Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Frikadellen für Marrakesch
Stell dir vor, du lebst in einem fremden Land.
Stell dir vor, dort passiert dir Unaussprechliches. Langsam beginnst du, dich von diesem Trauma zu erholen. Und dann lernst du genau in dieser Zeit jemanden kennen – und die alten Wunden reißen wieder auf.
So erging es Susan, Autorin und Kolumnistin aus Deutschland, die ein überschaubares Leben in Marrakesch führte. Von einem Tag auf den anderen änderte sich für sie alles.
Als sie ein Jahr später Steve in ihrem Lieblingsclub trifft, muss sie Entscheidungen treffen. Entscheidungen, die keiner der beiden vorher geahnt hatte.
Hanna Jakobi ist ein Pseudonym
Hanna Jakobi
Frikadellen für Marrakesch
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.deabrufbar.
Impressum
© 2020 Hanna Jakobi
Verlag & Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH, Berlin
1. Auflage
Alle Rechte vorbehalten.
eFür Karin, Nicole und Birgit f
Vielen Dank für Eure Hilfe!
Kapitel 1
Susan stand vor dem Spiegel und versuchte zum xten Mal, einen vorzeigbaren Lidstrich unter ihr rechtes Auge zu ziehen. Wie lange war es her, als das selbstverständliche Handgriffe für sie waren? Sie erinnerte sich nicht. ›Sich anmalen‹, wie sie es nannte. Um solche Äußerlichkeiten bemühte sie sich nur, wenn es gar nicht anders ging.
Die Vorbereitung zu diesem Abend forderte ihr Überwindung ab. Ihre Arme waren längst wie Blei. Das Geschminke strengte sie an. Angezogen hatte sie sich auch noch nicht. Wirklich motiviert hätte man nichts an ihr nennen können.
Ihre Freunde, die Therapeutin und diese lästigen Stimmen in ihrem Kopf hatten ja recht: Sie durfte sich nicht immer einsperren. Es musste Schluss sein. Schluss mit dem Gefängnis, das sie sich selber baute.
Das Intercom neben der Vordertüre piepte. Mit einem halb angemalten Auge spurtete sie, in Unterwäsche, zur Sprechanlage.
»Wir – sind – es! Bist – du – fertig?«
Susan schüttelte grinsend den Kopf. Sigi brüllte jedes Wort einzeln! Dem ITler war das altertümliche Sprechdings suspekt! Sie konnte ihn vor ihrem inneren Auge sehen, wie er, den Hörer am Tor weit von sich gestreckt, versuchte, in die Muschel zu plärren. Auch ohne die Anlage hätte man jedes Wort bis zu ihr rauf verstanden.
Das Lachen war der Kick, den sie brauchte – Sie waren da! Ihre drei Chaotenfreunde warteten vor dem Tor auf sie!
»Gebt mir fünf Minuten!«
Sie wollte gerade auflegen, um ihr rechtes Auge fertig zu malen, als es in dem Kasten an der Wand noch einmal knackte.
»Können wir kurz rein?«
»Äh, nö, Yasid hat Hasan schon rausgelassen. Ich denke ihr wartet besser kurz vorm Tor.«
Sie steckte den Hörer auf die Halterung an der Wand und verschwand im Bad.
Kaum zehn Minuten später schnappte sie sich im Vorbeigehen Jacke und Tasche und flitzte, allerdings mit gebührender Vorsicht, die Vordertreppe hinunter.
Die Stufen hatten sich in den Jahrzehnten, die das Riad genutzt wurde, in der Mitte gesenkt. Wenn man nicht aufpasste, war man verdammt fix unten.
In dem engen Innenhof strahlte ihr abendliche Kühle entgegen. Hasan lag in seiner Ecke und kaute an einem Knochen. Sein beachtliches Gebiss hatte dem Teil gehörig zugesetzt. Als er Susan sah, sprang er auf und trabte auf sie zu. Hasan, ihr Wachhund – er war im Dienst.
Susan klopfte dem Mastiff auf die muskulöse Flanke. Hasan ließ sie gewähren, schaute kurz hechelnd zu ihr hoch.
»Alles klar«, sagten seine Augen, »ich pass’ auf dich auf, Susan!«
Sie war deutlich entspannter, seit das Tier bei ihnen lebte. Sie mochte Hunde, wenn auch nicht unbedingt Kampfhunde solchen Ausmaßes. Aber mit ihm kam sie sich beschützt vor, immerhin in den eigenen vier Wänden.
Nach dem Erlebnis vor inzwischen über einem Jahr hatte sie sich wochenlang nicht mehr vor die Türe getraut. Selbst in ihrer Wohnung im ersten Stock war sie kaum zur Ruhe gekommen. Nach Monaten mit Evas Hilfe, lief es inzwischen aber wieder halbwegs normal.
