Hätte ich das wirklich getan, wäre es vermutlich das Letzte gewesen, dass ich vollbracht hätte.
Eine Fingernagelbreite bevor ich das Gebilde berührte, gab es darunter plötzlich eine wellenförmige Bewegung, die sich fast sofort wieder beruhigte. Das war kein Schutt und er war auch nicht zugedeckt worden!
Ich blieb stocksteif stehen.
Schweiß brach aus allen Poren hervor. Jetzt eine falsche Bewegung, ein überflüssiges Geräusch und ich war so gut wie tot. Von allen Dingen ausgerechnet Tunnelspinnen!
Die „Decke“ war ein Netz, und darunter lagen die Leichen von mehreren Soldaten aus Morak. Die Bewegung stammte von den Jungtieren, die gerade die glücklosen Soldaten fraßen.
Tunnelspinnen waren blind. Sie jagten Geräusche, Gerüche und Wärme.
Wenige Dinge versetzten mich derart ernstlich in Angst, aber diese Spinnen, die wie ein Rudel Wölfe auf Beutefang gingen, gehörten eindeutig dazu.
Die handtellergroßen Spinnen hatten weiße Körper voller langer, giftiger Haare und großer Beißwerkzeuge. Sie waren so intelligent, dass sie es verstanden, Beute zu umzingeln, einzukreisen oder sogar in eine Falle zu locken, ehe sie zu Hunderten angriffen.
Ein Biss konnte bereits dazu führen, dass man einen Arm oder ein Bein verlor, weil das Gift das gebissene Körperteil in eine schleimige Masse verwandelte, aus der nur noch blanke Knochen herausragten.
Oft schon hatten die Spinnen ganze Siedlungen von Naurim ausgelöscht.
Daher wurden die Tiere überall verfolgt. Bisweilen sogar durch Jagden im Umkreis mehrerer Tagesreisen ausgerottet. Hier auf sie zu treffen, konnte für uns alle den Tod bedeuten.
Sehr, sehr langsam richtete ich mich wieder auf, sah hinter mich und machte dann einen Schritt rückwärts, blieb stehen, sah mich wieder um, und machte dann einen zweiten. Dann noch einen und noch einen. Ich schwitzte, und wusste doch, dass der Geruch nach Schweiß die Spinnen anlocken würde.
Meine Hände und Knie zitterten vor Anspannung.
Bei den anderen angekommen, ging ich zu Droin und gab ihm in Zeichensprache zu verstehen, er solle sofort Licht anmachen, und dabei leise sein.
Er sah die Dringlichkeit in meinen Gesten und verzichtete auf Fragen.
Augenblicke später flammten ein paar Fackeln auf, die Phyria auf seine Bitte hin entzündet hatte.
Die anderen drehten sich überrascht herum, als sie das Licht sahen. Ich winkte sie heran.
„Was ist?“, fragte Jiang sehr leise.
Ich deutete den Gang entlang: „Tunnelspinnen.“
„Oh Mist“, rutschte es Anaya heraus.
Droin nickte mit bleichem Gesicht: „Kommen wir vorbei?“
Das wusste ich wirklich nicht: „Mit Glück.“
„Was sind Tunnelspinnen?“, fragte Phyria verwirrt.
„Das da“, erwiderte ich entsetzt und deutete dabei über ihre Schulter auf ein einzelnes Tier, das scheinbar unbeteiligt genau in der Mitte des Tunnels hockte, genau neben dem Haken, an dem das diesseitige Endes des Laufseils befestigt war.
„Ganz leise“, befahl Droin mit kaum hörbarer Stimme. Er nahm zwei der Fackeln von Phyria entgegen. Eine legte er in Zeitlupe direkt vor sich auf den Boden, die andere behielt er in der Hand.
Während er das tat, ließ er die Spinne keinen Moment aus den Augen.
Der Rest von uns hielt den Atem an, während wir ihn dabei beobachteten.
Ich sah mich auch die ganze Zeit über nach weiteren Tieren um, konnte aber keine entdecken.
„Weg hier.“
Droin scheuchte uns ganz vorsichtig von hier weg.
Während die anderen sich einer nach dem anderen weg schlichen, blieb ich stehen, bis auch Droin hinter mir verschwunden war.
Bei jedem Geräusch, das einer von ihnen machte, zuckte die Spinne mit einem ihrer vorderen Beine.
Als sie das zum ersten Mal tat, hätte mein Herz vor Schreck beinahe aufgehört, zu schlagen.
Immer wieder sah ich hinter den anderen her, die sich unendlich langsam vorwärts bewegten.
