Autor: Paul Köhler
Titel: Gesucht
Untertitel: Ausfahrt mit einem Bankräuber
© Copyright 2016 Paul Köhler
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Druck: epubli GmbH, Berlin,
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»… Aus diesem Grund erkläre ich, alle Handlungen ausschließlich zum Zweck der Selbstverteidigung ausgeführt zu haben und in jedem Moment …«
»Ja, so …«
»… Opfer gewesen zu sein.« Lässt eine Pause, »Kommt so zu den Akten, ja?«
»Ich denke doch.«
Die Geschichte die ich zu erzählen gedenke führte mich weit von meinem normalen Leben auf eine Art Reise ins Unbekannte. Zusammen mit einem kurzzeitigen Freund hatte ich das Vergnügen, dem tristen Alltag zu entfliehen. Man sagt dem Universum keine Stetigkeit nach, meint von ihm, das es von ständiger Expansion begriffen sei und warum sollte ich mich als Individuum dann noch entgegenstellen. Alles folgt der Entropie, warum dann nicht auch mein Leben? Sozusagen sollte auch ich mich von den Konstanten lösen und ein kleines Quäntchen mehr Zufall gestatten.
Noch vor wenigen Tagen dachte ich nicht, einmal aus meinem gewohnten Umfeld zu entkommen und neue Welten zu erschließen; jetzt kann ich auch mit bestimmten Situationen besser umgehen und mein eigenes Leben in die Hand nehmen. Ja, glücklicherweise nahm die Geschichte ihren höchst eigenartigen Lauf und bannte mich …
»Hier?«, fragt der ältere Herr sich über den Schalter beugend.
»Hm. Sehen Sie, da ist für Ihre Signatur ein Platz aufgespart. Das können Sie gar nicht verfehlen«, meine ich verträumt und mich bereits in einem bequemen Sessel wähnend.
»Da hin!«
»Ja, Herrgott.« Ich tippe mit dem Zeigefinger meiner rechten Hand auf das Feld. Dann erst setzt der ältere Herr seine Brille auf. Zweifelsohne ist er halb Blind, wenn er nicht mal das bisschen Tinte da vom Rest der fast leeren Seite unterscheiden kann.
»Und Sie meinen, ich solle dort …«
Ich schreite ein: »Bitte dort. Ich hätte einen Stift.«
Er witzelt: »Das ist Sache meines eigenen Füllhalters.«
Wow denke ich, das hättest du dem gar nicht zugetraut. Da steht nun ein Mann mit neunzig Jahren vor mir und lässt sich einen Kredit über 20.000 Pfund geben. Wer hat denn das zugelassen? Ich meine, ob der wohl einen Zwanziger von einem Zweihunderter noch unterscheiden kann?
»Alles … oder reicht der Nachname?«, fragt er, ich bin abwesend.
»Alles … oder reicht der Nachname?«, verkündet er so laut, dass sich mein Trommelfell blitzschnell zusammenzieht und in meinem Gehirn nur ein Haufen verzerrter Wellen ankommt. Dann frage ich höflichst: »Wir haben auch Lesehilfen hier, wenn Sie eine benötigen?«
»Alles … oder reicht der Nachname?«, ersucht er penetrant.
»Der reicht, der Nachname. Aber wenn Sie sich bitte dazu durchringen würden, der Chef wartet schon ungeduldig auf seinen morgendlichen Kaffee«, beruhige ich den aufgebrachten Mann, der sich nun endlich mit den Schnörkeln seiner Unterschrift herumbalgt.
Er dann wieder aufgeregt: »War es das?«
»Ja.«
Dann klingelt das Telefon. Aber ich kenne das schon. Das ist so anbiedernd, fast schon ekelhaft, wie sich der kleine dickliche Mann hinter seinem Schreibtisch fläzend amüsiert, wie meine Kunden stressen und der Kaffee auf der Strecke bleibt. Dabei ist doch gerade der seine allmorgendliche Dosis gute Laune. Überhaupt muss man ihn ständig bei guter Laune halten, weil er selbst in dieser Verfassung noch das wohl ekelhafteste Arschloch ist, dem ich je zu begegnen das Pech hatte. Wenn er in seiner selbstgefälligen Art auf einen herabschaut, obgleich er lediglich einhundertfünfundsechzig Zentimeter misst, sich über die Arbeit mokiert, die man eben getan hat und insgeheim schon die nächsten unbezahlten Überstunden einplant, um dann selbst eher in den Feierabend sich verabschieden zu können … dieser Mann ist mein Chef und gleichwohl ein Despot. Seine Idiotie ist auch seine schlimmste Macke, recht einer Manie vergleichbar, wenn er ständig meint, die Handlungen seiner Angestellten untersuchen zu müssen. Er besitzt dafür drei einfache Methoden, von denen nicht eine einzige der allgemeinen Logik folgt …
»Können Sie mir davon eine Kopie ziehen?«, spricht mich der ältere Herr nochmals an, der eben seinen Füllhalter in das Etui zurückgesteckt hat und meine Gedanken unterbricht.