Vor dem Haus war Sigis ungeduldiges Hupen zu hören.
Am Tag hätte man das aus dem ganzen Straßenlärm kaum herausgehört. Aber jetzt am Abend war es rund um das Haus erheblich leiser. Nach Sonnenuntergang, wenn das Gebet des Imam verhallt war, kehrte Stille in diesen Teil der Medina. Der ganze Rummel konzentrierte sich nachts dann in und um den Souk, der hunderte Meter weiter Richtung Zentrum lag. Zumindest hier, in dem Komplex in dem Susan das Riad gemietet hatte, verschwand das Getümmel nach dem Abendgebet. Es war einsame – friedvoller. Wenn das auch täuschte. Jedenfalls das mit dem Frieden. Die Atmosphäre am Abend war mit ein Grund, warum sie lange verbissen um den Hof gefeilscht hatte. Seit dem letzten Jahr aber, war ihr die Leere der Gassen, in denen sie nachts nun jeder streunende Köter aus dem Schlaf schreckte, eher ein Graus.
Vor dem Haus tönte wieder die Hupe.
»Tja Hasan, dann werd’ ich mal – auch dir einen schönen Abend mein Lieber.«
Sie kraulte dem Hund hinter dem Ohr, zog die Riegel des wuchtigen Holztores auf und entsperrte die beiden unpassend modern anmutenden Sicherheitsschlösser. Sie war schon halb durch die Türe, als Yasid aus dem Haus gestürmt kam und ihr zuwinkte.
»Geh’ Du nur Fräulein, Yasid macht fertig hier.«
Seine Augen blitzten sie an.
Susan winkte zurück, dankte ihm mit einem Kopfnicken und ging zu ihren Freunden ans Auto. Hoffentlich schloss er ordentlich hinter ihr zu.
Sigi saß auf dem Fahrersitz – wen wunderte es, er gab in ihrer Truppe den Ton an – und trommelte mit seinen Fingern auf das Lenkrad.
»Frauen ... Muss man immer warten.« Er grinste zweideutig in den Rückspiegel. Durch die heruntergekurbelte Seitenscheibe hauchte sie ihm einen Kuss auf die Wange. Ralf war inzwischen gentlemanlike vom Beifahrersitz aufgesprungen. Er nahm sie leicht verkrampft in den Arm – Küsschen rechts, Küsschen links – und bot ihr seinen Sitzplatz neben dem Fahrer an. Susan winkte ab, quetschte sich lieber zu Brigid auf die Rückbank.
»Schön, dass du wieder mitkommst!«
Brigid umarmte sie herzlich. Ihre Augen strahlten. Das taten sie im Grunde ständig und bei jedem. Heute freute sie sich aber ehrlich, dass ihre Busenfreundin mit an Bord war.
»Geht es dir gut?«
Susan nickte lächelnd. Gut war entschieden übertrieben. In Wirklichkeit fühlte sie sich nicht einmal ok. Nicht annähernd. In Wirklichkeit war ihr speiübel. Spät abends, und im Dunklen. Da war es noch immer eine Überwindung für sie aus dem Haus zu gehen. Aber es musste sein. Sie musste sich wieder daran gewöhnen. Üben. Immer und immer wieder. Sie konnte sich nicht ihr Leben lang verstecken und wegsperren. Das Dreckspack, das ihr das angetan hatte, hatte auch keiner hinter Gitter gesetzt.
»Zum Fishavi, die Damen?«
Eine rein rhetorische Frage vom Fahrersitz.
Die vier gingen immer ins Fishavi.
Der Club hatte reichlich Vorteile. Zum einen zahlte man keinen Eintritt. Gut, dafür waren die Preise für Getränke und Essen gesalzen, aber das Essen halbwegs ordentlich gemacht und für Clubverhältnisse das Geld wert. Das war der zweite Vorteil vom Fishavi – es gab dort nicht nur zu trinken. Auch keine brüllende Musik wie in den meisten anderen Clubs, um sich die ganze Nacht die Seele aus dem Leib zu schütteln. Man konnte gepflegt essen und ohne sich anzuschreien, Konversation betreiben. Die Sitznischen waren geschickt von der Tanzfläche abgeschirmt, dass man sich nicht über den Lärm der Musikanlage hinweg anbrüllen musste. Was sonst in den Nischen geschehen durfte, mochte für einige, vor allem heimliche, einheimische Pärchen ein weiterer Vorteil sein. Was im Fishavi passierte, blieb im Fishavi. Hier war quasi alles erlaubt.
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