Der Schein der Fackeln hinter mir reichte bald nicht mehr zu mir und auch ich war langsam rückwärts von den Spinnen weggeschlichen. Als ich im Dunkeln stand, außerhalb der Lichtkegel musste ich auf Dunkelsicht wechseln, damit ich nicht versehentlich gegen einen Stein stieß oder stolperte.
Obwohl das nur einen Lidschlag dauerte, musste ich entsetzt feststellen, dass die Spinne direkt neben der Fackel saß.
Und nicht nur das, sie hatte Freunde mitgebracht. Zwei weitere Spinnen waren wie zufällig langsam über die Abbruchkante geklettert.
Sie näherten sich der Fackel träge aus unterschiedlichen Richtungen.
Dabei hielten sie immer einen Abstand von einem Fuß bei.
Ich bemühte mich, flach zu atmen, aber mein Herz hämmerte so stark in meiner Brust, ich fürchtete, sie würden es hören.
Vorsichtig machte ich wieder ein paar Schritte rückwärts.
Die Spinnen verteilten sich um das Feuer herum, ohne mich zu beachten. Trotzdem blieb ich wachsam und hielt mein Schwert schlagbereit, wobei ich die Breitseite nach vorne hielt.
Fast hatte ich es befreit, als plötzlich der kleine, weiße Körper einer Spinne auf mich zugeflogen kam. Sie war über das Feuer gesprungen und segelte mit ausgestreckten Beinen auf mich zu.
Ich reagierte ohne nachzudenken, verwendete mein Schwert wie eine Keule und schmetterte die Spinne mit der flachen Seite in die Tunnelwand.
Mit einem hässlichen Klatschen zerplatzte sie dort und rutschte langsam die Wand hinunter, wobei sie eine Spur aus Blut und Innereien hinterließ.
Kaum war die erste Spinne gesprungen, war eine ihrer Schwestern losgelaufen und die andere hinterher gehüpft.
Ich zerteilte die Springerin mit dem Schwert in der Luft in zwei Teile, während ich auf die andere einfach drauftrat. Klebrige Reste waren alles, was von beiden übrigblieb. Aber Zeit, mich darüber zu freuen hatte ich keine, denn jetzt krabbelten gleich ein Dutzend oder mehr über den Rand des Tunnelbodens und auch an den Wänden entlang.
Ich fuhr auf dem Absatz herum und sprintete los, alle Heimlichkeit vergessen: „Rennt! Weg hier!“, brüllte ich den anderen hinterher, die zusammenzuckten und sich umgedreht hätten, wenn Droin sie nicht ebenfalls angebrüllt hätte: „Rennt oder sterbt!“
Ohne zu warten, begann er mit donnernden Schritten den Gang entlang zu sprinten.
Phyrias Hände flammten auf, denn im Stockdunklen in unbekannter Umgebung zu laufen, hätte spätestens an den Leichen zu Problemen geführt. Sie hatte als einzige außer mir keine Fackel entzündet.
Dadurch konnte ich auch sehen, dass die Anderen bereits einen Vorsprung hatten, auch wenn die Gefangene schnell zurückfiel. Das verletzte Knie verhinderte, dass sie schnell genug laufen konnte.
Droin passierte gerade die Netze mit den Leichen und den Jungtieren, dicht gefolgt von Anaya, die sich anschickte, ihn zu überholen.
Jiang und Phyria sprinteten Seite an Seite um die Hindernisse herum, wobei Phyria einen kurzen Flammenstoß in das Netz am Boden schickte.
Eine Stichflamme schoss daraus empor, die auch die Spinnweben an der Decke entzündete. Flammenzungen liefen die Fäden entlang, brennende Fetzen und Körper toter Spinnen regneten auf sie herunter. Es bildete sich ein öliger, stinkender Qualm im Gang, der wich würgen ließ.
Hinter mir erklang ein Klicken und Zischen, als hunderte, vielleicht auch tausende von Spinnen über Wände, Böden und Decke in den Gang quollen.
Sie rasten über jeden Fleck des Tunnels hinweg, erstickten die Fackel mit ihren Körpern und kletterten sogar übereinander in der Hast den Mörder ihrer Brut zu erreichen.
Panik durchflutete mich, wie noch nie zuvor. Ich rannte, als wären mir plötzlich Flügel gewachsen. Im Zeitraum von zwei Herzschlägen hatte ich die noch immer qualmenden Reste der Jungtiere erreicht.
Einige zuckten und zappelten noch und hier und da rannten einzelne Tiere brennend im Kreis. Die Körper knirschten unter meinen Stiefeln, aber die Geräusche davon konnten nicht das Klicken tausender, rennender Spinnenbeine übertönen, die ich nicht nur hinter mir, sondern auch um mich herum hörte.
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