„Ich möchte nicht darüber reden. Das habe ich dir schon gesagt. Außerdem wäre das nun wirklich kein Thema für so einen geselligen Abend.“
„Genau das war es, was ich gesagt habe.“ Sie grinste und fühlte sich offensichtlich bestätigt.
Wie sie das wieder hinbekommen hatte, war mir ein Rätsel. Aber so kannte ich sie. Sie war wie ein Wirbelwind und meistens trieb sie mich vor sich her, statt mich nur mitzuziehen. Sie tat mir viel besser, als ich ihr. Jedenfalls hatte ich den Eindruck, dass sie meine Bodenhaftung gerne abschüttelte und nichts von der Bodenständigkeit hielt, die ich lebte. Ob nun, weil sie mir anerzogen war, oder weil ich ein langweiliger Mensch war. Vielleicht war ich das. Ich liebte die Natur und Spaziergänge, ich mochte kochen und essen und ich las gerne. Ja, vermutlich war ich tatsächlich langweilig, wenn man mich mit Sephie verglich. Sie war im Winter im Ski Resort gewesen und hatte sich dort eine Rippe gebrochen. Im Herbst hatte sie sich für ein Kanutraining angemeldet, nachdem sie im Frühjahr festgestellt hatte, das Westernreiten nichts für sie war. Oder Pferde im Allgemeinen.
Sie probierte ständig Neues aus und zeigte dabei keine Angst. Falls sie was nicht konnte, schüttelte sie es ab und ging zur nächsten Aktivität über. Lesen war das einzige langweilige Hobby, was Sephie besaß. Allerdings las sie auch nur Sachbücher, Biografien, Horrorromane und Thriller. Ich kümmerte mich um die anderen Bereiche. Wir ergänzten uns beruflich perfekt. Wie das innerhalb unserer Freundschaft funktionierte, war mir ein Rätsel. Aber wenigstens mochten wir dieselben Filme und Serien und so trafen wir uns eigentlich regelmäßig, um einen gemeinsamen Filmabend zu machen oder um zusammen ins Kino zu gehen.
„Also gab es noch was Interessantes, was ich wissen müsste?“
„Grace befindet sich in einer Ehekrise. Alec ist abgehauen und sie weiß nicht, was aus ihnen wird.“
„Ist ja krass.“ Sephie sah mich überrascht an. „Grace und Alec? Ich dachte immer das seien die Vorbilder für diese perfekte große Liebe. Normalerweise funktionieren Collegelieben nie. Aber bei den beiden endete alles in einer glücklichen Ehe, zwei Kindern und ...“
„Drei.“
„Drei?“
„Das war die andere Neuigkeit in dem ganzen Chaos. Grace ist schwanger.“
„Schwanger und eventuell bald alleinerziehend? Ach du scheiße!“
Ich verzog mein Gesicht. „Dein Optimismus ist unschlagbar, Sephie.“
„Was denn? Du hast doch selbst gesagt, dass er abgehauen ist.“
„Er muss über ein paar Dinge nachdenken. Laut Grace ist das nur seine Art, ein Problem mit sich allein auszumachen.“
„Sie glaubt also er kommt zurück?“
„Er sagt, es ginge nicht um sie beide.“
„Aha.“ Meine Freundin sah nicht überzeugt aus und machte eine wegwischende Handbewegung. „Ich sag dir was. Das ist viel zu kompliziert für uns. Wir Singles sollten nicht über die Eheprobleme von anderen nachdenken. Das ist ein Dschungel bei Nacht, dem wir nicht zu nahe kommen sollten. Es wimmelt in der Ehe nur so von Schlangen und anderem giftigen Getier.“
Obwohl ich ihre Meinung weder teilte noch besonders witzig fand, musste ich trotzdem lachen.
Sephie sah zufrieden zu mir. „Gefällt mir schon viel besser, wenn du lachst, statt hier herumzugammeln und Trübsal zu blasen.“ Sie zog die Brauen streng ins Gesicht und sah mir direkt in die Augen. „Bist du sicher, dass du dich nicht rasch fertigmachen und mit mir ausgehen willst?“
Als ich meinen Kopf daraufhin schüttelte, seufzte sie hilflos.
„Du weißt ja nicht, was du verpasst.“
„Mir ist eben nicht danach.“ Ich deutete auf das Buch und die Kuscheldecke, die ich mir bereitgelegt hatte. „Ich möchte den Abend lieber mit einer kalten Limonade, Zitronenkeksen und lesen verbringen.“
Sephie schielte auf den Titel und schnaubte unwillig. „Du willst dir wirklich dieses Buch antun? Abgesehen davon, dass du es schon zwei Mal gelesen hast, glaube ich nicht, dass das gut für dich ist.“
P.S. Ich liebe dich war mein Lieblingsbuch. Ich hatte es sogar schon mehr als zweimal gelesen und es ihr nur nie verraten.
