Die beiden Bänder, enthielten eine ganze Reihe unterschiedlichster Knoten, die ich allesamt nicht kannte oder verstand. Sie waren am unteren Ende durch ein Wachssiegel verschlossen. Ohne Enden konnte ich die Knoten nicht lösen, aber ohne die Siegel zu brechen, kam ich nicht an die Enden heran. Und wie ich das schaffen sollte wusste ich eben nicht. Das war zum verrückt werden!
Fluchend legte ich das Buch zur Seite. Gerade rechtzeitig, um von Jiang eine kleine Schale mit Suppe in Empfang zu nehmen.
„Danke.“
Doch sie hatte sich schon wieder umgedreht.
Toll, jetzt war sie sauer, dabei war sie es, die sich danebenbenommen hatte.
Während ich aß, konnte ich Anaya dabei beobachten, wie sie einen ihrer Heiltränke zubereitete und mit einer Schale Suppe vermischte, die sie danach löffelweise an unsere Gefangene verfütterte. Die anfänglichen Schluckbeschwerden wichen nahmen nach und nach, bis sie schließlich alleine essen konnte. Dankbar nickte sie Anaya zu.
„Das heißt dann wohl, dass sie ein paar Fragen beantworten kann“, bemerkte Droin zu den Fortschritten.
„Sieht so aus“, seufzte Anaya: „Aber übertreibt es nicht. Sie ist noch nicht geheilt.“
„Ist mir egal. Ich will Antworte“, schmatzte ich zwischen zwei Löffeln Suppe.
„Ich auch“, fügte Phyria hinzu.
„Vielleicht ist es besser, wenn ich die Fragen stelle“, erwiderte Droin: „Mach es Dir einfach“, fuhr er an die Gefangene gewandt fort: „Sag uns was wir wissen wollen, dann kannst Du gehen“
„Und wenn ihr alles erfahren habt, lasst ihr mich einfach hier zurück, bis mich entweder ein Käfer, die Spinnen, die Geister oder eine Falle töten. Da könnt ihr mich auch gleich in den Abgrund stoßen“, erwiderte sie zu unserer Verwunderung mit leiser Stimme.
Als ich mich gerade erheben wollte, um ihr den Gefallen zu tun, winkte Droin ab: „Ja, natürlich könnten wir das tun, aber das werden wir nicht. Wir sind nicht wie Deine Landsleute, die ohne Vorwarnung Unschuldige überfallen und einen Krieg beginnen.“
„Ich kenne Deine Art.“
Ihr Finger zeigte anklagend auf mich: „Dämonenkind. Von euch gibt es viel zu viele.“
„Unwahrscheinlich“, gab ich kalt zurück.
„Was hat den Krieg ausgelöst?“, fragte Droin, bevor sie darauf antworten konnte.
„Als wenn ihr das nicht wüsstet.“
„Was? Der Kompass? Dafür führt ihr Krieg?“
Sie lachte freudlos: „Unsinn. Davon wusste ich nichts, bis ich euch zugehört habe. Ich habe keine Ahnung, was das it. Stellt euch nicht dumm. Ihr wisst genau Bescheid.“
Doch anscheinend machten wir überzeugend ratlose Gesichter, denn sie schien verwirrt.
„Nein, wir wissen überhaupt nichts. Und das hier ist auch nicht unser Land. Wir sind ohne Absicht in den Krieg hineingeraten. Also sag uns, wen ihr dafür verantwortlich macht.“
„Ihr seid Söldner, die für Geld seine Arbeit tun“, erwiderte sie bitter: „Mein Land war ein schönes Land, bis er seine schmutzigen Finger danach ausgestreckt hat. Wir sind für uns geblieben, weil wir die Dekadenz eurer Länder nicht ertragen haben, aber ihr konntet uns nicht in Ruhe lassen.“
„Wer? Und wer ist „wir“? Wir kommen aus unterschiedlichen Ländern, die noch niemals zusammen ein Ziel verfolgt haben.“
„Und doch seid ihr vereint unter einem Herrscher.“
„Nein, sind wir nicht“, gab Droin zurück. Die Naurim haben Klans, die Alian ihre Zirkel, die Kaltländer ihren Auldmidh, ihren Ältestenrat, die Shâi den Jadekaiser, die Maganer einen König, ebenso wie die Kalteaner. Also, wen meinst Du?“
„Du hast einen vergessen, den, der über euch alle regiert.“
Droin wurde langsam ärgerlich: „Es gibt niemanden. Hör zu.“
„Und was ist mit Ristam Karelov? Eurem Imperator?“
„Was? Ristam „der Fettsack“? Und das glaubst Du wirklich?“, Droin fing an zu lachen. „Ja, es gibt das Alte Reich noch, aber es hat keine Macht mehr im Norden. Schon lange nicht mehr.“
„Ich glaube euch kein Wort“, erwiderte sie sichtbar wütend.
