Er war also doch auf Kommunikation eingestellt. Und er lächelte wieder. Der DJ hatte die Regler auf Anschlag hochgedreht. »Hyper Hyper« brüllte Scooter durch den Raum. Susan guckte schief. Das war wieder nicht ihr Musikstil.
Stille. Lieber mehr Stille, hatte Steve gesagt. Da war sie mit ihm. Die Stille vermisste sie. Vor allem die in ihrem Kopf, ihrem Inneren. Eine Weile Ruhe, nicht mehr nachdenken müssen. Sich nicht erinnern müssen. Aber das war selten drin für sie.
Eva hatte ihr geholfen. Es lief schon entschieden besser als noch vor Monaten. Jetzt war es für sie in Ordnung, sich mit dem fremden Insekt Steve zu unterhalten. Ihr Magen krampfte sich zwar immer wieder zusammen und sie spielte nervös mit ihrer Gabel. Aber sie blieb sitzen und hatte die Panikattacke überwunden.
Brigid schwebte mit einem breiten Glas in der Hand zu ihnen herüber. Granatapfelsaft schwappte blutrot in dem Becher hin und her.
Als Brigid den ernsten Blick ihrer Freundin sah, streckte sie den Kopf zu ihr: »Alles ok? Soll ich eine Weile bei Dir bleiben?«
»Nö, nö, alles gut.« Susan smilte tapfer gegen ihre schwarzen Gedanken an, die in dem Moment die Synapsen entlangliefen und einen miesen, eiskalten Fleck im Frontallappen erzeugen wollten. Sie kannte diesen Zustand und bräuchte Ruhe – kein Hyper Hyper.
»Alles gut. Geh’ ruhig tanzen!« Susan hatte jetzt keine Nerven auf Erklärungen oder Brigids Getüttel.
Brigid stellte das Glas auf den Tisch, zuckte ergeben mit den Schultern und rammte beim Umdrehen in Sigi hinein, der sich endlich von dem Bekannten losreißen hatte können.
Die Nacht war jung, die beiden auch, die Tanzfläche schrie nach ihnen.
»Und du? Was machst du so?«
Huch, die Single-Gottesanbeterin hatte sie bei dem Anblick der roten Flüssigkeit fast vergessen.
»Ja, hm – Natur finde ich auch nicht schlecht. Wenn’s nicht zu anstrengend ist. Also nicht Wandern oder so.«
Sofort kam sie sich furchtbar plump und unsportlich vor. Stevens Frage war ja schon nicht der Bringer gewesen, aber ihre Antwort? Super, die wortgewandte Autorin versagte im Smalltalk! Der Typ musste ja sonst was von ihr denken ...
»Ach, mit einem Quad geht’s eigentlich. Das macht ja die meiste Arbeit.« Als er das Fahrzeug erneut erwähnte, leuchteten seine Augen. Das Ding musste ihm viel bedeuten.
Eine Weile sahen sie schweigend den Tänzern zu. Susan versuchte, einen Manhattan bei ihrer motivationsgebeutelten Bedienung zu ordern. Vielleicht fühlte sie sich mit etwas Alkohol im Kopf besser. Sie hoffte, dass der Sprit diese Stelle in ihrem Hirn lösen würde, die ihr so zu schaffen machte.
»Wir können ja mal eine Tour machen – also mit dem Quad meine ich.«
Steve sog irgendeinen fruchtigen Drink durch seinen Trinkhalm und sah sie dabei von unten herauf an.
Ein unterwürfiger Gottesanbeter.
Sie atmete tief ein und aus. Eben hatte sie angefangen, sich sicherer zu fühlen, und jetzt fragte er das: Eine Tour.
Sie, mit einem Fremden unterwegs?
Mit einem Quad in den Bergen.
Im Grunde reizte sie der Gedanke. Aber alleine nur mit einem Fremden? Ob sie fragen sollte, ob Brigid und ihr Freund Holger mitkommen konnten? Oder alle! War das blöd? Oder unhöflich? Und war sie überhaupt schon bereit, so ein Risiko einzugehen?
Besser sie sagte einfach nein. Ganz nebenbei. Mit irgendeiner Ausrede. Irgendwas von keiner Zeit, oder Besuch aus Deutschland, kranke Katze, Redaktionsschluss. Was Unverfängliches.
Herrschaft! Wenn sie nicht so eingerostet wäre.
Umständlich kratzte sie die letzten Reste Couscous und die geniale Soße vom Teller. Sie überwand den Impuls, ihn auch noch abzulecken. Für dieses Essen hatte sich die Überwindung, auszugehen, wirklich gelohnt.
»Wann hast du denn mal Zeit? Ich kenne ein paar super Plätze im Hohen Atlas.«
Autsch! Durch bloßes Nichtantworten konnte man ihn also nicht abwimmeln. Susan dachte angestrengt nach, zwang sich währenddessen zu einem unbefangenen Lächeln. Es fiel verkrampfter aus als geplant.
