„Unsere Liebe durfte nicht sein“, Akandra war wieder mit dem Theaterspielen an der Reihe, „deshalb sind wir fortgezogen und beginnen in der Fremde ein neues Leben."
Die Gestalten um sie herum lachten schallend.
„Ein ausgebüxtes Liebespärchen“, brüllte einer und schlug sich vor Vergnügen auf die Schenkel. „So irre wie die Zeiten, sind auch die Leute, die man trifft."
Der Große sagte nach einer Weile und schnappte dabei noch immer nach Luft vor Lachen: „Habt keine Angst und kommt mit. Ihr seid in Sicherheit. Wir gehören zwar nicht zusammen, sondern haben uns hier zufällig getroffen, aber beschlossen die Nacht gemeinsam zu verbringen. Wir sind eine handfeste Gruppe, und niemand wird es wagen, uns anzugreifen. Es gibt Bohnen mit Speck, und vielleicht habt auch ihr zu unserem Abendbrot etwas beizusteuern?"
Marc und Akandra atmeten auf. Durch ein glückliches Geschick durften sie sich auf eine ruhige Nacht freuen. Sie stapften tiefer in den Wald hinein. Dort brannte ein kleines Feuer. Ein spindeldürrer Kerl saß davor und rührte in einer großen Pfanne. Die Erits luden ihre Ponys ab und packten von ihren Vorräten aus. Dann sahen sie sich die Gesellschaft näher an, in die sie geraten waren.
Da waren der glatzköpfige Gnom mit seltsamen, spitzen Hüllen an seinen Fingern und der große Mensch, der Dürre am Feuer und ein weißhaariger Mann. Der trug seltsame lange Kleider, die mit einem Strick um seine Hüfte gegürtet waren. Außerdem hatten sich zwei Krieger am Feuer ausgestreckt. Sie trugen Rüstungen, waren schwer bewaffnet und machten keinerlei Anstalten, die eisernen Kettenhemden abzulegen. Zuletzt sahen sie noch einen jungen Mann mit einer Narrenkappe auf dem Kopf, der sich scheu in den Schatten eines Busches zurückgezogen hatte. Mit den Erits zusammen war die Gruppe neun Köpfe stark.
Nachdem die Männer über die Neuankömmlinge genug gelacht hatten, kümmerte sich keiner mehr um Marc und Akandra. Alle widmeten sich dem Essen. Die Bohnen waren zwar nur halb gar und versalzen, dennoch hallte das Lager von Schmatzen und Rülpsen wider. Auch die Erits lehnten schließlich satt und zufrieden an einem Baum, und die Augenlider wurden ihnen schwer. Sie waren beinahe eingeschlafen, als sich ein Schatten zwischen sie und das Feuer schob. Es war der junge Mann mit der seltsamen Kopfbedeckung, der geheimnisvoll flüsterte: „Meister Marc! Ich habe etwas, was ihr braucht. Was gebt ihr mir dafür?"
Schläfrig öffnete das Mädchen die Augen und antwortete an Stelle des Jungen: „Was bietest du uns an? Wir brauchen nichts!"
„Oh doch! Ihr wisst nur noch nicht, dass es so etwas gibt. Verliebte wie ihr brauchen so etwas ganz dringend, und ich habe es! Ich kann es euch günstig überlassen. Ich zahle dabei zwar drauf, aber eure Liebe rührt mich."
Neugierig geworden sagte Akandra: „Nun zeig' schon her!"
„Es ist ein wundersames Elixier“, wisperte der seltsame Kumpan. „Es ist unendlich wertvoll, ja, es ist eigentlich unbezahlbar."
Mit diesen Worten zog er ein kleines Fläschchen aus der Tasche und hielt es vorsichtig hoch, damit es die beiden im Schein des Feuers sehen konnten.
„Wozu soll es denn gut sein“, fragte das Mädchen amüsiert.
„Es wird eurer Liebe die Ewigkeit sichern."
„Sie muss aber gar nicht gesichert werden."
„Oh, sagt das nicht. Ich habe da andere Erfahrungen gemacht."
„Was bewirkt euer Elixier?"
„Wenn ihr es einnehmt, so bekommt ihr ganz rasch Kinder und zwar Knaben. Ihr habt dann ein Unterpfand eurer Liebe, und nichts wird euch mehr trennen." Die Worte des Mannes waren so leise geworden, dass man sie kaum noch verstehen konnte.
„Wer sagt dir, dass wir jetzt Kinder wollen?"
„Alle Liebenden wollen Kinder, und ich kann sie euch mit Garantie verschaffen. Ich überlasse euch das Elixier ganz billig. Ich selbst habe sehr viel dafür gezahlt."
„Und warum verkaufst du es dann?"
