Obwohl sie natürlich zugeben muss, dass diese Einstellung sie gelegentlich in ziemlich verfahrene Situationen bringt, wie der Leser im Verlauf dieser Erzählung noch feststellen wird.
So manche morsche Brücke hat sie überquert ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass diese einstürzen und ihr den Rückweg verwehren könnte.
IV.Arian
Quo vado?
Wohin wird sie mich treiben
Diese unstillbare Sehnsucht in mir?
Vielleicht in rosa Wolken
Mitten im Himmelsblau?
Vielleicht in Gewitterschauer
Oder in des Nebels Grau?
Ich weiß es nicht!
Was wird mir bleiben
Wenn ich mich
irgendwann verlier?
Arian taucht irgendwann in ihrem Leben auf. Er ist Gallerist und interessiert sich für ihre Bilder. Geboren in Marokko lebt er seit 20 Jahren in Paris und arbeitet dort mit vielen internationalen Künstlern zusammen. Erst findet der Kontakt über das Internet statt, da er sich für ihre Bilder interessiert. Als er geschäftlich nach München reist, arrangiert er ein Treffen, um sich über Kunst auszutauschen. Außerdem möchte er einige Bilder und Zeichnungen im Original sehen. Aber nicht nur die Kunstwerke interessieren ihn. Wie Sophie feststellen muss, ist vielmehr sie selbst das Objekt seines Interesses und seiner Begierde. Sein melancholischer Blick aus gefühlvollen Augen umrahmt von langen dichten Wimpern fesselt sie. Krebs ist sein Sternezeichen, ein sensibler feinfühliger Mann, der Kunst und Schönheit liebt. Er ist 40 Jahre alt, 170 cm vielleicht, schlank, graue Schläfen, die schwarzen Haare nicht mehr so dicht, wie sie früher sicher mal waren. Sanft umhüllt er sie mit Blicken und Worten und auch wenn die Verständigung nicht ganz einfach ist – er spricht französisch und wenig englisch, Sophie englisch und kaum ein Wort französisch – so versteht sie doch genug um das zu erkennen.
„Sophie, ma douce – so wonderful art work - bel art d'une belle femme“ Mit diesen und vielen anderen sanften, verführerischen Worten und Blicken umgarnt er sie. Er versteht es, einer Frau das Gefühl zu geben, dass sie absolut einzigartig und begehrenswert ist. Ein köstliches Dinner in einem kleinen, französischen Restaurant mit Kerzenlicht und Champagner tun ihr Übriges. Sophie hatte nicht vor nach Hause zu fahren. Sie plante bei Freunden zu übernachten, da sie nicht gerne nachts fährt, auch wenn es nur eine Stunde Fahrt gewesen wäre. Und so geschieht, was sich den ganzen Abend schon anbahnte – aus einem geschäftlichen Treffen wird ein romantisches Rendezvous. Nun, so ganz unvorbereitet wie es den Anschein hat, kam das für Sophie nicht. Arian hatte sie schon mit Komplimenten überschüttet, als sie noch Internetkontakt hatten und sie hat es genossen! Sie wollte mehr davon, sie ist ausgehungert danach.
Shahin ist ein liebevoller Mann, aber ohne eine Spur von Romantik und Komplimente sind genauso wenig seine Stärke wie das Reden überhaupt.
Die sanfte Berieselung von Liebesbeteuerungen – noch dazu auf Französisch – ließen keinen Raum für Bedenken. Hier gab es zweifellos eine Versuchung, der sie mit Haut und Haaren nachgeben würde.
„Me marier, mon ange, mon amour“, flüstert er am Morgen danach, „stay with me“. So süß diese Worte auch klangen, Sophie erschraken sie. Wie kann er von Heirat reden nach einer Nacht! Außerdem wusste er doch, dass sie verheiratet ist. „Le leiser – leave him – je t´aime plus“, versucht er sie weiter zu betören und verschloss ihren Mund mit einem langen, zärtlichen Kuss. Ihre Körper verschlangen wieder ineinander und die Leidenschaft mit der sie sich liebten ließen keine Gedanken mehr zu.
Mit dem Geschmack von Champagnerküssen und noch immer völlig im Bann des Erlebten fuhr sie nach Hause, nachdem sie Arian zum Flughafen gebracht hatte. „Vous allez me manquer“, sind seine Abschiedsworte, „I must see you again“. Sophie beschließt, dass sie ihn nicht wiedersehen wird.
Diese Brücke ist ihr zu einsturzgefährdet, zu morsch. Shahin braucht sie noch zu sehr und Arian wird es überleben. Er ist charmant und romantisch, ein phantastischer Liebhaber – und seine Liebesschwüre hat er bestimmt auch schon vielen anderen Frauen ins Ohr gehaucht.
Trotzdem – sie bereut nichts, das Erlebte möchte sie nicht missen. Wieder eine schillernde Farbe mehr in ihren Gedanken, die sicherlich so manchen grauen Tag versüßen wird.
