Margarete van Marvik - Manche Engel sterben früh

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Manche Engel sterben früh
von Margarete van Marvik
Als Ruths Mutter ein zweites Mal heiratet, erfährt Ruth durch ihren Stiefvater Liebe und Zuneigung. Dann bekommt sie jedoch ein Schwesterchen und von einem Tag auf den anderen verändert sich das Leben der sechsjährigen Ruth drastisch. Ihre Eltern haben nur noch Augen für «Engelchen Christin», Ruth existiert lediglich am Rande. Ruths seelisches und körperliches Leiden nimmt gefährliche Ausmaße an, sie bekommt Ausschläge, fängt an sich zu ritzen, säuft sich ins Koma …
Am Ende der siebten Klasse bricht Ruth die Hauptschule ab und nimmt Gelegenheitsjobs an. Sie fasst einen Entschluss: Sie wird zu ihrer Tante Odette nach Berlin ziehen, die ihr angeboten hat, bei ihr zu wohnen, und ihr dort auch eine Arbeit verschaffen kann. Ruth legt regelmäßig Geld beiseite, um ihren «Rettungsplan» zu realisieren. Eines Tages ist es so weit: Ihre Flucht gelingt und sie fährt mit dem Zug nach Berlin, wo sie von ihrer Tante herzlich willkommen geheißen wird und mit deren Hilfe Fuß fasst. Mit der Zeit schafft sie es sogar, eine eigene kleine Wohnung zu mieten. Ruth spürt, sie kommt ihrer inneren Mitte immer näher … bis eines Tages die verhasste Halbschwester Christin vor der Tür steht …
Mit ihrem neuen Roman ist es Margarete van Marvik mal wieder einmalig gelungen, durch und durch menschliche Themen wie die brennende Sehnsucht nach Liebe, Liebesentzug, Ungerechtigkeit, Verzweiflung, Gefühllosigkeit, Hass und Rache ganz individuell zu schildern – unverblümt und lebensecht, erschütternd und ergreifend.

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Margarete van Marvik

Manche Engel sterben früh

Copyright (2016) Margarete van Marvik

www.van-marvik.de

margarete@van-marvik.de

Mein besonderer Dank gilt

Lektorat, Korrektur

Alexandra Eryiğit-Klos

www.fast-it.net

Buchcover und Gestaltung

Wolfgang Metz

Inhaltsverzeichnis

Manche Engel sterben früh Manche Engel sterben früh Fünfzehnter August 1964 Ruth spürt die Kälte, die ihre Muskeln lähmen, nicht. Jegliches Leben ist aus ihren Adern gewichen. Sie fühlt nicht die Nässe in ihrer Kleidung, die den gesamten Körper erzittern lässt. Sie schaut ins Leere ‒ in ein tiefes schwarzes Loch. Ihr Gesicht ist geschwollen von den vielen Tränen der Ratlosigkeit. Das Tagebuch ihrer kleinen Schwester hält sie, eingewickelt in eine Plastiktüte, so fest in ihrer Hand, dass die Knöchel an ihren Fingern weiß hervortreten. Sie fühlt sich ausgebrannt und murmelt immerzu: „Hätte ich die Tragödie wirklich verhindern können? Bin ich alleine schuld an ihrem Tod?“ Erneut wird sie von einem Weinkrampf geschüttelt. Sie fühlt sich schuldig, schuldig am Tod ihrer kleinen Schwester. Die vorbeilaufenden Menschen sehen mitleidvoll auf die junge zierliche rothaarige Frau mit dem Pagenkopf. Ruth sitzt zusammengesackt auf einer Bank, unmittelbar an dem Tor zum Friedhofsgelände. Fröstelnd presst sie ihre Arme, die Plastiktüte fest in der rechten Hand haltend, an ihren Körper. Die verwischte Schminke läuft in schwarzer und hellblauer Farbe von ihren Wimpern an ihren Wangen herunter. Geistesabwesend wischt sie die verlaufene Farbe mit dem linken nassen Ärmel ihrer hellen leichten Jacke aus dem Gesicht. Die tröstenden Worte einer fremden Frau, die neben ihr stehen geblieben ist, hört sie nicht. Alles um sie herum wirkt beklagenswert und öde. Selbst der Himmel mit seinen tief hängenden Wolken scheint in diesem Moment ihrer Trauer und ihrer Hilflosigkeit zuzustimmen. Nichts, aber auch gar nichts spürt sie von dem warmen Sommerregen am fünfzehnten August 1964, ihrem Lieblingsmonat. Ruth ist abgetaucht in die Vergangenheit, in einen Abschnitt ihres jungen Lebens, den sie so gerne hinter sich gelassen hätte. Mit brachialer Gewalt, wie ein Bumerang, kommt ihre Kindheit zu ihr zurück. Der warme Sommerregen, der unaufhaltsam an ihrer leichten Sommerjacke herunterprasselt, stört sie nicht. In Gedanken reist sie zurück in ihre Kindheit.