»Ja«, antworte ich ihm und denke mich bereits wieder an dem Kopierer stehend, wenn die gesamte Schar von all den tüchtigen und emsigen Angestellten um mich verweilend in großes Gelächter ausbricht, weil die Bedienung mir bisweilen schwerer fällt – das sind eben auch so kleine, fiese Gumminoppen …
Mein Bürostuhl knarzt, als ich ihn zurückrolle um aufzustehen und sogleich die Blicke derer auf mich ziehe, die in wenigen Sekunden eben um den Kopierer stehen – Sie werden schon sehen. Dann setze ich mich in Bewegung, immer schön gemächlich, nichts übereilen zu wollen und vor allem nicht übereifrig zu erscheinen. Das hat der gemeine Bürger nicht gern, wenn Bankangestellte eilig hin und her wuseln.
Auf zur Showeinlage, sinniere ich noch und stehe bereits unausweichlich vor dem schwarzen Klumpen, der mich mit seinem gierigen Schlund und seinem abscheulichen Tastenfeld grimmig anschaut. Dabei ist der Kopiervorgang im wesentlichen ein einfach zu durchschauender Prozess: Tinte auf Papier, aber eben in gewisser Ordnung zwischen dem leeren Seitenbereich und dem gefüllten; ein paar Walzen verrichten ihre Tätigkeit vorzüglich und der kleine Druckkopf läuft von links nach rechts, von rechts dann wieder zurück und so weiter … ein amüsantes Spiel, bei dem Zeile für Zeile angesetzt wird und letztendlich eine vollständige Kopie zu Erden liegt, als wie wenn von Hand das Original abgeschrieben worden wäre – nur reiner.
Eigentlich heißt es da Augen zu und durch – wenn das nur so einfach wäre. Zuallererst drücke ich den kleinen Standby-Knopf an der rechten Seite des Geräts, dann ein leises Surren gefolgt von lautem Walzengeräusch … bereit. Na ja, was hieße schon bereit, wenn jetzt nicht Verstand gefragt sei: das Original zumindest versuche ich meist durch den Schlitz zu schieben, durch den am Ende die fertige Kopie ausgespuckt werden wird … erstes Gelächter sucht seine Bahnen durch die hinter mir stehenden weiblichen Beschäftigten in dieser Bank, die eindeutig den leider größten Anteil am Personal ausmachen, einen netten Kollegen findet man hier selten. Die Situation erfordert mehr Feingefühl, als nötig wäre … Jetzt sind die bösen Gumminoppen an der Reihe, so herrlich bunt sie auch sein mögen.
»Drücken Sie mal blau«, wirft Irene ein, ihrerseits Bankfachfrau und meist an Schalter Nummer eins sitzend.
»Wieso?«
»Na, weil sie’ s sowieso nicht schaffen.«
Das darf mich emotional nicht aus dem Konzept bringen. »Aber Miss, der blaue Knopf wird doch unweigerlich die Reinigung des Geräts starten.«
»Ist unausweichlich.« Ein hämisches Grinsen steht Ihr zu Gesicht.
Vielleicht ein kurzer Umriss über meine Situation. Die Werkstätte meinerseits ist die Harrow Bank im Herzen Londons. Täglich werden Geldwerte von mehreren Millionen Pfund, Euro und Dollar verschoben und verarbeitet, Kontos eröffnet und geschlossen, sich unseren Krediten bedient und sonst welchen Angelegenheiten, denen man auf einer Bank zu begegnen weiß. Die Harrow Bank ist beileibe nicht mit einer Filiale abgetan, aber ich musste das Pech haben, unbedingt das schrecklichste aller Institute ersucht zu haben, in dem ich nun mit vielen hysterischen Frauen und einem unbarmherzigen Chef konfrontiert werde. Ja, ich bin der einzige Mann hier, was in Anbetracht der Tatsache ziemlich verstörend sein kann. Alles hier so hysterisch und schrill und der Chef hat auch nur Augen für die weiblichen Angestellten. (Schauder)
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