Bereits Anfang 1965 hatte der BMW-Generaldirektor bzw. Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Sonne gekündigt und war zum Kölner Maschinenbau-Unternehmen Klöckner-Humboldt-Deutz AG gewechselt. Als Nachfolger war der Rechtsanwalt Gerhard Wilcke, der seit 1960 dem BMW-Aufsichtsrat angehörte, erkoren worden. BMW wuchs weiter und schon Mitte der sechziger Jahre ließ sich die Produktion der »Neuen Klasse« nicht mehr im Münchner Stammwerk bewältigen – zu groß war die Nachfrage und zu lange mittlerweile die Lieferzeiten.
1965 beschloss Gerhard Wilcke daher, den Rest der Sparte Luftfahrttechnik von BMW an MAN abzustoßen und die Fertigungskapazität auf die Automobilsparte zu konzentrieren. Zudem wurde ein eigenständiger Slogan für BMW eingeführt, der zukünftig durchgängig verwendet werden sollte. Fortan wurde unter dem Motto »Aus Freude am Fahren« für die Automobile von BMW geworben.{18}
Auf der Suche nach weiteren Fertigungskapazitäten traf es sich gut, dass im Zuge der Wirtschaftskrise 1966 ein weiterer Wettbewerber in finanzielle Schieflage geraten war, noch dazu ganz in der Nähe: Glas in Dingolfing. Ähnlich wie Carl Friedrich Wilhelm Borgward hatte sich auch Firmenchef Hans Glas bei seiner Modellpolitik verzettelt. Begonnen hatte er mit seinen einst erfolgreichen Rollermobilen, so dem zweitaktenden Goggomobil. Doch seit einigen Jahren baute er parallel dazu sportliche Automobile mit Viertaktmotoren für die höheren Fahrzeugklassen. Dabei geriet die 1883 als Landmaschinenfabrik Glas gegründete Hans Glas GmbH in finanzielle Probleme, die durch das sportliche, von Pietro Frua gezeichnete Luxuscoupé Glas V8 (»Glaserati«) verstärkt wurden. 15.000 produzierte Glas-Automobile standen nun auf Halde.

Glas V8: Mit dem »Glaserati« gelang Hans Glas ein technisch und optisch bemerkenswertes Automobil. Allerdings trug der Luxuswagen erheblich zum finanziellen Kollaps des Unternehmens bei. (Bild: Berthold Werner / Wikimedia Commons)
Da Hans Glas die finanziellen Probleme nicht alleine bewältigen konnte, stimmte er der Übernahme durch BMW zu, die zum Jahreswechsel 1966/67 erfolgte. Auch hierbei war Paul Hahnemann die treibende Kraft, unterstützt von Franz Joseph Strauß, der mittlerweile Parteivorsitzender der CSU und Finanzminister im Bundeskabinett von Kurt Georg Kiesinger geworden war. Die beiden Glas-Werke in Landshut und Dingolfing sowie die 3.700 Angestellten arbeiteten zwar fortan für BMW, einige der Glas-Modelle liefen jedoch unter dem Markennamen »BMW-Glas« und mit BMW-Logo versehen vom Band. Die Landmaschinensparte von Glas ging 1969 an die Firma Eicher über. Ohne Zweifel – BMW ging aus der Krisenzeit 1966/67 als Gewinner hervor.

BMW 1600 GT: Der Glas 1700 war ein attraktives Coupé-Modell. Nach der Übernahme setzte BMW einen eigenen Motor unter die Haube und modernisierte die Technik. Als BMW 1600 GT wurde das Coupé bis 1968 gebaut. (Bild: Abehn / Wikimedia Commons)
1968 wurde für BMW ein besonderes Jahr, denn endlich war der Nachfolger des antiquierten »Barockengels« 501/502 fertiggestellt. Dieses neue Oberklassemodell (E3) sollte nicht nur gegen die KAD-Klasse (Kapitän, Admiral, Diplomat) aus Rüsselsheim, sondern gerade auch gegen die S-Klasse von Mercedes-Benz antreten. Eingeführt wurde das Modell in den zwei Hubraumvarianten BMW 2500 und BMW 2800, die beide mit einem Sechszylinder-Reihenmotor ausgerüstet waren. Mit diesen beiden Modellen verließ BMW mehr oder minder die bislang gepflegte Nischenpolitik. Schon im Dezember 1968 folgte eine elegante zweitürige Coupé-Variante (E9), die allerdings nicht bei BMW, sondern im Lohnauftrag bei Karmann im Werk Rheine gebaut wurde.

