
BMW »Neue Klasse«: Auf der IAA im Herbst 1961 zeigte BMW das neue Mittelklassemodell. Der BMW 1500 bildete die Grundlage für den Aufstieg des bayerischen Autobauers in die heutige Position als Global Player. (Bild: Michael H. / Wikimedia Commons)
Auf der IAA im Herbst 1961 zeigte BMW dann das neue Mittelklassemodell, den von Chefdesigner Wilhelm Hofmeister attraktiv proportionierten BMW 1500. Der vielzitierte Vorwurf, BMW baue nur »Autos für Bankdirektoren und Tagelöhner« war mit dieser sportlichen Mittelklasselimousine aus der Welt. Im Sommer 1962 sollte die neu konzipierte Stufenhecklimousine auf den Markt kommen. Obwohl der avisierte Verkaufspreis von 8.500 DM (ca. 4.200 Euro) nicht gehalten werden konnte und der BMW 1500 bis zum Serienbeginn rund 1.000 DM teurer wurde, übertraf er mit seinen Verkaufszahlen die in ihn gesetzten Erwartungen.
Der unter der Federführung von Alexander von Falkenhausen entwickelte Graugussmotor mit obenliegender Nockenwelle (M115, später M10) war eine völlige Neuentwicklung, die kompakt baute, wenig Gewicht auf die Waage brachte und zuverlässig funktionierte. Auch auf der Rennstrecke überzeugte der BMW 1500, wo er den Ruf der BMW-Motoreningenieure bestätigte. So bildete dieser in jeder Hinsicht gelungene Motor bis ins Jahr 1990 nicht nur die Basis für alle BMW-Vierzylindermotoren, sondern ebenso für den Formel-1-Turbomotor, mit dem BMW im Jahr 1983 die Formel-1-Weltmeisterschaft gewinnen sollte.
Bestätigend schreibt BMW hierzu: »Den endgültigen Durchbruch bringt ab 1961 die „Neue Klasse“: Der langersehnte Mittelklassewagen BMW 1500 überzeugt mit schnörkellosem Design, sportlichem Fahrverhalten und zahlreichen Motorvarianten. Als eines der ersten BMW Modelle weisen die Wagen der „Neuen Klasse“ den BMW typischen „Hofmeister-Knick“ in der C-Säule auf.«{12} Unbestritten ist: Neben dem BMW 700 markierte der BMW 1500 den Wendepunkt in der Geschichte von BMW. Er bildete nicht weniger als die Grundlage für den Aufstieg des bayerischen Autobauers in die heutige, technisch und finanziell gefestigte Position.
Bis 1962 baute der stark sehbehinderte Herbert Quandt seinen Kapitalanteil bei BMW von 17 auf über 40 Prozent aus. Ungewöhnlich für einen Großaktionär war sein weiteres Vorgehen: »Herbert Quandt zog es vor, im Hintergrund zu agieren. Er verzichtete darauf, selbst in den Aufsichtsrat einzutreten. Der Großaktionär nutzte aber sein Vorschlagsrecht, um beim Registergericht zwei Männer seines Vertrauens als Aufsichtsratsmitglieder eintragen zu lassen.«{13}
1962 wurde Karl-Heinz Sonne der neue Vorstandsvorsitzende von BMW. Der Verkaufserfolg des BMW 700 hielt an und der BMW 1500 war gut angelaufen. Das Jahr 1962 konnte so mit einer schwarzen Null abgeschlossen werden, und schon 1963 wurde erstmals wieder eine Dividende ausgezahlt.
Allerdings verlief die Produktion nicht reibungslos, denn die »wachsenden Fertigungszahlen gingen [...] mit einer zunehmenden Fehlerquote einher. Sie war auch auf die hohe Zahl ungelernter Arbeitskräfte und Gastarbeiter in der Fertigung zurückzuführen, die das Unternehmen für den zügigen Aufbau der Fertigung eingestellt hatte. [...] Weil die Zeit drängte, konnten sie erst beim Produktionsanlauf angelernt werden. Bald wurden die Mängel publik und drohten, dem Ruf des 1500 und von BMW insgesamt nachhaltig zu schaden. Also führte die Produktionsleitung ein mehrstufiges System der Qualitätsprüfung noch während der Fertigung ein. Bis Mitte 1963 gelang es dadurch, die Produktionsqualität der Autos sprunghaft zu verbessern.«{14}
»Nischen-Paule« lässt BMW wachsen
Ein bedeutender Anteil an diesem Erfolg kam dabei dem einstigen Freiburger Opel-Großhändler Paul Hahnemann zu, der bei BMW für eine rigide Qualitätskontrolle der produzierten Fahrzeuge sorgte. Hahnemann war seit Herbst 1961 im Vorstand der BMW AG in München-Milbertshofen für den Verkauf verantwortlich, wobei er mit zum Teil ungewöhnlichen Mitteln die Absatzzahlen in die Höhe trieb. Aufgrund einer nicht eingelösten Zusage des Vorstands der Daimler-Benz AG, ihm als erfolgreichem Marketingchef die Leitung der Tochtermarke Auto Union GmbH zu übertragen, war ihm zudem daran gelegen, BMW zukünftig stärker gegen den Stuttgarter Konzern zu positionieren.
