Derrick neigte sein Haupt, ehe er spöttisch zurück schmunzelte: »Mit dem größten Vergnügen, Eure königliche Hoheit!«
»Was quatscht er da?«, verlangte Lazlo zu wissen. Er starrte mich mit einem dümmlichen Gesichtsausdruck an, sein Schwert sank herab und lag nur noch locker in seiner Hand.
Ich lächelte die Bruderschaft an. »Als ich den Großteil von euch verwahrlosten Dreckskötern vor vielen Jahren davor bewahrte, blind in ein Trollnest zu rennen, stellte ich mich als Namenloser vor. Heute möchte ich aus den Schatten treten und das Geheimnis um meine Person lüften.«
Noch einmal warf ich einen Blick auf Derrick. Er nickte mir nun auffordernd zu, obwohl ich Sorge in seinen Augen lesen konnte.
»Meine Brüder«, wandte ich mich wieder an die Männer zu meinen Füßen. »Ich bin Melecay Wiglaf von Carapuhr, der erstgeborene Sohn König Amons aus der Ehe mit Königin Olia Radga von Carapuhr, einstige Olia Radga von Zadest, die auf widerlichste Weise verraten und ermordet wurde.«
Nun blickte auch die Sklavin auf, die ich befreit hatte.
Lazlo schüttelte den Kopf, sein Schwert rutschte aus seiner Hand und landete klappernd auf dem Boden zu seinen Füßen, sein Mund stand offen. »Nein, das kann nicht sein. Alle Erben sind tot!«
»König Amon verriet sein eigenes Land und ließ seine Familie abschlachten, um eine Elkanasai Schlampe zu ehelichen«, berichtete ich mit lauter Stimme, damit mich auch ja alle hören konnten. Wut beflügelte meine Worte. »Ich und meine Leibwache, Sir Derrick Einar, entkamen und suchten Zuflucht bei meinem Lehrer, Menard. Der Schamane floh mit uns hier her und versteckte mich vor meinem Vater.« Ich sah Lazlo fest in die Augen. »Es ist wahr, mein Bruder, ich bin der rechtmäßige Erbe.« Ich begann grimmig zu lächeln. »Ich bin Kronprinz Melecay.«
Meine Brüder atmeten fassungslos aus und starrten mich an, als sei ich die Personifizierung Gottes.
Man konnte es ihnen nicht verübeln, der Mord an meiner Mutter und an meinen Geschwistern hatte im ganzen Land große Trauer ausgelöst. Angeblich ein Komplott interner Rebellen, so hatte mein Vater es den Leuten glauben machen. Damit hatte er gerechtfertig, mehrere rebellierende Adelige zu vernichten und ein Bündnis mit den Elkanasai einzugehen, angeblich um das Land zu schützen. Verräter! Was hatte er damit erreicht? Das gute Männer ihr täglich Brot mit bezahltem Morden verdienen mussten. Demnach war die Reaktion meiner Männer keineswegs übertrieben, denn ich hatte ein echtes Anrecht auf die Krone Carapuhrs und gab ihnen Hoffnung darauf, eines Tages das Land von Verrätern und den Truppen der Elkanasai zu befreien. Vorausgesetzt natürlich, man unterstützte mich.
»Also«, ich steckte mein Schwert wieder ein, »ihr wollt dem Namenlosen nicht mehr folgen, weil Menard tot und euer Zuhause zerstört ist?« Ich blickte über all ihre Gesichter, ehe ich sie fragte: »Seid ihr denn bereit, eurem wahren Kronprinzen zu folgen, der euch ein neues sicheres Zuhause in der königlichen Burg ermöglichen möchte?«
Du kannst weglaufen, du kannst dich verstecken, aber irgendwann holt sie dich doch ein ...
Und sie folgten.
Ihre Treue schien größer denn je zu sein. Aber was erwartete man von getretenen Hunden, denen man einen Knochen zuwarf?
Derrick war nicht begeistert darüber, dass ich ihnen Hoffnung machte, wo keine war.
Zwar habe ich das Geheimnis um meine Person gelüftet, doch es änderte nichts daran, dass ich nur siebenundsiebzig Mann hatte, mit denen ich unmöglich Carapuhr befreien konnte.
Die Elkanasai und die Truppen meines Vaters benötigten schon ein Wunder, um sie zu besiegen.
Aber die königlichen Truppen wollte ich auch gar nicht bekämpfen, ich wäre schön blöd, wenn ich es täte. Nein, ich musste meinen Vater stürzen und mir die Loyalität der königlichen Heere sichern, um mich gegen Elkanasai verteidigen zu können. Doch selbst wenn ich den Thron besteigen und Carapuhr befreien könnte, das Kaiserreich war groß und zahlenmäßig weit überlegen. Zum Glück hatte Menard mit seinem letzten Atemzug eine Lösung für mein Problem verkündet.