In Sophie´s Kopf singt Edith Piaf „Non, je ne regrette rien“. Sie wollte schon lange französisch lernen, die Sprache der Liebe – jetzt mehr denn je!
V. Daheim
Von Herz zu Herz
Kannst du sie fühlen
Diese unausgesprochenen Gedanken
Die dennoch verstanden werden
Von deinem Herz?
So wie ich sie fühle
Deine innerste Sehnsucht
Die danach schreit geliebt zu werden
Von meinem Herz?
Von Herz zu Herz
Sprechen wir, ohne ein Wort
Ein Blick, ein Lächeln
Ein stummes Verstehen
Wischt alle Zweifel fort
Wieder daheim. Shahin hat sie schon erwartet und freut sich sichtlich, dass sie zurück ist. Er schöpft keinen Verdacht, jedenfalls zeigt er es nicht. Lammfleisch mit Kichererbsen, getrockneten Aprikosen und Lumi Basra (getrocknete iranische Limette) mit Burghul warten auf sie – ein typisches Gericht aus seiner irakischen Heimat. Shahin kocht mit Liebe und Leidenschaft, was man auch schmeckt und was einen nicht unerheblichen Beitrag an Sophie´s Venuskörper geleistet hat (was ihm wie auch einigen anderen männlichen Geschlechtsgenossen allerdings sehr gefällt).
Der Alltag zieht schnell wieder ein, wenn auch Nachrichten und SMS von Arian sie immer wieder an die romantischen Stunden mit ihm erinnern. „Je pense á toi“, schreibt er, „I need you, ma douce femme, ma trés chére“. Sophie muss ihm klar machen, dass es kein Wiedersehen gibt, was sie in Anbetracht der Tatsache, dass auch sie seine Zärtlichkeiten vermisst, immer wieder hinauszögert. Wenn der richtige Augenblick da ist, würde sie es ihm sagen. Ganz bestimmt – irgendwann. Noch genießt sie die Liebesbeteuerungen wie einen köstlichen Champanger – prickelnd und erfrischend.
Das Leben mit Shahin ist ausgewogen und harmonisch wie immer, ein ruhiger See, ein sicher Hafen. Auch das braucht sie und sie weiß, dass die Leidenschaft für Arian verlöschen wird wie ein kurz loderndes Strohfreuer.
VI.Abschied
Abschied
Unsere Wege trennen sich
Nur ein Stück
Sind wir gemeinsam gegangen
Mein Herz fühlt einen Stich
Doch auch Glück
Du hast meine Träume gefangen
Mit Sehnsucht im Blick
Ziehe ich weiter
Denn alles ist im Fluss
Schau noch zu dir zurück
Geb mich heiter
Nicht weil ich will – ich muss!
Arian wird es überleben. Er würde sie immer lieben und ein Leben lang auf sie warten, schreibt er. Er sei tieftraurig und würde nie wieder eine Frau so sehr lieben. Sophie glaubt ihm das gerne, obwohl sie weiß, dass es völlig unrealistisch ist. Aber es ist so schön romantisch!
Wieder ist es die Stille am Ufer des Sees, die ihr hilft ihre Gedanken zu ordnen und Resümee zu ziehen.
Ein guter Freund ist überraschend verstorben – Stephan, ein Künstlerfreund, mit dem sie über alles Reden konnte, was sie mit ihrem Mann nicht teilen konnte oder wollte. Herzversagen – ohne jede Vorwarnung. Wie konnte er nur so einfach aus ihrem Leben verschwinden! Er war ihr „Seelenfreund“ und sie seine „Seelenfrau“ – eine sehr ungewöhnliche Verbindung, durchaus erotisch angehaucht, aber ohne Sex. Seine sexuelle Ausrichtung war nicht ihre, er war Masochist und genoss es, wenn ihm Schmerzen zugefügt wurden. Sophie war für´s Heilen zuständig, besonders für das Heilen der Wunden, die aus seiner Kindheit stammten. Aber auch gemeinsame Kunstprojekte abseits vom Mainstream verbanden die Beiden. Er war Fotograf und sie war sein „Lieblingsmodell“, da ihr genauso wie ihm nichts zu verrückt und zu schräg war. Was hatten sie für großartige Zeit zusammen, was haben sie gelacht über ihre verrückten Ideen! Und sie hatten noch so viel vor zusammen, Pläne für gemeinsame Ausstellungen, neue Kunstprojekte. Mit wem sollte sie sich jetzt austauschen? Mit keiner noch so guten Freundin waren die Gespräche so intim, mit keinem Künstler konnte sie sich austauschen wie mit ihm. Auch die Romanze mit Arian war bei ihm gut aufgehoben. Da stirbt er einfach und lässt sie zurück. Wahrscheinlich schaut gerade von da oben herab auf sie und ruft ihr lachend zu: „Nimm´s dir doch nicht so zu Herzen – ich bin ja noch da, nur anders“. Ja, nur anders. Es beginnt zu regnen und die Tränen, die über ihr Gesicht laufen, werden eins mit den Regentropfen. Ja, sie kann ihn spüren - er ist hier, nur anders.
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