss zu gewinnen, um „omni vi – mit aller Macht“ die Weltherrschaft an sich zu reißen. Wenn alles seinen Vorstellungen entsprechend verlief, würde er bald im Besitz einer unerschöpflichen und gleichzeitig kostengünstigen Energiequelle sein. Was konnte man heutzutage Besseres besitzen? Dann sollte Dexter mit seinen Grauen ruhig in dem wiederhergestellten Raumschiff ins Weltall starten und einen Planeten nach dem anderen kolonisieren. Ihm reichte die Erde!
Bei dieser Überlegung streckte er sich genüsslich zwischen den weichen Kissen des Sofas aus. Aber kaum wollte ein Teil seiner selbst sich dem Wonnegefühl der bevorstehenden Machtergreifung hingeben, meldete sich wie schon so oft in seinem Leben der andere Teil seines Ichs, der dunklere bösere Teil, der ihn zu weiteren bis ins kleinste Detail durchdachten Übeltaten aufforderte.
„Was machen deine Finanzgeschäfte?“ fragte ihn die perfide innere Stimme.
„Den Prognosen entsprechend“, antwortete Smith mit einem selbstzufriedenen Lächeln. „Hast du etwas anderes erwartet?“
„Nein, eigentlich nicht!“ lautete die Antwort, woraufhin das Lächeln des Bankers noch selbstgefälliger wurde, jedoch abrupt erlosch, als ein „ aber du verdienst viel mehr ...“ folgte.
Bei diesen Worten öffnete Martin Smith erstaunt die Augen. Die Stimme, die er kurz zuvor in seinem Inneren wahrgenommen hatte, personifizierte sich vor seinen Augen und erhob sich als zweiter Martin, um an die gegenüberliegende Fensterwand zu gehen und den aufgewühlten pazifischen Ozean zu betrachten.
„... viel mehr als du momentan besitzt. Warum sich zufriedengeben?“
„Mich zufriedengeben?“ fragte der wahre Smith und erhob sich ebenfalls. „Schau dich doch um“, fuhr er fort und zeigte mit ausladender Geste auf das herrliche Panorama, das sich ihnen bot. „All dies gehört mir! Und bald werde ich die gesamte Ökonomie dieses Planeten in meinen Händen halten und der bedeutendste Mann des Erdballs sein“, beendete er voller Stolz den Satz.
„Ja ... natürlich! Für wie viele Jahre? Zehn, zwanzig oder vielleicht sogar dreißig? Und danach?“ erwiderte sein Gegenüber und betrachtete ihn höhnisch lächelnd.
Smith konnte den ironischen Blick seiner selbst nicht ertragen, drehte sich abrupt um und ging einige Schritte ins Zimmer zurück.
„Danach? Was weiß ich, ich bin doch kein Hellseher“, setzte er das Gespräch mit sich selbst verärgert fort. Wie er diese Angewohnheit hasste, sein zweites Ich immer dann sichtbar zu machen, wenn er wichtige Entscheidungen treffen musste. Aber er musste zugeben, dass ihm die besten Ideen in vielen Situationen der letzten Jahre gerade von diesem andern Ich suggeriert worden waren. Bei seinem ersten Erscheinen hatte es ihm sogar das Leben gerettet. Nur zu gut konnte er sich an den glühend heißen Nachmittag erinnern, an dem er sich völlig verschwitzt seiner Kleider entledigt hatte, um am Rande seines Geburtsortes Abkühlung im klaren Wasser eines Flüsschens zu suchen. Und noch besser erinnerte er sich an den Moment, in dem die mörderischen Wirbel des Wasserstrudels ihn gefangen hielten und in die Tiefe zogen. Während er um sein Leben kämpfte, glaubte er sein zweites Ich ins Wasser springen und auf ihn zu schwimmen zu sehen. Dann verlor er das Bewusstsein. Als er wieder zu sich kam, lag er am steinigen Ufer, während ein Mann, der zufällig in der Nähe seine Angelrute ausgeworfen hatte, versuchte ihn wiederzubeleben. Damals war ein Artikel in der Zeitung erschienen, der seine Rettung als eine Art Wunder bezeichnete, da andere Personen an dieser Stelle des Flusses viel schlimmere Schicksale erlitten hatten. Aber all dies war niemandem bekannt und durfte auch niemals von jemandem in Erfahrung gebracht werden. Sonst würde man ihn für verrückt erklären!
Er kehrte an die riesige Glasscheibe zurück und atmete in tiefen Zügen die Meeresluft ein, die das Hightech Glas der letzten Generation trotz geschlossener Fenster ins Innere des Wintergartens strömen ließ.
„Raus mit der Sprache!“ forderte er seinen imaginären Gesprächspartner auf, jedoch ohne sich umzudrehen und dessen hämischen, boshaften Blick ertragen zu müssen. „Ich weiß, dass dir wieder irgendein seltsamer Gedanke im Kopf herumschwirrt. Daher schiebe es nicht auf die lange Bank, sondern sag es mir gleich!“
„Warum diese Eile! Lass mich die wenigen Momente, in denen du mich existieren lässt, bitte in Ruhe genießen. Du hast mir nicht einmal etwas zum Trinken angeboten. Soll ich das vielleicht als Beleidigung auffassen?“ fragte er herausfordernd und konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.
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