Ich breitete alle Schriften, die ich je aus Tempeln und Gräbern gestohlen hatte, auf dem Tisch aus, der in meinem Zelt stand. Ich hatte alles Wichtige aus Menards Zuflucht mitgenommen, denn wir hatten nicht dortbleiben können. Sie würden wiederkommen, so lange, bis sie mich fanden.
Wir waren dumm gewesen, immer an einem Ort zu bleiben. Carapuhr war ein relativ kleines Land, und es war abzusehen, dass man uns nach zehn Jahren aufspüren würde, wenn wir nicht in Bewegung blieben. Diesen Fehler würde ich bestimmt in Zukunft vermeiden.
Ich konzentrierte mich auf die wagen Beschreibungen der Schriften.
Drachen . Immer wieder wiederholte ich dieses Wort in meinen Gedanken. Laut den Aufzeichnungen, erzählt mir die Geschichte meiner Familie, dass wir allesamt von so genannten Drachenzähmern abstammten.
Alles hatte mit Magie zutun. In jedem von uns steckt Magie , das hatte Mutter gesagt. Offenbar hatte sie Recht behalten. Selbst in mir, einem normalen Menschen, steckte ein Hauch Zauber. Zumindest die Fähigkeit, ein Ritual zu absolvieren.
Ich bezweifelte jedoch, dass ich je herausfinden würde, was die Worte bedeuteten, die das Ritual des Drachenzähmens beschrieben. Davon abgesehen, hatte es schon seit Ewigkeiten keine Drachen mehr in Carapuhr gegeben. Sie lebten in der Wildnis, fernab der Zweibeiner. Und außerdem waren sie gefährliche Bestien, denen man besser nicht zu nahekam. Sie konnten mich mit einem Happs verschlingen, das würde ich gern vermeiden.
Also benötigte ich für das Wunder, das ich für die Rückeroberung meiner Heimat brauchte, weitere Wunder.
Es schien unmöglich, und doch war ich zuversichtlich. Etwas anderes blieb ja auch nicht übrig.
Ein Geräusch ließ mich aufhorchen.
Es war tief in der Nacht und die meisten meiner Brüder schliefen, die andere Hälfte hatte einen Auftrag von mir bekommen.
Doch ich hörte ganz deutlich das Klimpern eines Zaumzeugs.
Ich runzelte die Stirn und verließ mein Zelt.
Der Mond schien noch immer hell auf das Lager hinab und beleuchtete die zahlreichen schlafenden Männer. Sofort erkannte ich, wer seinen Schlafplatz abgebaut hatte.
Ich folgte dem Ziegengeruch zu den Pferden.
»Du verlässt uns?«
Janek zuckte erschrocken zusammen, langsam drehte er sich kurz zu mir um.
Ich lehnte lässig an einem Baum, nicht weit von dem Hintern seines Pferdes entfernt. Er musterte mich, dann zog er den Sattelgurt zu.
»Ich danke Euch, für mein Leben, aber es ist Zeit für mich zu gehen«, antwortete er mir.
»Du denkst, das wäre so einfach?« Ich flüsterte bedrohlich.
Er überging meine Frage, erklärte aber: »Mein Bruder. Er ... muss in der Nähe sein. Ich muss ihn suchen und finden, ehe die Elkanasai ihn für meinen Verrat bestrafen.«
Ich erinnerte mich an das, was Janek mir in der Ratshalle erzählt hatte. »Wieso wollten sie dich vor den Augen deines Bruders hängen?«
Janek vermied es geflissentlich, mich anzusehen. Erneut wich er meiner Frage aus: »Seid Ihr wirklich der Kronprinz?«
Ich nickte bestätigend.
Janek atmete unglücklich aus, das gefiel mir gar nicht.
»Wohin willst du wirklich?«, fragte ich drohend.
»Das sagte ich bereits«, antwortete Janek. Er sah mir in die Augen und ich konnte darin lesen, dass er mir die Wahrheit erzählte. Aber da war noch mehr. Es steckte mehr hinter der Geschichte seines Bruders.
»Ich kann dich nicht gehen lassen«, erklärte ich gespielt unglücklich und schlenderte langsam auf ihn zu. »Es ist so: Jeder einzelne meiner Brüder hat oder hatte eine Schuld bei mir zu begleichen. Darauf bestehe ich. Einigen rettete ich das Leben, anderen half ich aus Problemen und manche verdanken mir das Überleben ihrer Familien.«
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