„Mag sein. Aber ich liebe es und mir ist nun mal danach.“
Sephie schüttelte den Kopf und ich deutete ihren Blick als ihren typischen ‚ Ich gebe es auf ‘- Blick. Als sie aufstand, wusste ich, dass ich recht gehabt hatte.
„Na schön. Bist du mir böse, wenn ich dann jetzt aufbreche?“
„Nein überhaupt nicht.“
Von mir aus hätte sie mich auch am Telefon fragen können, wie es mir ging. Aber sie traute meinen Worten nicht. Zu Recht. Ich hatte sie schon viel zu oft angeschwindelt, wenn es um meine Gefühle oder meinen Gemütszustand ging. Seit sie das mitbekommen hatte, kam sie lieber direkt vorbei, um sich ein eigenes Bild von meinem Elend zu machen.
Heute Abend schlug ich mich wohl ganz gut, andernfalls wäre sie trotz ihres Wunschs wegzugehen, hiergeblieben. Sie war oft anderer Meinung und wir hatten nur wenige Gemeinsamkeiten, aber sie war trotzdem meine beste Freundin und passte immer auf mich auf.
Ich brachte Sephie bis zur Tür, und als sie gegangen war, holte ich mir aus der Küche die kaltgestellte Limonade und stellte einen Teller mit Zitronen- und Orangenkeksen zusammen. Ich trug beides ins Wohnzimmer, machte es mir dort in meinem Lesesessel gemütlich.
Die Wohnung war schön geworden. Ich hatte seit meinem Einzug viel verändert. Nach und nach hatte ich die Einrichtung verkauft oder rausgeworfen und durch Neue ersetzt. Jetzt hatten die Räume meinen persönlichen Charme. Ich hätte gerne die kalten Fliesen im Wohnzimmer oder das Linoleum in der Küche und den Teppich im Schlafzimmer ausgetauscht. Auch die Tapeten hätte ich gerne abgelöst und neu tapeziert. Aber da ich mich weder mit dem einen noch dem anderen auskannte, hatte ich die Böden und Wände gelassen, wie sie waren. Für Handwerkliches war immer Simon zuständig gewesen. Ich hatte absolut keine Begabung, was das anging. Stattdessen schaffte ich es schon mich zu verletzen, wenn ich einen Nagel in die Wand schlug. Zum Anbringen der Lampen und Regale hatte ich Sephies Hilfe benötigt. Die war ebenso unbegabt wie ich, aber als ich eingezogen war, traf sie sich mit einem Kerl, der wusste, wie man mit einer Bohrmaschine umging. Er hatte wohl angenommen, er könnte bei ihr Punkte sammeln, indem er ihrer besten Freundin in der Not zur Seite stand. Leider gab sie ihm trotzdem vier Tage später den Laufpass.
Ich grinste bei der Erinnerung an Paul. Denn ein Tag danach hatte er vor meiner Tür gestanden und gefragt, ob ich nicht Lust hätte mit ihm ins Kino zu gehen. Sephie hatte allen Ernstes wissen wollen, ob ich zugesagt hatte. Als ich sie ungläubig gefragt hatte, wie sie darauf kam, ich hätte seine Einladung angenommen, hatte meine Freundin locker die Achseln gezuckt.
„ Meinetwegen hättest du mit ihm ausgehen können. Er ist gar nicht so schlecht im Bett. Sanft und vorsichtig. Genau das Richtige, um wieder ins Spiel einzusteigen.“
Das war ihre Antwort gewesen. Danach war das Thema für sie beendet. Sie brauchte nicht erwähnen, dass es ihr ernst damit war.
Ich schüttelte lächelnd den Kopf. Damals hatte ich entrüstet, für meine Verhältnisse sogar wütend reagiert. Jetzt sechs Wochen später gelang es mir, über Sephies Reaktion zu lachen. Wahrscheinlich hatte sie Recht und es war unmöglich zu behaupten, ich könnte für den Rest meines Lebens enthaltsam und ohne Mann leben. Aber sie verstand einfach nicht, dass ich noch nicht so weit war, mir überhaupt nur vorzustellen, mit einem anderen Mann auszugehen. Bei der Vorstellung ein Date zu haben, Händchen zu halten, oder gar jemanden zu küssen, schauderte es mich. Wenn ich meine Augen zumachte, spürte ich Simons Berührungen auf meiner Haut. Wenn ich mich konzentrierte, schaffte ich es auch ein Jahr nach seinem Tod noch, seinen Duft in der Nase und sein Lachen im Ohr zu haben. Dieses laute, schiefe Lachen, was zu seiner offenen, redseligen Art gepasst und mir sofort gefallen hatte.
Читать дальше