Vielleicht war es ja wirklich gar keine so schlechte Idee. Ein bisschen frische Luft und Tapetenwechsel täten ihr gut. Vielleicht fand sie Steve auch gar nicht so bedrohlich, wie ihre Ratio ihr hartnäckig eintrichtern wollte. Eigentlich sah er ganz nett aus.
»Ja, klar. Wir finden sicher einen Tag.«, hörte sie sich sagen. (Einen ganzen Tag? Tickte sie nicht mehr richtig?), »Vielleicht wollen die anderen auch mit. Kann ich die Strecke auswählen? Ich hab’ einen super Führer mit solchen Touren. Ich muss nämlich aufpassen. Mir wird leicht übel auf dem Quad.«
Wo nahm sie diesen Stuss nur plötzlich her? Übel auf einem Quad! Ging es lahmer? Das war doch komplett bescheuert. Einen Atlas-Quadtourenreiseführer gab es in ihrem Bücherregal natürlich auch nicht. Aber das Internet würde ihr sicher helfen können. Bei dem Gedanken, dass sie bestimmte und wüsste, wo es lang ging, fühlte sie sich besser. Steve schien ihre Begründung jedenfalls zu schlucken.
»Ja klar. Mach das. Wie wäre es nächsten Donnerstag? Freitag muss ich arbeiten und das ganze Wochenende danach auch. Fragen wir die anderen!«
Sie fand das ja ein bisschen aufdringlich. Mit den feinen Nuancen des Zwischenmenschlichen hatte er es nicht.
Sie dachte nach. Donnerstag klang nicht schlecht. Mittwoch war Redaktionsschluss. Wenn sie den ausnahmsweise einhielt, hätte sie den ganzen Tag danach frei. Warum also nicht Donnerstag?
Sigi und Brigid schielten auffällig unauffällig von der Tanzfläche zu ihnen herüber. Sigi hatte dabei ein dämliches Grinsen im Gesicht. Susan hob kurz den Kopf, als sie seinen Blick auf sich gerichtet spürte. Sie hatte mit Steve die Köpfe über den Handys zusammengesteckt, um ihre Kontaktdaten auszutauschen. Es war klar zu erkennen, was Sigi dachte. Jeder hätte es gesehen. Susan verdrehte die Augen und schüttelte ihren Kopf in Sigis Richtung.
Nach dem Manhattan, den sie in einem Zug in sich hineingeschüttet hatte, kaum dass die Bedienung ihn vor sie hingestellt hatte, war sie selbst für das versprochene Tänzchen mit Ralf bereit. Wieder: Eins – zwei – tapp. Irgendein Discofox. Egal – der Manhattan hatte es in sich gehabt und Susan vertrug keinen Alkohol. Die erhoffte Wirkung war deutlich überschritten. Die Einsicht kam nur etwas spät.
Kurz nach Mitternacht brachte Sigi die Drei nach Hause.
Brigid und ihr Freund Holger würden am Donnerstag mit auf Tour kommen. Sigi hatte verschwörerische Blicke ausgesandt und Brigid den Ellenbogen in die Seite gerammt, als sie für den Ausflug zusagte. Sie verstand als einzige Susans Plan. Ralf musste ab Montag für den nächsten Monat zurück nach Fes und hatte keine Zeit, so gerne er mitgekommen wäre.
Steve hatte ihr aufgeregt die Hand gedrückt, nochmals an ihren Ausflug erinnert und dabei mindestens fünf Mal mit dem Kopf vor und zurück gewippt. Susan war sich danach nicht sicher gewesen, ob sie sich auf die Tour freuen oder doch noch eine Ausrede erfinden sollte.
Vor dem Tor des schmalen Riads, in dem sie wohnte, stieg Sigi sofort aus dem Wagen. Susan umarmte Brigid zum Abschied und küsste Ralf auf beide Wangen. Er begann selig zu strahlen. Bevor sie die hintere Türe des Wagens öffnete, sah sie sich nach allen Seiten um. Sie konnte nicht anders.
Sigi wartete am Tor auf sie und lächelte ihr brüderlich entgegen. Sie kramte den Schlüsselbund aus ihrer Tasche und öffnete den obersten Riegel. Sofort begann Hasan hinter der schweren Holztüre zu bellen. Sie rief ihn, damit er verstand, dass sie es war, die nach Hause kam.
»Kommst du kurz mit zum Haus?« Sigi nickte mit verbissenem Gesicht. Susan hatte ihm die beiden Zweitschlüssel gegeben und er kannte den Türcode. Er konnte das Tor von außen wieder verriegeln.
»Klar bring ich dich rein!« Er lächelte ihr ritterlich zu, legte seinen Arm um ihre Schulter. Susan wusste um die Angst, die Sigi vor Hasan hatte. Obwohl der Hund ihn längst kannte und in Ruhe ließ. Seine Angst gegen die ihre, alleine über den dunklen Hof gehen zu müssen. Das rechnete sie ihm hoch an. Man konnte von Sigi denken, was man wollte, aber wenn man ihn brauchte, war er da. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass er jemals vor einem Freundschaftsdienst gekniffen hätte.
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