„Ich brauche es nicht mehr. Ich habe es zu spät bekommen."
Dann erzählte er die herzzerreißende Geschichte seiner großen Liebe, und wie das Glück zerbrach, weil keine Kinder kamen, und wie er sich auf die Suche nach einem Wundermittel gemacht hatte, das ihrer Not Abhilfe schaffen sollte. Er habe dann tief im Süden eine wundertätige Frau gefunden. Der habe er sein Leid geschildert. Sie habe ihm das Elixier verkauft, aber er habe als Bezahlung ein Jahr lang für sie arbeiten müssen. Als er endlich nach zwei Jahren Abwesenheit wieder nach Hause gekommen war, seien ihm zwei Kinder entgegengesprungen. Aus der Haustür sei ein fremder Mann getreten und habe ihn fortgejagt. Die Geliebte, für die er das alles auf sich genommen hatte, habe er nicht mehr zu Gesicht bekommen. Da habe er sich eine Narrenmütze aufgesetzt und sich auf den Weg in die Welt gemacht. Des Elixiers bedürfe er nun aus verständlichen Gründen nicht mehr, und wolle es deshalb den beiden Liebenden, die sein Herz erweicht hätten, günstig überlassen.
Marc war von der Geschichte gerührt und wollte den Wundertrank kaufen. Aber Akandra zischte ihm ins Ohr, dass er diesen Unfug nicht glauben solle. Der Junge beharrte auf seinem Entschluss, schon allein deshalb, weil er den Kauf eines derartigen Tranks für eine großartige Tarnung ihrer Liebesgeschichte hielt. Beinahe hätten sie sich gestritten, aber der junge Erit setzte sich durch. Er langte in seine Satteltasche, holte lässig ein Goldstück hervor und fragte: „Reicht dies?"
Der Mann war verwirrt über die reiche Entlohnung und stammelte immer wieder seinen Dank. Dann zog er sich rückwärts zurück, nicht ohne sich wiederholt zu verneigen. Akandra hatte der Szene unwillig zugesehen, aber nichts gesagt. Als sie jetzt aufblickte, bemerkte sie, dass die ganze Gesellschaft zu ihnen herübersah. Alle hatten den Vorfall mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Sie hätte Marc für sein unbedachtes Handeln ohrfeigen können. Als sie ihrem Begleiter ihre Beobachtung zuraunte, winkte der nur ab.
„Die haben nichts bemerkt“, sagte er beruhigend. „Die sind einfach nur neugierig, und wir gefallen ihnen. Man trifft eben selten Erits außerhalb des Heimlands. Kein Wunder, dass wir Aufmerksamkeit erregen. Warte nur ab, gleich kümmert sich keiner mehr um uns."
„Ich hoffe, du hast recht“, sagte Akandra düster.
Und tatsächlich entspann sich am Feuer gleich darauf ein Gespräch, das auch die Reisenden aus dem Heimland in seinen Bann zog.
„Das Essen hat gut getan“, sagte der große Mann. „Es ist heutzutage schwer, sich unterwegs zu ernähren. Diese verdammten Orokòr sind überall, und sie fressen alles kahl wie Heuschreckenschwärme. Wo einmal Orokòr durchgekommen sind, findest du keinen Krümel mehr. Die fressen jedes lebende Wesen im Umkreis von Meilen und das Korn sogar vom Halm. In den letzten Tagen musste ich auf ihrer Spur wandern und wäre beinahe verhungert. Es war verbranntes Land, durch das ich gekommen bin. Von jeder Siedlung, jedem Hof sah man nur noch rauchende Trümmer, alle Tiere waren geschlachtet und alles Wild erlegt oder vertrieben."
„Die Orokòr haben keine andere Wahl“, mischte sich der Weißhaarige in der seltsamen Kutte ein. „Sie werden in großer Truppenstärke ins Land geführt, aber nicht verpflegt. Ihre Oberen sind der Meinung, sie sollen für ihre Nahrung selbst sorgen; und das tun sie auch. Baut keinen Hass gegen die Orokòr auf, verständigt euch lieber mit ihnen!"
„Es sind Geschöpfe des Bösen. Eine Verständigung mit ihnen dürfte recht schwerfallen. Ich kenne niemanden, der bisher mit ihnen vernünftig reden konnte. Die meisten haben bei einer Begegnung mit ihnen ihr Leben verloren. Orokòr reden nämlich nicht lange, bevor sie morden."
„Das sind doch Gräuelmärchen! Es mag schon sein, dass sich die Orokòr hin und wieder so verhalten, aber doch nur, weil wir ihnen stets feindlich entgegentreten. Sie mussten sich immer ihrer Haut wehren. Es liegt an uns, dass kein Friede möglich ist!"
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