„Sag uns wenigstens, wie Du heißt“, forderte Anaya sie auf.
„Nein, er raubt sonst meine Seele“, gab sie mit einem Blick in meine Richtung zurück.
Dazu brauche ich Deinen Namen nicht, dachte ich. Laut sagte ich: „Unsinn. Dazu bräuchte ich Deinen wahren Namen. Und der hat nichts damit zu tun, wie man Dich nennt.“
Sie zögerte, doch anscheinend hatte ich die richtigen Worte gefunden: „Mara Masatief.“
„Danke Mara“, erwiderte Anaya: „Ich bin Anaya’Saar, dies sind Jiang zen Yao, Droin Fenloth, Phyria Pashar und Drakkan Vael. Die anderen wirst Du noch kennen lernen.“
„So, wo wir jetzt alle gute Freunde sind: Was zum verschissenen Frostwurm ist hier los?“, brüllte ich sie an: „Seit ich Phyria im Wald aufgelesen habe, versucht mich alle paar Schritte jemand zu töten. Ich will endlich wissen, warum.“
Jiang wandte sich an mich: „Beruhige Dich. Das gehört sich nicht.“
„Für Dich vielleicht nicht. Aber ich bin nicht zivilisiert. Darauf weist Du mich doch bei jeder Gelegenheit hin! Ich will Antworten.“
„Deine Wut schüchtert mich nicht ein. Ich weiß, wozu Deine Art fähig ist. Ihr seid schuld, dass wir in einen Krieg hineingezogen wurden, der uns nichts angeht.“
„So kommen wir nicht weiter. Ich werde Dir erzählen, was wir in den letzten Wochen erlebt haben. Vielleicht kommen wir so voran.“
Mit ruhiger Stimme begann Droin zu berichten. Anaya kümmerte sich unterdessen um unsere Verletzungen. Zu Anfang lauschte ich noch der Geschichte, doch bald fielen mir die Augen zu. Nur mühsam konnte ich mich ein paar Momente lang wach halten.
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1 - 19 Traumreise mit Hindernissen -
Staub tanzte in kleinen, beinahe lebendig erscheinenden Wirbeln über den Boden. Trockene, spröde, Scholle, vom fehlenden Regen aufgerissen, die Ränder nach oben gebogen. Das Purpur der Erde beleuchtet von der glühenden Mittagssonne.
Die Ebene erstreckte sich in alle Richtungen bis zum Horizont, verschmolz mit ihm. Die Luft flimmerte von der gnadenlosen Hitze, keine Wolke, kein Baum, kein Strauch, kein Busch bot Schutz. Kein Leben konnte hier existieren, und doch war ich alles andere als alleine.
Etwas war mit mir hier, blickte auf mich herab, beobachtete mich von allen Seiten, wachte über jeden meiner Schritte. Immer war die Präsenz spürbar. In mir über mir, unter mir, um mich herum. Tat ich einen Schritt, war sie bereits da.
Trotzdem hatte ich das Gefühl hier weg zu müssen. Schnell weg. Egal wohin. Nur nicht hierbleiben. Ohne nachzudenken, rannte ich los.
Durch einen Wald, voller toter und verdrehter Bäume, über eine Straße voll zerbrochener Pflastersteine, vorbei an Ruinen, bloßen Resten, die wie die zerschmetterten Zähne von Riesen aus dem Boden ragten, durch ein ausgetrocknetes Flussbett. Nirgendwo war ich alleine. Es war immer jemand bei mir, schneller als ich, kam mir zuvor. Ich wechselte die Richtung. Die Umgebung ein dampfender Dschungel, wieder schlug ich einen Haken, ein Strand ohne Meer.
Zurück.
Drei Schritte entlang eines Stroms glühender Lava, direkt auf die eisigen Flächen eines Gletschers. Immer war ich alleine und doch wieder nicht.
Meine Schritte wurden langsamer, immer langsamer, bis ich schließlich ganz stehen blieb. Ich befand mich auf einer Brücke, deren Enden ich nicht sehen konnte. Tief unter mir rauschte ein Fluss schäumend über Felsen und um sie herum. Er wand sich durch enge Felswände, stürzte in Kaskaden über kleine Wasserfälle weiter in die Tiefe, bis die Gischt den Fluss gänzlich vor meinen Blicken verbarg.
Ich kannte die Brücke. Aber ich kam nicht darauf, woher.
„Wo ist meine Frau?“, hörte ich mich fragen.
‚Welche Frau?‘, schoss es durch meinen Kopf.
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