BMW 2500 / 2800: Eingeführt wurde das Modell (E3) in zwei Hubraumvarianten mit Sechszylinder-Reihenmotor. Im Dezember 1968 folgte die elegante zweitürige Coupé-Version (E9). (Bild: LUV106 / Wikimedia Commons)
Der Mut der Planer wurde belohnt, denn die beiden großen Modelle wurden vom Publikum gut aufgenommen und etablierten sich sofort. Tatsächlich gelang es, zahlreiche Kunden von Mercedes-Benz abzuwerben. Während bei einer groß angelegten Umfrage der Motor, die Bremsen und das Fahrwerk der BMW-Oberklassenfahrzeuge von den Käufern als beispielhaft gelobt wurden, beklagten viele Umsteiger von Mercedes-Benz jedoch die schlechtere Detailqualität der BMW-Modelle. Begrüßt wurde der geringe Durchschnittsverbrauch von 17 Litern auf 100 Kilometer.
Die Stärke von BMW zeigte sich nicht nur an der Zahl von 20.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von über 1 Milliarde DM (ca. 500 Millionen Euro), sondern ebenso in der Entscheidung für die eigene Mietwagengesellschaft BMW-Autovermietung GmbH, die 1969 unter dem Markennamen Rent a BMW auftrat. Die Stärke von BMW zeigte sich überdies im Bau eines neuen Hauptverwaltungsgebäudes in München. Aus Aluminium und Beton entstand seit 1968 am Petuelring ein aus vier Säulen bestehendes Bauwerk, das aufgrund seiner einzigartigen Konstruktion schon bald seinen Spitznamen weg hatte: Vierzylinder. Als Architekt war der Österreicher Karl Schwanzer gewonnen worden. Mit diesem ungewöhnlichen Gebäudekonzept hatte sich Paul Hahnemann gegen Herbert Quandt durchgesetzt, der eigentlich einen schlichteren Entwurf bevorzugt hatte. 1972, spätestens jedoch 1973 sollte das Gebäude fertiggestellt sein.
Wohl waren die vergangenen Jahre für BMW erfolgreich gewesen, trotzdem war BMW mit seinen 140.000 jährlich gebauten Autos ein vergleichsweise kleiner Hersteller geblieben. Gerade im Vergleich zu Mercedes-Benz oder VW stand die latente Gefahr im Raum, von den beiden Giganten verschluckt oder zerquetscht zu werden. Wie schnell das finanzielle Ende eines blühenden Unternehmens kommen konnte, zeigten drohend die beiden Beispiele Borgward und Glas. Die sich daraus ergebende Frage war, wie sich BMW in der Zukunft dagegen wappnen wollte. In der Nische bleiben? Die Produktpalette ausbauen? In die margenstärkere Oberklasse expandieren?
Auf die Übernahmegerüchte, die Hahnemanns Intimfeind Kurt Lotz, der Vorstandsvorsitzende von VW, gerne süffisant streute, antwortete Hahnemann einem Redakteur des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL: »Ich habe auch den Verdacht, zumal er schon manches Mal sagte, BMW würde in die Modell-Palette von VW passen. Ich meine, das Management von BMW ist klug genug, daß es rechtzeitig erfaßt, wann ein weiterer Schritt zu tun ist. Daß der aber „Aufgefressenwerden“ heißt, glaube ich nicht. Eher neigen wir im BMW-Management zu einer vernünftigen Kooperation, wie gemeinsamer Getriebebau, Entwicklung von Motoren und einer gemeinsamen Leistung für ein Sicherheits-Automobil.«{19}
Doch VW war für Paul Hahnemann nur ein Nebenkriegsschauplatz, denn seine Angriffe galten vor allem Mercedes-Benz. Hierbei ließ Hahnemann kaum eine Gelegenheit aus, um – mal mit dem Holzhammer und mal ganz subtil – gegen den Stuttgarter Wettbewerber zu schießen. Der Wirtschaftsjournalist Walter Junginger beschrieb Hahnemanns Taktik anschaulich: »Einerseits beteuerte er stereotyp, man wolle sich bei BMW modellpolitisch auf keinen Fall [...] mit Mercedes einlassen, andererseits schoß er zur eigenen Profilierung ständig verbale Breitseiten auf den vermeintlich gar nicht im Visier befindlichen Konkurrenten ab und goß Kübel voll Hohn und Spott über den vornehmen Stern.«{20}
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