Der selbstbewusste und dominant auftretende Hahnemann galt einerseits als hart in seinen Mitteln, andererseits agierte er psychologisch geschickt, um seine Ziel zu erreichen. Dies zeigte er bereits zu Beginn seiner Karriere bei BMW, wo der Hof voll mit 1.000 veralteten, unverkäuflichen BMW 700ern stand. Kein Händler wollte diese Fahrzeuge mehr abnehmen – schließlich stand das neue Modell 1500 bereits vor der Tür. Mit anderen Worten: Die auf Halde stehenden 700er galten als unverkäuflich.
BMW 2000 C, CA, CS: Ergänzend wurde im Sommer 1965 eine Coupé-Version der »Neuen Klasse« präsentiert, die in den Varianten C, CA und CS in Osnabrück bei Karmann gebaut wurde. (Bild: nakhon100 / Wikimedia Commons)
Hahnemann ließ daraufhin den schwächsten BMW-Importeur in Europa heraussuchen, der in Dänemark gefunden wurde. Genau dorthin schickte Hahnemann einen seiner Mitarbeiter, der ihm 40 der auf Halde stehenden BMW 700 verkaufen sollte. Wie zu erwarten, verweigerte der dänische Händler die Abnahme der 40 Fahrzeuge – worauf er von Hahnemann fristlos gekündigt wurde.
Der psychologische Effekt war enorm, denn die Kündigung des dänischen Händlers sprach sich in der BMW-Händlerschaft länderübergreifend herum. In einem nächsten Schritt bekamen nun alle Händler ein Kontingent der alten BMW 700er angeboten. Der Trick funktionierte, denn die eingeschüchterten Händler nahmen aus Angst vor einer Kündigung die ihnen zugeteilten Fahrzeuge an. Kurze Zeit später waren alle 1.000 Fahrzeuge abverkauft und der Hof leer.{15}
Doch Hahnemann arbeitete nicht nur mit Druck und Drohungen: »Einerseits zwang er die BMW-Händler mit Brachialgewalt, die auf Halde stehenden 700er abzunehmen, andererseits bezog er sie zum erstenmal in Planungen und Perspektiven des Werks mit ein, verhieß ihnen rosige Zeiten, wenn die neue Mittelklassegeneration erst in den Schaufenstern stünde, übertrug ihnen quasi Mitverantwortung, die schwierige Übergangszeit gemeinsam zu bewältigen. [...] Die Händler und Hahnemann, selbst ein alter Handelsmann, wurden eine verschworene Gemeinschaft.«{16}
Trotz der Anlaufschwierigkeiten war die Nachfrage nach dem BMW 1500 größer als die zur Verfügung stehende Fertigungskapazität. Vor allem der Motor begeisterte die Fachpresse und viele Kunden. Es zeigte sich, dass in diesem von Alexander von Falkenhausen, dem Leiter der BMW-Motorenentwicklung konzipierten Motor, ungeahnte Reserven schlummerten. Technisch konkreter ausgedrückt: Dieser Motor bildete die perfekte Grundlage für größere Hubräume und deutlich höhere Leistungen. 1964 wurde der BMW 1500 so durch den stärkeren BMW 1600 ersetzt, weitere Modelle mit einem Hubraum von 1.800 cm3 und 2.000 cm3 wurden daraus abgeleitet. Zum 1800er schrieb das Fachmagazin AUTO BILD im Rückblick: »Vergessen sind die Mißerfolge und gescheiterten Experimente mit den stolzen, aber unverkäuflichen Typen 501, 503, 507, der Flop des 600, die Notnagellösung mit der Isetta-BMW. Die ruhmreiche weißblaue Automobilfirma erhebt sich endlich wie Phönix aus der Asche [...].«{17}
Ergänzend wurde im Sommer 1965 eine Coupé-Version der »Neuen Klasse« präsentiert, die in Osnabrück bei Karmann gebaut werden sollte. 1966 folgten die zweitürigen »Null-Zwei«-Modelle, die das Programm nach unten abrundeten. Die von Wilhelm Hofmeister entworfene Karosserie wurde dabei nur wenig verändert, die Gesamtlänge reduzierte sich jedoch von 4.500 mm auf 4.230 mm. Mit dieser Modellpalette deckte Paul Hahnemann die Bedürfnisse eines breiten Publikums ab. Aus dieser Modellfülle resultierte schließlich auch der Beiname Hahnemanns, der von Franz Joseph Strauß augenzwinkernd als »Nischen-Paule« betitelt wurde.
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