Der Club galt über die Grenzen der Stadt hinaus als der Schmelztiegel der Kulturen, die in Marrakesch aufeinandertrafen – Einheimische, Europäer, ein paar Russen, ab und an ein Ami. Nur – und das war einer der größten Vorteile des Fishavi – Touristen gab es hier nicht. Die wären zwar vor Verzückung geschmolzen – in die breiten Sessel hineingeschmolzen, hätten sie die Chance bekommen, das Innere der Location auch nur zu sehen. Aber Touris waren unentspannt. Wie hektische Trüffelschweine, die mit ihren Nasen unablässig aufgeregt durch den Dreck suhlten.
Touris machten die Atmosphäre kaputt. Und von Atmosphäre gab es im Fishavi genau die richtige Dosis: Orientlook, aber ohne Plüsch und Samtkissen, erdige Farbkombis, die einen vom Hinsehen allein, in wenigen Sekunden ins 1001 Nachtfeeling katapultierten. Das wahre Marokko in moderner Aufmachung, das Alte, das mit ganz viel Seele und Humphrey Bogart-Sehnsuchtsflair neben Weltoffenheit und guter Mucke.
Und ins Fishavi kam nicht jeder rein. Man musste schon jemanden kennen. Am besten jemanden, der mit Abdul persönlich war. Abdul, der Zweimeterkoloss mit dem sanften Schlafzimmerblick, dem der Club gehörte.
Abdul hatte irgendwann einmal einen Computer gebraucht, besser so ein IT-Netzwerk, das seine Lokale, die er im gesamten Lande verstreut betrieb, mit dem Fishavi verband. Der Club hier in Marrakesch war sein Hauptsitz, seine Residenz. Kassensystem, Buchhaltung, oder das was er unter Buchhaltung verstand. Automatisierte Einkaufslisten und Abrechnungen – sowas brauchte Abdul damals. Und da war Sigi ins Spiel gekommen. Der arbeitete in einem dieser Softwareunternehmen, die Datenautobahnen durch die ganze Welt zogen. Und Sigi war für Nordafrika, für Marokko, zuständig.
Sein bester Freund aus Studientagen, Ralf, war aktuell von seinem Unternehmen, das irgendwelche Speichereinheiten für Computer herstellte, nach Fes geschickt worden, um dort Anlage und Arbeiter in Form zu bringen. Ralf war fasziniert von der marokkanischen Kultur und angenervt von der Arbeitsmoral seiner Bewohner. Wenn einer über seinen Job schimpfte, war es Ralf.
Ralf lernte Brigid auf einem Firmenempfang der deutschen Botschaft kennen, in der sie als Übersetzerin arbeitete und Susan kannte Brigid noch aus Deutschland.
Susan selbst war schon lange überzeugter Orientfan. Durch unzählige Reisen und Recherchen zum Experten rangiert, bat sie ihr Verlag, einen Reiseführer über das Land zu schreiben. Vom Insider aus erster Hand, quasi. Dafür hatte ihr der Verleger das Haus in der unteren Medina ein halbes Jahr auf Spesen zur Verfügung gestellt.
Susan hatte es in Marrakesch so gefallen, dass sie geblieben war. Inzwischen lebte sie vier Jahre hier. Die beiden Letzten davon auf eigene Kosten. Der Veröffentlichungstermin des Reiseführers ließ sich irgendwann nicht mehr länger hinauszögern.
Ihre Kolumne in einer bekannten Frauenzeitschrift verkaufte sie mit Sigis Hilfe unverschämt gewinnbringend. Mit den Einnahmen daraus musste sie sich keine grundsätzlichen Gedanken mehr um ihre finanzielle Situation machen. Ihr letzter Roman schlug dazu einigermaßen ein, sodass sie eine gewisse Summe zurücklegen konnte – wenn das Werk es auch nicht auf irgendeine Bestsellerliste geschafft hatte. Ihr neues Projekt lag nahezu fertig in der Schublade, aber eben nur nahezu. Momentan konnte sie von der Überarbeitung, dem letzten Feinschliff für die Veröffentlichung, nur träumen. An Arbeiten, die auch nur ein Minimalmaß an Konzentration verlangten, war erst langsam wieder zu denken. Ihre Lektorin stand ihr deshalb inzwischen regelmäßig zweimal die Woche mit einer Email auf den Füssen.
Der Verlag und ihre Fans warteten, und sie hing oft tagelang in diesem beschissenen, inneren Gefängnis fest. Die Türe wollte und wollte sich nicht öffnen. Sie kämpfte mit übermächtigen Dämonen, die ihr den Tag schwer und viele Nächte zur Qual machten. Auch wenn es aufwärtsging. Ihr fehlte langsam die Geduld mit sich selbst.