Rückblick

Ruths Geburtstag

Wegzug aus Heidelberg

Ruths Zuhause

Die Einschulung

Bittere Worte

Die Schulzeit

Das erschütternde Erlebnis

Tiefe Trauer um Silke

Flegeljahre

Bittere Erkenntnis

Auf dem Weg nach Berlin

Eine neue Perspektive

Eine eigene kleine Wohnung!

Gustav und Christin

Die Familie zerbricht

Gustavs Vergangenheit

Ankunft in Heidelberg

Eine trostlose Zukunft

Christin in Berlin, 28.Juli 1964

Christins Tagebuch

Tagebucheintrag 10.August 1963

Tagebucheintrag 16.August 1963

Tagebucheintrag 15.September 1963

Tagebucheintrag 20.September 1963

Tagebucheintrag 29.September 1963

Tagebucheintrag 04.Oktober 1963

Tagebucheintrag 13.Oktober 1963

Tagebucheintrag 16. Oktober 1963

Tagebucheintrag 20. Oktober 1963

Tagebucheintrag 22. Oktober 1963

Tagebucheintrag 08. November 1963

Tagebucheintrag 15. Dezember 1963

Tagebucheintrag 19. Dezember 1963

Tagebucheintrag 22. Dezember 1963

Tagebucheintrag Februar 1964

Tagebucheintrag April 1964

Tagebucheintrag 04. Mai 1964

Tagebucheintrag 15. Mai 1964

Tagebucheintrag Juni 1964

Tagebucheintrag Ende Juni 1964

Tagebucheintrag Anfang Juli

Tagebucheintrag Mitte Juli 1964

Tagebucheintrag Juli 1964

Tagebucheintrag 26. Juli

Letzter Tagebucheintrag 01. August 1964

Ruth ist zurück in der Gegenwart

Ruths Seelenpein

Zurück zu den Wurzeln

Karlsruhe

Mutter

Walter

Gustav

Das Wiedersehen

Die gnadenlose Wahrheit

Vater im Krankenhaus

Der unendliche Schmerz

Brief an Gudrun

Die Überführung

Der Abschied

Auge um Auge

Der nächtliche Besuch

Margarete van Marvik

Abriss „Albtraum“

Manche Engel sterben früh

Fünfzehnter August 1964

Ruth spürt die Kälte, die ihre Muskeln lähmen, nicht. Jegliches Leben ist aus ihren Adern gewichen. Sie fühlt nicht die Nässe in ihrer Kleidung, die den gesamten Körper erzittern lässt. Sie schaut ins Leere ‒ in ein tiefes schwarzes Loch.

Ihr Gesicht ist geschwollen von den vielen Tränen der Ratlosigkeit. Das Tagebuch ihrer kleinen Schwester hält sie, eingewickelt in eine Plastiktüte, so fest in ihrer Hand, dass die Knöchel an ihren Fingern weiß hervortreten. Sie fühlt sich ausgebrannt und murmelt immerzu: „Hätte ich die Tragödie wirklich verhindern können? Bin ich alleine schuld an ihrem Tod?“

Erneut wird sie von einem Weinkrampf geschüttelt. Sie fühlt sich schuldig, schuldig am Tod ihrer kleinen Schwester.