Sie war froh, wenigstens für ihre Kolumne termingerecht liefern zu können. Ideen gab es für die frechen Aphorismen und spritzigen Anekdoten genug. In den vergangenen Jahren hatte sie en masse Texte für ihre Spalte in dem Magazin, das alle zwei Wochen erschien, auf Vorrat geschrieben. Die schickte sie nun nach und nach an die Redaktion. Wenigstens, das bekam sie noch einigermaßen hin.
Kapitel 2
Sigi lenkte den blauen Mini auf einen freien Parkplatz neben der Disko. Beim Aussteigen hörten sie bereits die dumpfen Bässe aus dem Fishavi wummern. Susan liebte den Club.
Sigi hatte eine der raren Lücken am voll geparkten Straßenrand ergattert. Sein Mini brauchte wenig Platz. Kaum war sie aus dem Auto, wanderten Susans Blicke in alle Richtungen. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Es war eine bescheuerte Idee, hierher zu kommen.
Susan nahm die anderen Wägen surreal wahr. Sie kam sich beobachtet vor. Es schien ihr, als wäre hinter jedem, säße in jedem Auto einer, der sie anstarrte. Jede ihrer Bewegungen wurde registriert, als ob die Fahrzeuge selbst sie mit ihren Scheinwerferaugen hämisch begaffen. Brigid bemerkte Susans Anspannung und hakte sich bei ihr ein.
»Traumzeithimmel!«, raunte sie ihr lasziv ins Ohr und legte den Kopf in den Nacken.
Stimmt. Keine Wolke. Die Nacht lag über ihnen wie die Glaskuppel einer Schneekugel. So eine die man in der Hand schütteln konnte, damit es in ihr Plastikflocken schneite. In Marrakesch gab es natürlich keinen Schnee, nur Sand. Und in diesem Viertel hätte es Dreck, eine Menge Dreck, geschneit, hätte man es in eine Glaskugel gepackt.
Der Club lag einige Kilometer außerhalb. Weder Abgase, noch der Rauch aus den Kohlefeuern der Straßenstände störten hier die Sicht auf die Sterne.
Susan folgte Brigids Blick nach oben.
Es war eine außergewöhnliche Nacht. Vielleicht empfand sie das so, weil sie trotz ihrer klammernden Angst stolz auf sich war. Sie hatte sich aus ihrem Riad getraut. Nach Sonnenuntergang.
Die Sterne blinkten und der Wind rauschte in den Blättern der ungepflegten Palmengruppe am Straßenrand. Es klang, als raunten sie ihr Glückwünsche für ihren Mut zu.
Solche Nächte drängten einen regelrecht, zu erkennen, wie klein, wie unbedeutend, man war. Als Mensch mit seinen ganzen Menschenproblemen – mitten in diesem unendlichen Universum. In solchen Nächten war kein Platz zum Hadern. In solchen Nächten wurden Helden gezeugt.
Susan lächelte Brigid zu und legte ihren Kopf an ihre Schulter. Sie war dankbar, dass ihre Freundin so starrköpfig auf ihr Mitkommen beharrt hatte.
Während sie den Eingang des Clubs ansteuerten, hielt sich auch Ralf dicht an ihrer Seite. Bei jedem Schritt stießen ihre Arme ein wenig aneinander. Ralf spielte den edlen Ritter. Ganz unauffällig. Aber er spielte es mies. Sie konnte sich vorstellen, worum sich die Gespräche drehten, wenn sie nicht dabei war. Was in den letzten Wochen die Regel war.
Der Türsteher schaute wie immer äußerst grimmig. Reagieren würde er deutlich gemäßigter, hätte jemand Stress gemacht. Sie ließ er wortlos ein. Man kannte sich. Sie waren nicht zum ersten Mal hier. Ein freundliches Lächeln hatte sein Diensteifer aber auch für sie nicht.
Die Freunde hielten auf ihren Stammplatz an der kurzen Seite der Tanzfläche zu. Niemand wäre auf die Idee gekommen, in eine andere Richtung zu laufen. Die Clique saß immer dort.
Sigi kannte im Fishavi Gott und die Welt und brauchte eine Weile, bis er sich durch alle Hände geschüttelt und alle Rücken geklopft hatte. Ralf ging unterdessen mit den beiden Frauen zu ihrem Platz.
Ein befreundetes Pärchen und ein einzelner Kerl saßen in ihrer Nische. Susan kannte das Pärchen flüchtig. Den Mann hatte sie vorher noch nicht gesehen. Brigid umarmte und küsste in sämtliche Richtungen. Ralf gab brav die Hand. Susan nickte den dreien zu, verzog sich lieber auf die Bank hinter dem langen Holztisch. Sie hielt den üblichen Anstandsabstand, den man zu denen, die man nicht näher kannte, hielt. In diesem Fall war der Unbekannte der Singlekerl. Das nahm sie jedenfalls an. Er saß ohne Begleitung am Tisch.
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