Die vorbeilaufenden Menschen sehen mitleidvoll auf die junge zierliche rothaarige Frau mit dem Pagenkopf.

Ruth sitzt zusammengesackt auf einer Bank, unmittelbar an dem Tor zum Friedhofsgelände. Fröstelnd presst sie ihre Arme, die Plastiktüte fest in der rechten Hand haltend, an ihren Körper.

Die verwischte Schminke läuft in schwarzer und hellblauer Farbe von ihren Wimpern an ihren Wangen herunter. Geistesabwesend wischt sie die verlaufene Farbe mit dem linken nassen Ärmel ihrer hellen leichten Jacke aus dem Gesicht. Die tröstenden Worte einer fremden Frau, die neben ihr stehen geblieben ist, hört sie nicht. Alles um sie herum wirkt beklagenswert und öde. Selbst der Himmel mit seinen tief hängenden Wolken scheint in diesem Moment ihrer Trauer und ihrer Hilflosigkeit zuzustimmen.

Nichts, aber auch gar nichts spürt sie von dem warmen Sommerregen am fünfzehnten August 1964, ihrem Lieblingsmonat.

Ruth ist abgetaucht in die Vergangenheit, in einen Abschnitt ihres jungen Lebens, den sie so gerne hinter sich gelassen hätte. Mit brachialer Gewalt, wie ein Bumerang, kommt ihre Kindheit zu ihr zurück. Der warme Sommerregen, der unaufhaltsam an ihrer leichten Sommerjacke herunterprasselt, stört sie nicht. In Gedanken reist sie zurück in ihre Kindheit.

Rückblick

Ruth ist am achtzehnten Juli 1943 in Heidelberg geboren und es sind nur noch zehn Tage bis zu ihrem siebten Geburtstag. Ihren richtigen Vater kennt sie nicht; er ist vor ihrer Geburt im Krieg gefallen. Ihren Stiefvater himmelt sie an, denn er ist groß, blond und stark.

Der 8. Juli 1950 ist ein wundervoller warmer Sommertag. Ruth freut sich auf diesen Nachmittag, denn sie wird mit ihrem Papa ins Schwimmbad gehen. Seit vier Wochen streicht sie jeden Abend auf ihrem eigens hierfür gebastelten Kalender einen Tag ab.

Den heutigen und letzten Tag des Wartens hat sie mit einem ganz dicken schwarzen Stift durchgestrichen. Ihre Badesachen sind schon seit Tagen gepackt, sodass sie die Tasche nur noch greifen muss.

Ruth ist ein aufgewecktes und fröhliches Mädchen. Ihre roten, leicht welligen Haare, die sie schulterlang trägt, lassen sie wie einen kleinen Engel erscheinen. Aus ihren grünen Augen sprüht der pure Schabernack.

An diesem Tag stürmt Ruth in die Wohnküche; sie will direkt in Papas Arme fliegen, da … Jäh bleibt sie an der Türschwelle stehen, als sie erkennt, dass er nicht wie sonst in der Küche steht, wenn sie sich etwas vorgenommen haben.

Eine beklemmende Stille breitet sich im Raum aus. Zum ersten Mal hört sie das laute Ticken der uralten Küchenuhr, die sie überhaupt nicht leiden mag. Zutiefst enttäuscht, dass sie ihrem Dad nicht in die Arme fliegen kann, sieht sie sich wütend um und spricht trotzig mit sich selbst: „Er ist nicht da!“ Anklagend zieht sie ihre Schultern nach oben und lässt sie mit einem Ruck wieder nach unten fallen. Ihre gute Laune ist dahin und zornig ruft sie: „Dad, wo bist du? Sag doch etwas! Hast du vergessen, dass wir heute schwimmen gehen wollen?“ Demonstrativ steht sie in der Küche und wartet mit verschränkten Armen auf eine Antwort.

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